Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 29.08.2013
Es scheint nicht mehr eine Frage des Ob, sondern
nur noch des Wann zu sein. Im Konflikt um Syrien hat sich ein
Handlungsdruck aufgebaut, der jeder rationalen Grundlage entbehrt und
eine gefährliche Eigendynamik entwickelt. Für nüchternes Abwägen von
Handlungsperspektiven gibt es offenbar keinen Raum mehr, wenn es um die
sogenannte Glaubwürdigkeit US-amerikanischer Politik geht. Schon wird
gefragt: Wer würde die USA noch ernst nehmen, wenn sie jetzt nicht
zuschlagen? Welche Lehren würden Nordkorea und Iran daraus ziehen?
Dabei ist die Frage der Täterschaft der Gasangriffe bei Damaskus
weiterhin ungeklärt. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Resultate
der Kommission von UN-Experten die an den Orten des Geschehens
recherchieren, nicht abzuwarten. Und wenn US-Präsident Barack Obama
heute oder morgen oder übermorgen die Beweise präsentiert, die
seine Geheimdienste zusammengetragen haben, um die Schuld des syrischen
Diktators Baschar al-Assad zu untermauern, müssen diese erst
mal auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Das alles braucht
Zeit.
Auch wenn Obama, anders als sein Vorgänger, kein Haudegen
ist und keine schrille Kriegsrhetorik pflegt, ist nicht
auszuschließen, dass er unter innenpolitischem Druck zeitlich begrenzte
Luftschläge anordnet - trotz unklarer Beweislage. Es müssten nicht so
plumpe Lügen sein wie jene, mit denen George W. Bush 2003 seinen Feldzug
gegen den Irak begründete. Schon Halbwahrheiten würden die
Glaubwürdigkeit der US-Politik nachhaltiger beschädigen als
jedes Zuwarten.
Sollte sich aber zweifelsfrei herausstellen,
dass Assads Regime chemische Waffen einsetzte und für den Tod
Hunderter Zivilisten verantwortlich ist, darf dieser Tabubruch nicht
ungesühnt bleiben. Luftschläge könnten dann zumindest ein klares Signal
setzen und Assad von einem weiteren Einsatz chemischer
Massenvernichtungswaffen abhalten.
Einer militärischen oder
politischen Lösung des Konflikts wäre man dann allerdings nicht
näher. Vor einem oder zwei Jahren wäre es vielleicht sinnvoll gewesen,
Assad durch militärische Operationen oder durch massive
Aufrüstung der Rebellen wenigstens so weit zu schwächen, dass er sich an
den Verhandlungstisch gesetzt hätte. Innenpolitisch war dies damals
in den Ländern, die heute Syrien mit einem Militärschlag drohen,
allerdings nicht durchsetzbar. Heute ist die Lage weitaus
schwieriger. Aus dem Niederkartätschen friedlicher
Demonstranten ist ein bewaffneter Aufstand, aus diesem längst ein
Bürgerkrieg geworden. Libanesische Hisbollahs kämpfen Seite an Seite mit
syrischen Soldaten gegen die Islamisten der mit Al-Kaida
verbündeten Al-Nusra-Front, Kurden gegen Sunniten und
Sunniten gegen Alawiten. Und je länger der Krieg dauert, desto stärker
werden innerhalb der Opposition die Islamisten. Vor einer militärischen
Intervention, die, wie humanitär auch immer begründet, doch
interessengeleitet ist, schreckt der Westen schon deshalb zurück, weil
er befürchtet, den Teufel Assad mit dem islamistischen Beelzebub
auszutreiben.
Letztlich wird es in Syrien eine Lösung nur auf dem
Verhandlungsweg geben. Dass Obama nun die fürs Wochenende in Belgien
anberaumten Gespräche mit Putin abgesagt hat, ist ein schlechtes
Zeichen. Nur Russland kann Assad zum Einlenken oder gar Rücktritt
zwingen. Seine Interessen müssen also berücksichtigt werden. Es geht
auch um seinen Marinestützpunkt an der syrischen Küste. Mit Assad wird
es keine Lösung geben. Er ist der Hauptschuldige am Krieg und keiner
Opposition zuzumuten. Das weiß auch Putin, und er wird ihn eines Tages
fallen lassen - fragt sich nur, wann und zu welchem Preis.
Mit
an den Verhandlungstisch gehört auch - horribile dictu - der Iran,
der Syrien Waffen und Revolutionsgardisten liefert und
die Hisbollah ausrüstet, die ihrerseits Israel bedroht. Lange haben die
USA gehofft, der syrische Aufstand werde indirekt das Mullah-Regime
schwächen. Jetzt müssen sie einsehen, dass - umgekehrt - Teheran
gebraucht wird, um das Problem in Damaskus zu lösen. Man wird also auch
die Interessen des Iran berücksichtigen müssen. Mit Hassan Rohani,
seit vier Wochen Präsident, dürfte das Gespräch leichter fallen als mit
seinem Vorgänger, dem Hitzkopf Mahmud Ahmadinedschad.
Bis es
zu einer Verhandlungslösung kommt, die dann auch die Sicherstellung
des drittgrößten Chemiewaffenarsenals der Welt ermöglicht, wird der
Krieg weitergehen. Er wird nicht ausbluten. Die Waffenzufuhr
ist auf beiden Seiten gesichert. Uns aber bleibt vor allem,
humanitäre Hilfe zu leisten und Flüchtlinge aufzunehmen.
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