Der Fußball als Waffe der Politik |
Thomas Schmid, Frankfurter Rundschau, 03.02.2012
Wie schon bei den Pogromen gegen die Kopten versuchen
obskure Kräfte in Ägypten, Angst vor dem Chaos zu schaffen, um Rufe nach
der starken Hand zu mehren. Die Gewalt im Stadion war nicht spontan. Ägypten trauert – drei Tage lang, verordnet vom herrschenden Militärrat. Mindestens 74 Tote am Rande eines Fußballspiels! Dass es sich um Opfer eines spontanen Gewaltausbruchs handelt, glaubt in Ägypten niemand. In der Tat, vieles spricht dagegen. Der Fußball ist in Ägypten ein Politikum, nicht erst seit vorgestern, dem schwarzen Mittwoch. Was Europa betrifft, ist längst klar: Der Fußball hat seine Unschuld verloren. Wirtschaft und Politik haben sich des runden Leders bemächtigt. Auf dem Pausenhof mag es noch ein Spiel sein; jenseits davon geht es um Geld und Macht, da werden Wetten manipuliert, Spieler für Millionen verhökert und Milliarden in Werbung und exklusive Senderechte investiert. Da kein Massensport so viele Gemüter bewegt
wie der Fußball, haben ihn auch die Politiker entdeckt. Berlusconi hat
sich einst einen großen Fußballclub gekauft, den nationalen Schlachtruf
„Forza Italia“ zum Namen seiner Partei gemacht und damit Wahlen
gewonnen. Und wenn es Deutschland ins Finale einer Fußball-WM schafft,
muss Angela Merkel selbstredend auf die Ehrentribüne, ob sie die
Abseitsregeln nun kennt oder nicht. Was für die reichen
europäischen Gesellschaften gilt, trifft erst recht für die ärmeren
Staaten zu, wo das Spiel oft genug das Brot ersetzt, und insbesondere
gilt es in Diktaturen. Der amerikanische Wissenschaftler James
Dorsey, der heute am Nahost-Institut der Universität von Singapur
lehrt, meint, dass der Fußball im arabischen Raum einer der wichtigsten
zivilgesellschaftlichen Bereiche sei, der sich den repressiven Regimen
ebenso erfolgreich widersetzt habe wie die militanten Islamisten und
ähnlich wie diese intensive Gefühle und Opferbereitschaft erzeuge. Wohl
deshalb hat das syrische Regime schon zu Beginn der Arabellion den
Fußballbetrieb auf unbestimmte Zeit suspendiert. In
Ägypten, wo die Massen noch mehr in den Fußball vernarrt sind als in den
anderen arabischen Ländern, befinden sich die besseren und deshalb
einträglicheren Fußballclubs im Besitz der Militärs, der Polizei oder
sogar einzelner Ministerien. Das mag auch ein Grund sein, weshalb weder
Mubarak noch der Militärrat, der nach dessen Sturz die Macht übernahm,
den Spielbetrieb stoppten Aus den Fan-Gemeinden, oft
gewalterprobt wie in deutschen Landen auch, stammten viele jener jungen
Revolutionäre, die vor einem Jahr auf dem Tahrir-Platz an vorderster
Front gegen eine prügelnde Polizei kämpften oder die friedlichen
Demonstranten abschirmten. Besonders gilt dies für den Fanclub
von Al Ahli – so meint jedenfalls Dorsey, der einen Blog über den
Fußball im Nahen Osten führt. Die Fangemeinde von Al Ahli, des
populärsten ägyptischen Fußballclubs, hat aber nicht nur die Revolution
befeuert. Sie hat auch im aktuellen Konflikt zwischen Jugendlichen, die
von einer gestohlenen Revolution und von der Notwendigkeit einer
zweiten reden, und den militärischen Machthabern Position bezogen. Sie
fordert den Rückzug der Armee aus der Politik. So ist es wohl
kein Zufall, dass Spieler und Anhänger von Al Ahli den mörderischen
Attacken von „Zuschauern“ zum Opfer fielen. Doch, man darf es vermuten,
ging es nicht bloß darum, diesen eine Lektion zu erteilen. Wie schon bei den
Angriffen gegen Demonstranten im letzten Quartal des vergangenen Jahres,
die Dutzenden das Leben kostete, und wie auch bei den nie ernsthaft
untersuchten Pogromen gegen die christliche Minderheit der Kopten
versuchten obskure Kräfte, Angst vor Chaos zu schaffen, um den Ruf nach
einer starken Hand zu mehren. Die starke Hand aber ist die Armee,
die die Macht von Mubarak übernommen hat und sie nicht abgeben will.
Mohammed Tantawi, der Präsident des herrschenden Militärrats, hat dem
vor einem Jahr gestürzten Diktator 20 Jahre lang als
Verteidigungsminister gedient. Die Armee ist auch eine
wirtschaftliche Macht. Sie nimmt die Abgaben aus dem Suez-Kanal ein,
kontrolliert große Teile des Tourismussektors und auch der Bauindustrie. Ob
sie nach den Wahlen, bei denen die Islamisten über 70 Prozent der
Stimmen gewonnen haben, die politische Macht abgibt, ob sie sich aus der
Wirtschaft zurückzieht und ob der Verteidigungshaushalt künftig von
einer zivilen Regierung kontrolliert wird, steht in den Sternen Unter den
Muslimbrüdern, deren Partei stärkste politische Kraft wurde, scheint die
Bereitschaft zu einer Machtteilung mit den Militärs groß. Und in
liberalen Kreisen möchte manch einer – aus Angst vor den Salafisten, religiösen Fundamentalisten, die zweitstärkste Kraft wurden – die Armee
als obersten Garanten einer neuen Verfassung etablieren, eine Aufgabe,
wie sie die Armee in der Türkei bis vor kurzem beanspruchte. In
dieser Optik scheint das Drama von Port Said nur Teil einer größeren
Auseinandersetzung um die Zukunft Ägyptens, über die auch nach den
Wahlen noch längst nicht entschieden ist. Vieles spricht dafür,
dass die 74 Toten der Hafenstadt nicht die letzten Opfer eines
versteckten Machtkampfs in Ägypten sein werden. © Frankfurter Rundschau |