Afrika vor der nächsten Katastrophe Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 03.01.2014


Hutu gegen Tutsi in Ruanda, hellhäutige Tuareg gegen Schwarzafrikaner in Mali und nun also Dinka gegen Nuer im Südsudan. Breite Nasen gegen schmale Nasen, helle Haut gegen dunkle Haut - wenn es um Afrika geht, werden Konflikte schnell als Stammesfehden begriffen, in völkische Kategorien gefasst. Als hätten in Ruanda nicht Hutu auch Hutu umgebracht, als wäre die Tuareg-Miliz überhaupt repräsentativ für die hellhäutige Bevölkerung Malis. Auch der Bürgerkrieg im Südsudan ist ursächlich kein ethnischer Konflikt.

Es geht um wirtschaftliche Interessen und um politische Auseinandersetzungen - und wenn letztere einmal erfolgreich in ethnische Konflikte umgemünzt sind, wird es brandgefährlich. Im Südsudan sind in zwei Wochen 120 000 Menschen aus ihren angestammten Orten vertrieben worden. Vermutlich wurden schon Tausende Zivilisten getötet.

Als vor zweieinhalb Jahren der Südsudan als jüngster Staat in die Uno aufgenommen wurde, herrschte weithin Zufriedenheit. Es war gelungen, über Verhandlungen einen 20-jährigen Bürgerkrieg, der zwei Millionen Todesopfer gefordert hatte, zu beenden. Der sudanesische Diktator Umar al-Baschir, vom Internationalen Strafgericht in Den Haag mit Haftbefehl gesucht, hatte in die Abspaltung des Südens eingewilligt.

Der Krieg, der im Südsudan am 16. Dezember "ausgebrochen" ist, ist gewissermaßen eine Folge dieser Sezession. Denn 80 Prozent des früher von Sudan geförderten Erdöls liegen im abgespaltenen Südsudan. Doch die Pipelines, in denen das schwarze Gold zu den Ölterminals am Indischen Ozean fließt, führen durch den (Nord-) Sudan.

Baschir forderte unter dem Druck der wirtschaftlichen Probleme seines geschrumpften Landes immer wieder Transitsteuern, die ein Mehrfaches über dem weltweiten Standard liegen. Und wenn der Süden nicht bezahlte, zapfte der Diktator im Norden oft Öl aus den Pipelines.

Salva Kiir, dem mit 93 Prozent der Stimmen von Dinka, Nuern, Schilluk, Azande und von Angehörigen anderer Ethnien gewählten Präsidenten Südsudans, wirft die Opposition vor, mit Baschir auf Schmusekurs zu gehen. Offenbar braucht er Geld, um sich im kommenden Jahr die Wiederwahl zu sichern. Also versuchte er, den Konflikt mit Baschir zu entschärfen. Hohe Armeeoffiziere, die sich seinem Kurs widersetzten, schickte er in den vorzeitigen Ruhestand. Und er wechselte sein ganzes Kabinett aus. Auch seinen Vize Riek Machar, einen Nuer, schickte der Präsident, ein Dinka, in die Wüste. Vor einem Monat kündigte die Opposition Massenproteste gegen den Präsidenten an. Am 15. Dezember wurden bei Razzien zahlreiche ihrer Führer festgenommen, unter ihnen Ex-Minister aus sechs verschiedenen Ethnien, auch Dinkas.

Ob es am 16. Dezember einen Putschversuch gab. wie Kiir behauptet, ist umstritten. Aber offenbar machte schon am selben Tag eine Dinka-Miliz Jagd auf Nuer. Meuternde Militärs gründeten Nuer-Milizen, die sich ganzer Landstriche bemächtigten. Der Krieg ist nicht einfach "ausgebrochen", sondern ein politischer Konflikt wurde erfolgreich in eine militärische Auseinandersetzung zwischen Ethnien überführt - mit noch unabsehbaren Folgen.

Unter dem Druck ostafrikanischer Staaten hat Kiir in Friedensverhandlungen eingewilligt. Auch sein Gegner Machar ist dazu bereit, nachdem er die für die Kontrolle der Ölproduktion wichtige Stadt Bor eingenommen hat. Ob es aber zu ernsthaften Verhandlungen kommt, ist höchst ungewiss. Die Alternative ist eine unkontrollierbare Ausweitung des Kriegs und infolgedessen eine Massenflucht, auch in die Nachbarstaaten. Einige Flüchtlinge werden es gewiss auch nach Europa schaffen.

Das Kontingent der Blauhelme wird schon bald aufgestockt werden. Einen Kampfauftrag haben sie jedoch nicht. Ob bei einem Scheitern der Verhandlungen eine Friedenstruppe der Afrikanischen Union - ähnlich wie in Somalia - oder eine mit robustem Mandat ausgerüstete UN-Truppe - wie im Kongo - den Krieg eindämmen kann, ist fraglich. Es droht die Destabilisierung einer ganzen Region. Auch ein Genozid ist nicht auszuschließen. Schon bald könnte deshalb der Ruf nach einer von der Uno autorisierten internationalen Intervention ertönen.

Doch in den USA ist die Lektion von Somalia noch nicht vergessen. Die Franzosen sind in diesem Jahr schon in ihren Ex-Kolonien Mali und Zentralafrikanische Republik einmarschiert. Die Briten haben sich von Schwarzafrika - ihr Intermezzo in Sierra Leone blieb eine Ausnahme - längst verabschiedet. Es sieht alles danach aus, dass die Afrikaner diesmal das Problem allein lösen müssen.


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