FATHI TARBEL - Der Revolutionsmacher |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 09.04.2011 BENGASI. Dass er eine Revolution auslösen würde, hat der Mann,
der die Revolution ausgelöst hat, selbst am allerwenigsten erwartet:
Fathi Tarbel. Für den 17. Februar hatten libysche Blogger und
Dissidenten im Ausland zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen, um der Toten
zu gedenken, die fünf Jahre zuvor Polizeikugeln zum Opfer gefallen
waren. In einer dänischen Zeitung war damals der Prophet Mohammed
karikiert worden. Das libysche Regime hatte danach für den 17. Februar
2006 eine Demonstration angeordnet, die sich überraschend gegen Gaddafi
richtete. Nach offiziellen Angaben wurden 15 Personen erschossen.
Wahrscheinlich waren es doppelt so viele. Das liegt fünf Jahre zurück. I nzwischen
hat im westlichen Nachbarland Tunesien Mitte Januar dieses Jahres die
Jasmin-Revolution gesiegt, in Ägypten, beim Nachbarn im Osten, wurde
Hosni Mubarak gestürzt. Und so nahm die libysche Polizei am 15. Februar,
zwei Tage vor dem "Tag des Zorns", vorsichtshalber Fathi Tarbel in
Haft. Prophylaktisch. Aber wegen seiner Verhaftung gingen die Menschen
in Bengasi zwei Tage früher als gerufen auf die Straße. Deshalb brachen
Unruhen aus, die zur "libyschen Revolution" führten. Heute sitzt
Fathi Tarbel im Nationalen Übergangsrat, der provisorischen Regierung in
Bengasi, die 30 Mitglieder zählt, von denen aber namentlich nur acht
bekannt sind. "Die Namen der übrigen werden aus Sicherheitsgründen
geheimgehalten", sagt Tarbel. Wo das Gremium tagt, ist der
Öffentlichkeit nicht bekannt. Aber es debattiert oft bis tief in die
Nacht hinein. Tarbel hat einen Interviewtermin in der Lobby eines Hotels
um Mitternacht angeboten, kommt gegen ein Uhr früh und redet bis
halbdrei. Er ist ein zurückhaltender Mann. Dass er Charisma hat, kann
man nicht behaupten. Beim Gespräch starrt er meistens auf die
Tischplatte. Doch dann lacht er immer wieder überraschend herzlich und
laut auf. Reden kann Tarbel. Er ist Anwalt. Seine Karriere begann
2008. Damals setzte er sich für die Angehörigen eines Massakers ein, das
bereits zwölf Jahre zurücklag. Am 29. Juni 1996 hatte Gaddafi nach
einer Revolte in einem Gefängnis bei Tripolis 1270 Häftlinge erschießen
lassen. Viele von ihnen stammten aus Bengasi. Der Anwalt selbst verlor
einen Bruder, einen Schwager, einen Cousin und fünf enge Freunde. Fathi
Tarbel, geboren 1972 in Bengasi, stammt aus bescheidenen Verhältnissen.
Sein Vater verkaufte im Sommer Eis und im Winter Sandwichs. "Sechs
Monate nach seinem Tod wurden meine zwei Brüder festgenommen", berichtet
er, "ich war gerade sechzehn Jahre alt und nun Familienoberhaupt." Die
Brüder kamen nach Tripolis ins Gefängnis. Auch er selbst war von 1998
bis 2000 wegen enger Kontakte zu Dissidenten im Ausland, die er nie
hatte, in Haft. Im Jahr 2008 organisierte Tarbel - er war ein Jahr
zuvor gerade Rechtsanwalt geworden - die Familienangehörigen der Opfer
der Gefängnisunruhen von 1996. Bald standen sie jeden Sonnabend vor dem
Gerichtsgebäude im Zentrum der Hauptstadt und hielten Fotos ihrer
erschossenen Ehemänner und Söhne in den Händen. Ihren Mut bezahlten
einige mit Gefängnis, viele mit Verlust des Arbeitsplatzes, alle mit
Schikanen. Oft richteten sich diese gegen ganze Familien. Nach und
nach kam die Wahrheit über das Massaker trotzdem ans Licht: Die
Häftlinge - vor allem Islamisten, einige von ihnen Befürworter eines
bewaffneten Dschihad, andere eher moderat, aber auch Kommunisten und
Linksradikale - hatten bessere Gefängnisbedingungen und mehr
Besuchsmöglichkeiten gefordert, einen Aufstand organisiert und einen
Polizisten, der besonders berüchtigt für grausame Folterung war, zur
Geisel genommen und schließlich getötet. Gaddafi gab den Forderungen
nach. Die Häftlinge kehrten in ihre Zellen zurück. Zwei Tage später
wurden sie erschossen: 1270 Tote an einem einzigen Tag. Inzwischen
hat das Regime die Morde eingestanden. Die Regierung willigte vor zwei
Jahren ein, für jeden Toten 200000 Dinar zu bezahlen, umgerechnet 120000
Euro. "Ich vertrat 211 Familien von Bengasi", sagt Tarbel, "etwa 60
Prozent nahmen das Angebot an." Der Rechtsanwalt selbst wies es zurück.
"Ich will wissen, wer meinen Bruder, meinen Schwager, meinen Cousin,
meine Freunde erschossen hat, wer die falschen Sterbeurkunden
ausgestellt, wer uns belogen hat." Viele Frauen hofften über viele
Jahre, dass Gaddafi ihre Männer, ihre Söhne begnadigen würde. Umsonst,
berichtet Tarbel. Dann bricht er in Schluchzen aus. "Die Tochter meines
Bruders war gerade zwei Wochen alt, als sie ihn abholten, sie konnte nie
Papa zu ihm sagen." Fünfmal saß Tarbel im Gefängnis. Als er am
15. Februar dieses Jahres wieder abgeholt wurde, versammelten sich die
Angehörigen der Opfer des Massakers von 1996 vor dem Gebäudes des
"Volkskomitees", der lokalen Regierung, und skandierten Parolen gegen
das Regime. Immer mehr Jugendliche schlossen sich ihnen an. Die Polizei
setzte Tränengas ein. Schließlich ließ sie den Rechtsanwalt frei. Doch
die Unruhen waren nicht mehr zu stoppen. Bald schoss die Polizei mit
scharfer Munition. Auch das half nicht mehr. Soldaten von Gaddafis Armee
liefen zu den Aufständischen über. Es kam zu bewaffneten
Auseinandersetzungen. Gaddafis Spezialtruppen mussten ihre Kaserne in
Bengasi räumen. Die Revolution war in einen Krieg gemündet. Das
"Volkskomitee" löste sich im Nichts auf. Und aus dem Nichts bildete sich
der Nationale Übergangsrat, der von Mustafa Abdul Dschalil geführt
wird, dem früheren Innenminister, der das Regierungskabinett in Tripolis
erst sechs Tage nach dem Beginn der Unruhen verlassen hatte. Tarbel,
der Rechtsanwalt und frischgebackene Politiker, ist in der
provisorischen Regierung für die Jugend zuständig. Der Rechtsanwalt hat
hohen Respekt vor dieser Jugend, die mit Todesmut in einem Teil Libyens
die Freiheit erkämpft hat. Er woill nun weiterkämpfen, bis Gaddafi geht. Und
dann? "Danach werde ich heiraten und Kinder machen", sagt Fathi Tarbel.
Es ist der Wunsch nach einem ganz normalen Leben in Freiheit und Würde. |