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Die enttäuschten Revolutionäre |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.06.2011
In Tunesien gibt es seit dem Sturz des Diktators mehr Probleme
als davor. Das führt zu Unruhe und Gewalt. In Metlaoui, im Süden des
Landes, werden Menschen massakriert. Anhänger des gestürzten Regimes
sollen dahinter stecken. Sie planen offenbar den
Gegenschlag
METLAOUI. Es ist ein grauenhaftes Foto, eines jener Bilder, das
man sofort wieder vergessen möchte und das sich doch tief ins
Gedächtnis einbrennt. Da liegt, in Nahaufnahme, ein junger Mann mit
nacktem blutendem Oberkörper auf dem Pflaster, ein Auge weit geöffnet.
In dem anderen Auge steckt ein langes Messer. Jamil Tababi, der vor
seinem ausgebrannten Laden steht, schaltet das Handy aus, und das Foto
des toten Mannes verschwindet vom Display. Mohamed Ghezali hieß der
Mann. Er ist einer von dreizehn Menschen, die bei Stammesfehden in
Metlaoui umgekommen sind.
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Die Mühlen der Freiheit |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 05.03.2011
Auf dem Kasbah-Platz von Tunis kampieren an die tausend Menschen
für Reformen. Am Sportpalast dagegen demonstrieren täglich ebenso viele
für Ruhe und Ordnung. Die Jasmin-Revolution droht die tunesische
Gesellschaft zu spalten.
TUNIS. Das Herz der Revolution schlägt auf dem Kasbah-Platz am
oberen Ende der Medina, der Altstadt von Tunis, Zwischen dem Dar El Bey,
einst Residenz des türkischen Statthalters, heute Amtssitz des
Ministerpräsidenten, und dem Finanzministerium - dem
"Diebstahlministerium", wie eine Plakette auf der Mauer verkündet -
kampieren seit zwei Wochen an die tausend Personen. Nachts ist es
empfindlich kalt. Tagsüber regnet es oft. Die Menschen liegen eng
zusammen, in dicke Decken gewickelt. Vor einem Zelt sind sechs Fotos
ausgehängt. "Es sind sechs Märtyrer", erklärt Afif pathetisch. Der
25-jährige Telekommunikationstechniker hat ein Diplom in der Tasche, ist
arbeitslos und schlägt sich als Taxifahrer durchs Leben. Wie viele hier
hat er sich in eine tunesische Fahne gehüllt. Auch er war auf der
Demonstration, bei der vor einer Woche sechs Menschen erschossen wurden.
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Exodus der Gastarbeiter |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 28.02.2011
FLÜCHTLINGS BIS ZU DEN AUFSTÄNDEN WAREN DIE ÄGYPTER GERN
GESEHENE HELFER IN GADDAFIS LIBYEN.
JETZT FLIEHEN SIE ZU ZEHNTAUSENDEN VOR DER GEWALT, DIE SICH AUCH GEGEN
SIE RICHTET. MANCHE VERLIEREN DABEI ALLES, WAS SIE HABEN.
RASS AJDIR. Nur Männer. Überall nur Männer. Männer in Jeans
oder Dschellabah, dem arabischen Männerrock, Männer mit Baseball-Mütze
und Männer mit Kefyia, dem um dem Kopf geschlungenen Tuch. Die einen
schlafen auf dem steinigen Boden, die andern hasten mit Koffern und
schweren Bündeln zu Bussen. In Rass Ajdir, dem tunesisch-libyschen
Grenzübergang in der Wüste, sind allein am Sonnabend über 12000 Ägypter
eingetroffen, der Hölle Gaddafis entflohen.
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Straßenkämpfe nach der friedlichen Revolution |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 17.01.2011
TUNIS. Auf der Avenue Habib Bourguiba im Zentrum der
tunesischen Hauptstadt hat die Armee massiv Stellung bezogen. Vor dem
Innenministerium und vor der französischen Botschaft stehen schwere
Schützenpanzer. An einigen Seitenstraßen, die in den für den Verkehr
inzwischen gesperrten Prachtboulevard münden, entscheiden zivil
gekleidete Personen mit mächtigen Holzprügeln in der Hand, wer
durchgelassen wird. Anderswo ist der Zugang wiederum frei. Es ist
unwichtig. Hunderte knüppelbewehrter Zivilpolizisten haben hier ohnehin
alles unter Kontrolle. Die Geschäfte sind schon seit drei Tagen
ausnahmslos geschlossen. Die zahlreichen Straßencafés ebenso. Die
quirlige Avenue Habib Bourguiba, wo sonntags in gewöhnlichen Zeiten
Tausende flanieren, ist ausgestorben.
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Ein Land im Ausnahmezustand |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 15.01.2011
TUNIS. Präsident Zine el Abidine Ben Ali ist weg, vielleicht
auf dem Weg nach Paris. Nur vorübgergehend sei er weg, heißt es amtlich.
Keiner glaubt, dass Ben Ali wiederkommt. Leila Trabelsi, seine als
raffgierig und korrupt verschriene Frau soll sich schon seit mindestens
einer Woche in Dubai aufhalten. Sakhr El Matri, der Schwiegersohn des
Präsidenten, der sich die Filetstücke der tunesischen Wirtschaft unter
den Nagel gerissen hat, weilt bereits in Kanada. Hat die Armee den
Flughafen gesperrt, damit nicht noch weitere Mitglieder des verhassten
Clans das Weite suchen? Tunis läuft über von Gerüchten. Es herrscht
Ausnahmezustand. Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi hat vorübergehend
die Nachfolge Ben Alis angetreten. Der Präsident sei derzeit nicht in
der Lage, sein Amt auszuüben, sagt er.
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