Gebt die Drogen frei! Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 18.03.2010


Vor seinem Feldzug gegen Saddam Hussein berief George W. Bush eine Pressekonferenz ein. Er werde 50 000 irakische Soldaten töten und einen holländischen Zahnarzt, tönte er. "Weshalb denn auch einen Holländer?", wollte ein Journalist wissen. "Damit alle Welt über den Einmarsch redet", antwortete der Präsident. Der recht schlichte Witz verweist auf die Logik medialer Wahrnehmung: Erst mussten am Wochenende zwei amerikanische Bürger, Angestellte des US-Konsulats der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez, sterben, bis die Welt wieder vom grausamen Krieg südlich des Río Grande sprach.



Seit Präsident Felipe Calderón im Dezember 2006 sein Amt antrat und der Drogenmafia den totalen Krieg erklärte, sind in Mexiko beim Kampf gegen die Bosse und vor allem bei Auseinandersetzungen zwischen den Kartellen 18 000 Menschen umgekommen. Im vergangenen Jahr waren es 7 700, davon allein in Ciudad Juarez 2 632, - erschossen, geköpft, verstümmelt. Zum Vergleich: In Afghanistan, das zwanzigmal mehr Einwohner als die mexikanische Grenzstadt hat, wurden im selben Zeitraum im Krieg und bei Terroranschlägen etwa 2 300 Zivilisten getötet.


Ciudad Juarez ist weltweit die Stadt mit der höchsten Mordrate. Hier machen sich zwei der vier großen mexikanischen Drogenkartelle, das Sinoloa- und das Juarez-Kartell, den Platz streitig. Es geht um die Kontrolle der Schmuggelwege nach El Paso, der amerikanischen Grenzstadt, einem der wichtigsten Einfallstore zum amerikanischen Markt. Aber der Drogenkrieg findet längst nicht mehr nur in der Grenzregion statt, sondern in weiten Teilen des Landes. Am vergangenen Wochenende wurden im südmexikanischen Badeort Acapulco, wo sich rivalisierende Drogengangs Straßengefechte lieferten, 34 Menschen getötet, unter ihnen sechs Polizisten.


Und was tat die Regierung bisher angesichts der ausufernden Gewalt? Sie verstärkte die Polizeipräsenz und schickte landesweit 50 000 Soldaten in einen Kampf, für den sie nicht ausgebildet sind. Die Gewalt vermochten sie nicht einzudämmen. Im Gegenteil, es werden seither noch mehr Tote gezählt. Der Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen. Das Salär der Polizisten wurde zwar verdoppelt, doch mit den Löhnen, die die Drogenbosse anbieten, kann der Staat nicht konkurrieren. So werden Razzien der Sicherheitskräfte regelmäßig verpfiffen, laufen ganze Polizeieinheiten in tödliche Fallen.


Die Korruption, befeuert durch ein Geschäft, bei dem allein auf dem blühenden US-Markt zweistellige Milliardengewinne erzielt werden, droht Polizei, Armee, Geheimdienst und Justiz zu zerfressen. In Mexiko, dem wirtschaftlich stärksten Land Lateinamerikas, geht das Gespenst eines zerfallenden Staates um.


Mexiko allein kann das Problem nicht lösen. Zu Recht macht Calderón die USA mitverantwortlich für die Misere. Schließlich stammen 90 Prozent aller Waffen, mit denen 18 000 Mexikaner und zwei US-Bürger getötet wurden, aus den USA, wo man Schießeisen kaufen kann wie andernorts Brezeln.

Die USA, wo rund 500 000 Süchtige und Kleindealer die überfüllten Knäste bevölkern, haben ein ureigenes Interesse am Krieg gegen die Drogenmafia, die nach amerikanischen Angaben inzwischen auch in 230 US-Städten operiert. Etwa eine Billion Dollar haben die Vereinigten Staaten ausgegeben, seit Präsident Nixon vor 40 Jahren mitten im Vietnam-Krieg eine zweite Front eröffnete - gegen die Drogenbarone. Und in seiner dreijährigen Amtszeit hat Calderón im Rahmen des Mérida-Plans für seinen Krieg 1,4 Milliarden Dollar von den USA erhalten. Verschleudertes Geld.


Es gibt nur eine Lösung. Der Konsum von Drogen muss legalisiert, der Markt, auf dem sie gehandelt werden, staatlich kontrolliert und so der Mafia das Geschäft vermasselt werden. Utopisch? Drei frühere Präsidenten betroffener Staaten, der Mexikaner Ernesto Zedillo, der Kolumbianer César Gaviria und der Brasilianer Fernando Cardoso, haben einen solchen Strategiewechsel zunächst mindestens für Marihuana explizit empfohlen. Selbst das konservative Wall Street Journal dachte jüngst öffentlich darüber nach.


Vor 90 Jahren verboten die USA den Handel mit Alkohol. Als die Prohibition nach 14 Jahren aufgehoben wurde, waren bereits Zehntausende gestorben - durch Kugeln der Schmugglerbanden und gepanschten Schnaps. Zwar gab es auch nach der Legalisierung der Volksdroge Besoffene, vielleicht sogar ein bisschen mehr, aber - so resümierte der jüngst verstorbene argentinische Schriftsteller Tomas Eloy Martínez - "es verschwanden die Al Capones".

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