Armes Afrika, reiches Afrika |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 28.12.2013 Jahrzehntelang war Afrika der Inbegriff von Hunger, Elend und Krieg, ein verlorener Kontinent, für immer abgehängt - ein Fall für karitative Organisationen und Entwicklungshilfe. Doch in jüngster Zeit hat sich die Wahrnehmung Afrikas gewandelt. Es kam die Rede vom erwachenden Riesen auf, von den schier unbegrenzten Ressourcen des Kontinents und von einer wachsenden Mittelschicht, Voraussetzung für die Entwicklung hin zur Moderne. Hochglanzmagazine porträtieren nun afrikanische Milliardäre - nicht Despoten der alten Art wie Mobutu, Bokassa, Idi Amin, sondern tüchtige erfolgreiche Geschäftsleute. In der Tat hat sich in den letzten Jahren eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Was das Wirtschaftswachstum anbelangt, hat Afrika alle Kontinente abgehängt. In dem Teil des Kontinents, der südlich der Sahara-Wüste liegt und gemeinhin Schwarzafrika genannt wird, wuchs das Bruttoinlandsprodukt in den meisten Staaten jährlich um fünf bis zehn Prozent, in Angola sogar um 23 Prozent. In dessen Hauptstadt Luanda, vor zehn Jahren noch eine der ärmsten afrikanischen Metropolen, wachsen heute Wolkenkratzer in den Himmel. Luanda gilt inzwischen als teuerste Stadt der Welt. Angola, mit Erdöl reichlich gesegnet, hat vom Rohstoffhunger aufstrebender Staaten, vor allem Chinas, profitiert. Angola wurde reich, aber nicht unbedingt die Angolaner. Die meisten von ihnen sind arm wie eh und je. Und ob das schwarze Gold letztlich zum Fluch wird oder eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung einleitet, hängt vor allem von der Fähigkeit der politischen Elite ab, die Einnahmen aus dem Ölgeschäft für eine Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur zu nutzen, um Arbeitsplätze und Masseneinkommen zu schaffen. Etwa die Hälfte aller schwarzafrikanischen Staaten hat vom weltweiten Boom der Rohstoffpreise profitiert. Afrika hat die Erlöse aus dem Export im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt. Doch es führt Rohstoffe aus, die im Wesentlichen anderswo weiterverarbeitet werden und anderswo Arbeitsplätze schaffen. Die industrielle Produktion selbst hingegen schrumpft in Afrika, und der Agrarsektor partizipiert kaum am Boom. China überschwemmt den Kontinent mit billigen Textilien, die EU mit subventioniertem Milchpulver (s. Fußnote). Beides zerstört die lokalen Märkte. Beides schafft Armut und führt zu verstärkter Auswanderung, zu neuen Wirtschaftsflüchtlingen, die in die Festung Europa gelangen wollen. Etwa die Hälfte der schwarzafrikanischen Staaten profitiert vom Boom. Bleibt die andere Hälfte. Krieg gibt es auch in reichen Staaten wie im Kongo, dort sogar nicht obwohl, sondern weil der Staat reich an Rohstoffen ist. Doch die Verarmung von Staaten vergrößert das Risiko von Krieg und Kollaps. In Mali ist es französischen Truppen vor einem Jahr gelungen, den Vormarsch der Islamisten zu stoppen und einen Zusammenbruch des Staates mit unabsehbaren Folgen zu verhindern. In der Zentralafrikanischen Republik sind die Franzosen vor drei Wochen einmarschiert, zum achten Mal seit 1979. Angesichts der Massaker von christlichen wie islamischen Milizen wurde die vom UN-Sicherheitsrat autorisierte Intervention auch im Westen weithin begrüßt. Doch eine nachhaltige Befriedung des Landes wird sie kaum bringen. Und jetzt der Südsudan. Ob die Verhandlungen in Nairobi und Blauhelme vor Ort den vor zwei Wochen ausgebrochenen Bürgerkrieg beenden können, ist höchst ungewiss. Anders als Mali und die Zentralafrikanische Republik war der Sudan britische Kolonie. Und die Briten haben sich - anders als die Franzosen, die in einem halben Dutzend afrikanischer Länder Truppen stationiert haben - vom Kontinent verabschiedet. Wenn eine Befriedung des Südsudan aber nicht gelingt, werden sich wohl schon bald Tausende auf den Weg durch die libysche Wüste machen, um sich rostigen Seelenverkäufern anzuvertrauen. Auch sie werden versuchen, die Mauern der Festung Europa zu überwinden. Auf absehbare Zeit werden also weiterhin Flüchtlinge nach Europa kommen. Kurzfristig gibt es keine Lösung. Langfristig nur, wenn den Ländern Afrikas wirklich geholfen wird. Die traditionelle Entwicklungshilfe muss zur Disposition gestellt werden. Sie hat in paternalistischer Art Afrika eher in Abhängigkeit gehalten, als ihm den Weg aus Armut und Elend zu erleichtern. Und wichtiger als jede Finanzhilfe, die oft nur Korruption befördert, ist es, die unselige Politik zu beenden, die Überschüsse der subventionierten europäischen Agrarproduktion auf die afrikanischen Märkte zu werfen. Und wenn dann den afrikanischen Staaten noch durch den vollständigen Abbau von Zollschranken die Ausfuhr ihrer Agrarprodukte nach Europa erleichtert würde, wären neue Weichen gestellt.(s. Fußnote) Aber
das ist Utopie.Da geht es um handfeste europäische Interessen, und
deshalb wird sich an der grundsätzlichen Ausrichtung der Flüchtlings-
und Asylpolitik nichts ändern. Jedenfalls nicht zum Besseren. Frontex
erhält neue Befugnisse, mit
Eurosur wird die Flüchtlingsabwehr perfektioniert, und der Türkei wurde
gerade ein Rücknahmeabkommen aufgedrängt. "Deutschland ist ein
weltoffenes Land", heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Regierung.
Die Wahrheit ist: Deutschland will sich das
Problem schlicht vom Hals schaffen.
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