Beihilfe zum Betrug Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 10.03.2009

Wenn deutsche Romantiker einst besonders schöne, von Wald und Wiesen geprägte Landschaften entdeckten, erinnerten sie sich an die ferne Schweiz. Und so gibt es heute eine Märkische Schweiz, eine Sächsische Schweiz und eine Fränkische Schweiz. Doch die Schweiz ist nicht nur ein Paradies für Naturfreunde, sondern auch für Steuersünder. So jedenfalls sehen es die meisten EU-Staaten, so sieht es Peer Steinbrück, dem vor einem Jahr der Kragen platzte. "Statt zu Zuckerbrot müssen wir auch zur Peitsche greifen", drohte der deutsche Finanzminister den Eidgenossen recht undiplomatisch. Am 2. April könnte es so weit sein. Dann soll auf dem Gipfeltreffen der G20 in London darüber debattiert werden, wie die Steueroasen und Schlupflöcher geschlossen werden können.

Nun kriegen Staaten wie die Schweiz, Österreich und Luxemburg das Muffensausen. Am Freitag trafen sich ihre Finanzminister in einem Luxemburger Schloss, um Abwehrstrategien zu beraten. Sie haben Angst, dass ihre Länder auf eine schwarze Liste europäischer Schurkenstaaten kommen. Die drei Minister hatten die Chuzpe zu kritisieren, dass ihre Länder in Diskussionen über das Vorgehen gegen Steueroasen im Vorfeld des Gipfels nicht einbezogen werden. Sie erklärten, dass der Schutz von Bankdaten nicht die Ursache der Finanzkrise sei, was allerdings niemand behauptet hatte. Sie boten Kooperation an, ohne dies zu präzisieren. Aber vor allem betonten sie, dass sie am Bankgeheimnis festhalten würden.

Just das Bankgeheimnis aber, gehütet wie der Heilige Gral, ermöglicht eine Steuerflucht gigantischen Ausmaßes. Den Staaten der Europäischen Union entgehen - so schätzte die EU-Kommission im Jahr 2006 schon - dadurch jährlich Steuereinnahmen in Höhe von 200 bis 250 Milliarden Euro. Das ist kein Pappenstiel.

Doch in der Schweiz, die etwa ein Drittel des gesamten off-shore-Vermögens - des Vermögens also, das von ihren Besitzern ins Ausland transferiert wurde - verwaltet und damit Spitzenreiter in der Branche ist, stellt man das Bankgeheimnis weiterhin gerne auf eine Stufe mit dem Beichtgeheimnis der Priester oder der ärztlichen Schweigepflicht. In Österreich hat das Bankgeheimnis sogar Verfassungsrang. Auch Luxemburg und Liechtenstein profitieren vom Bankgeheimnis - weit mehr als die beiden Kleinststaaten allerdings profitiert Großbritannien, auf dessen Kanal- und Karibikinseln etwa ein Viertel der off-shore-Vermögen lagert.

Nicht nur die EU macht Druck auf Steueroasen. Die USA fordern von der Schweizer UBS, der größten Vermögensverwalterin der Welt, die Herausgabe der Daten von 52 000 US-Kunden. Erst vor drei Wochen rückte die UBS die Daten von 300 mutmaßlichen Steuersündern an den US-Fiskus heraus und zahlte diesem 780 Millionen Dollar Strafe, um einen langjährigen Steuerstreit zu beenden. Der UBS, die im letzten Jahr ein Minus von umgerechnet über 13 Milliarden Euro erwirtschaftete und vom Staat gestützt werden musste, blieb gar nichts anderes übrig als zu kapitulieren. Bei einer weiteren Strafverfolgung drohte Insolvenz.

Doch war das Bankgeheimnis schon aufgeweicht, bevor es die Amerikaner nun zum ersten Mal knackten. Zwar unterscheiden die Schweizer maliziös zwischen strafbarem Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, die bloß als Ordnungswidrigkeit, vergleichbar dem Parken im Halteverbot, geahndet wird und vom Bankgeheimnis gedeckt wird. Doch gegenüber den USA gilt der kleine Unterschied schon seit 2003 nicht mehr. In einem bilateralen Abkommen versprach die Schweiz der Großmacht, im Fall von "Steuerbetrug und dergleichen" ("fraud and the like") Amtshilfe zu leisten. Was unter "dergleichen" zu verstehen ist, wurde nicht präzisiert, bietet also Raum für Interpretation und Streit. Schon lange fordert die EU übrigens Gleichbehandlung.

Das Bankgeheimnis scheint zur Schweiz zu gehören wie der Käse, die Schokolade und das Matterhorn. Schon 1934 wurde es in ein Gesetz gegossen. Und immer wieder taucht die schöne Mär auf, man habe damit jüdisches Vermögen dem Zugriff der Gestapo entziehen wollen. Das ist Unsinn. Es war eine Reaktion auf die deutsche Bankspionage der Jahre 1931-1933. Im Übrigen hatte die Schweizer Bankiervereinigung schon zehn Jahre zuvor ziemlich unverblümt die reichen Deutschen zur Steuerflucht aufgefordert, als die Weimarer Republik 1919 das "Reichsnotopfer" einführte, eine Vermögensabgabe zur Abdeckung der Reichsschuld nach dem verlorenen Krieg.

Lange Zeit bunkerten Diktatoren aus Ländern der Dritten Welt ihre riesigen Vermögen in der Schweiz. Das ist längst nicht mehr das Problem. Es geht schlicht um Gerechtigkeit. Es ist nicht einzusehen, dass ein Staat Gelder versteckt, die einem andern Staat zustehen. Staaten wie die Schweiz, Österreich, Luxemburg leisten Beihilfe zu krimineller Steuerflucht. Zurecht kommt das Problem auf dem Londoner Gipfel aufs Tapet - ob Steinbrück nun mit oder ohne Peitsche auftaucht.

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