Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 26.01.2013
Frankreichs Einmarsch in Mali ist natürlich interessegeleitet
Es fehlt nicht an warnenden Stimmen. Afghanistan wird als
Menetekel an die Wand gemalt. Einmarschieren ist ja - an Beispielen
gebricht es nicht - einfacher als wieder abzuziehen. Stolpert
Deutschland ins nächste Abenteuer? Und kann eine Intervention
überhaupt eine Lösung sein? Es geht um Mali.
Als Frankreich am 11.
Januar in seiner ehemaligen Kolonie militärisch intervenierte, war die
Zustimmung groß: in Frankreich, im übrigen Europa und vor allem in
Mali selbst. Man kann darüber spekulieren, was passiert wäre, hätten
die französischen Eliteeinheiten den Vormarsch der Islamisten,
die im Norden Malis ein Reich des Terrors errichtet haben, nicht
gestoppt. Hätten die Gotteskrieger die Hauptstadt Bamako erobert?
Vielleicht.
Gewiss scheint, dass sie die Militärbasis und den
Flughafen von Sévaré eingenommen hätten, was jede Rückeroberung des
Nordens viel schwieriger und viel verlustreicher gemacht hätte, als sie
ohnehin sein wird. Und sehr wahrscheinlich wäre der labile Staat
ganz kollabiert. Die malische Armee ist in einem desolaten
Zustand, ihre Kommandostruktur zusammengebrochen. Völkerrechtlich bewegte sich Frankreich auf dünnem Eis. Der
UN-Sicherheitsrat hat im Dezember eine "internationale, afrikanisch
geführte Hilfsmission für Mali" autorisiert, aber keine französische
Intervention. Frankreichs Präsident rekurrierte denn auch gar
nicht auf die Resolution des UN-Sicherheitsrates, sondern auf den
Hilferuf des malischen Präsidenten. Wenn eine Regierung in Not
eine andere um Hilfe bittet, ist dies zunächst eine Frage der
bilateralen Beziehungen. Das Problem ist bloß, dass die Regierung in
Bamako überhaupt keine demokratische Legitimität hat, sondern unter dem
Druck von Putschisten eingesetzt wurde. Der UN-Sicherheitsrat sorgte
schließlich für Klarheit. Drei Tage nach der französischen
Intervention hieß er diese gut. Einmütig. Was aber wollen die
Franzosen? Weshalb sind sie einmarschiert? Geht es ihnen wirklich
darum, Mali zu helfen, ein Terrorregime zu beseitigen, in dem Dieben die
Hände abgehackt und Ehebrecher gesteinigt werden? Geht es
vielleicht nicht doch um das Uran, das die Franzosen so dringend für
ihre Atommeiler benötigen? Humanitäre Beweggründe mögen eine
Rolle gespielt haben, aber natürlich ist die Intervention der
Franzosen vor allem interessegeleitet. Mali besitzt zwar
Uranvorkommen, doch werden die bislang noch gar nicht ausgebeutet. Im
benachbarten Niger hingegen schürft der französische
Staatskonzern Areva seit Jahrzehnten Uran. Eine Destabilisierung Malis,
wie sie sich mit dem Vormarsch der Islamisten konkret abzeichnete,
hätte über kurz oder lang auch die Stabilität des Niger und der ganzen
Sahel-Zone gefährdet - und damit auch handfeste französische
Interessen. Wenn in einigen Wochen oder Monaten in Nordmali keine
Hände mehr amputiert werden und die Menschen wieder rauchen und
Musik hören dürfen, darf dies ruhig als Kollateralnutzen einer
interessegeleiteten Intervention verbucht werden. Machen wir uns
nichts vor! Humanitäre Interventionen sind eine Chimäre. Es geht
immer auch um Interessen. Als der grüne Außenminister Joschka
Fischer 1999 die deutsche Beteiligung an der - im Übrigen
völkerrechtswidrigen - Intervention im Kosovo mit den Worten "Nie
wieder Auschwitz" begründete, mag ihm vielleicht noch der Schock von
Srebrenica in den Knochen gesteckt haben. Im Osten Bosniens hatten
serbische Truppen 1995 eine UN-Schutzzone erobert und anschließend an
die 8000 Jugendliche und Männer ermordet. Hinter der pathetischen
Floskel, die an deutsche Verbrechen gemahnt, versteckten sich
aber handfeste Interessen. Deutschland wollte nicht wieder - wie
schon während des Bosnien-Krieges - Hunderttausende Flüchtlinge
aufnehmen. Und der Westen befürchtete, der serbische Machthaber Slobodan
Milosevic versuche, über die gezielte Vertreibung der
Kosovo-Albaner Mazedonien zu destabilisieren mit unvorhersehbaren
Konsequenzen für Albanien, Griechenland und vielleicht auch die
Türkei. Als Kollateralnutzen einer interessegeleiteten Intervention
sind die Kosovo-Albaner nun frei von einer oft demütigenden
serbischen Fremdherrschaft. Schauen wir geschichtlich
weiter zurück: Die Amerikaner intervenierten im Zweiten Weltkrieg
nicht, um die Demokratie zu retten. Sonst wären sie 1933, 1936, 1938
oder allerspätestens 1939 in Deutschland einmarschiert, und
hätten sich nicht erst 1941 nach dem japanischen Angriff auf Pearl
Harbor eingeschaltet. Es ging ihnen auch nicht vorrangig darum, den
Holocaust zu stoppen. Sonst hätten sie die Gleise bombardiert, die
nach Auschwitz, Treblinka und Sobibor führten. Sie haben aus krudem
eigenen Machtinteresse gehandelt, und die Deutschen müssen ihnen
dafür dankbar sein. Ein Riesenkollateralnutzen gewissermaßen. Und wer
behauptet, Interventionen lösten prinzipiell keine Probleme, hat hier
ein Gegenbeispiel. US-Präsident George W. Bush hatte die
amerikanische Intervention im Irak mit angeblich vorhandenen
Massenvernichtungsmitteln und mit einer Zusammenarbeit zwischen Saddam
Hussein und Al-Kaida begründet. Beides waren freche Lügen.
Verlogen ist auch die amerikanische Invasion in Afghanistan, insofern
die USA die Taliban aufgepäppelt haben, die sie nun bekämpfen. Doch
kehren wir vor der eigenen Tür: Deutschland will Saudi-Arabien Panzer
im Wert von rund 100 Millionen Euro verkaufen - demselben
Saudi-Arabien, das während des arabischen Frühling Truppen nach Bahrain schickte, salafistische Gruppierungen in Nordafrika
alimentiert, in Bamako wahhabitische Koranschulen fördert, vermutlich
eine der islamistischen Milizen in Mali finanziert hat und innerhalb der
eigenen Grenzen Dieben die Hände amputiert.
Solch
himmelschreienden Skandale bestärken jene, die militärische
Interventionen generell ablehnen, zumal wenn sie vom
UN-Sicherheitsrat nicht autorisiert sind. Aber war es moralisch zu
vertreten, dass 1994 französische Truppen in Ruanda zu Beginn des
Genozids, der in hundert Tagen 800000 Menschenleben forderte,
intervenierten, um die eigenen Staatsbürger zu retten, aber nichts
taten, um den Massenmord rechtzeitig zu stoppen, was nur unter
Bruch des Völkerrechts möglich gewesen wäre? Ein Plazet des
Sicherheitsrats lag ja nicht vor. Nach dem Krieg in Bosnien
bekannte der heute in Den Haag einsitzende bosnische Serbenführer
Radovan Karadzic in einem BBC-Interview: "Hätte der Westen mit 10000
Soldaten unsere Versorgungslinien gekappt, wären wir
Serben am Ende gewesen." Wenn das stimmt, hätte eine Intervention
vermutlich ungefähr 100000 Menschenleben retten können. Aber das
UN-Mandat ließ damals nur die Begleitung und Durchsetzung humanitärer
Hilfstransporte zu. Gewiss, in Ruanda wie in Bosnien versagte die
UNO. Aber eben nicht nur sie. Zugespitzt könnte man auch behaupten, dass
in beiden Fällen kein Staat aus wirtschaftlichem oder geostrategischem
Interesse auf eine Intervention drängte, die quasi als
Kollateralnutzen Zehntausende von Menschenleben hätten retten
können. Zurück zu Mali. Natürlich wäre es gut gewesen, der
Westen hätte die Libyen-Intervention nach dem Tod Gaddafis nicht
abgebrochen, sondern zu Ende geführt und verhindert, dass Söldner des
libyschen Diktators mit ihren Waffen nach Mali einsickerten. Noch
besser wäre es gewesen, der Westen hätte zuvor gar keine Waffen ins
Ausland exportiert, die auf Umwegen dann Gaddafis Arsenale füllten.
Waffen, mit denen nun radikale Islamisten die Bevölkerung Nordmalis
in Schach halten. Hätte. Wäre. Der Konjunktiv hilft nicht weiter. Jetzt
muss unter den gegebenen Voraussetzungen ein Weg gefunden werden. Frankreich ist vorgeprescht und konnte dies, weil es als einzige
frühere Kolonialmacht militärische Basen in der Region hat. Kaum war
das zunächst genannte Ziel jedoch erreicht und waren die
Islamisten auf ihrem Vormarsch gestoppt, weitete Frankreichs
Präsident das Ziel aus: Jetzt geht es um die Rückeroberung
Nordmalis. Das ist eine Frage von Monaten. Mindestens. Und
angesichts der drohenden ethnischen Konflikte, die sich mit der
Rückeroberung abzeichnen, wird es eine Lösung im Norden nur geben,
wenn es gelingt, im Süden eine demokratisch legitimierte Macht zu
etablieren. Die Europäische Union darf sich nun, wo die Franzosen
das Schlimmste verhindert haben, nicht mehr damit begnügen, den
Franzosen einfach Hilfe zu leisten. Sie muss selbst eine Politik und
Strategie zur Befriedung Malis erarbeiten. Europa hat ein eminentes
Interesse an einer stabilen Sahel-Zone. Und deshalb können die Menschen
im Norden auf ein Ende des Terrorregimes hoffen. Kollateralnutzen
eben.
© Berliner Zeitung
Dies ist eine korrigierte Fassung des Textes. In der publizierten Fassung hatte ich geschrieben, dass saudische Truppen den Aufstand in Bahrain niedergeschlagen hätten. Das ist falsch. Saudische Truppen marschierten zwar ein und übernahmen den Schutz strategisch wichtiger Einrichtungen, der Aufstand selbst wurde von Sicherheitskräften Bahrains niedergeschlagen. Der Leserin, die mich auf den Fehler hingewiesen hat, danke ich. |