Arabische Jahreszeiten Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 13.01.2014


Vor drei Jahren flüchtete Tunesiens Diktator Ben Ali ins Exil. Einen Monat später verjagten die Ägypter Mubarak, wenige Tage danach brach in Libyen eine Revolte gegen Gaddafi aus, und noch im März desselben Jahres erreichte die Rebellion Syrien. Der arabische Frühling beflügelte Fantasien einer Demokratisierung des gesamten Nahen Ostens und Nordafrikas. Doch überall erstarkten bald die Islamisten, Trittbrettfahrer der Revolution. Spätestens nachdem sie die Wahlen in Tunesien und Ägypten gewonnen hatten, war vom arabischen Winter die Rede. Wer gedacht hatte, im arabischen Raum würden Schweizer Verhältnisse ausbrechen, hat sich aber genauso geirrt wie jene, die schon überall theokratische Diktaturen witterten. Euphorie und Schwarzmalerei ersetzten oft den nüchternen Blick. Im arabischen Raum findet ein epochaler Umbruch statt. Er bringt Instabilität mit sich, ist auch mit Rückschritten verbunden. Aber ein Zurück zu den alten Verhältnissen wird es nicht mehr geben.

Am besten war die Ausgangslage in Tunesien. Seit einem halben Jahrhundert haben dort die Frauen fast die gleichen Rechte wie die Männer, es gibt ein gut entwickeltes Bildungswesen und eine breite Mittelschicht. Die Armee hat keine politischen Ambitionen. Die Islamisten, die 2011 nach ihrem Sieg bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung die Regierung übernahmen, versuchten, die Rechte der Frauen zu beschneiden und die Scharia als Quelle der Gesetzgebung in der Verfassung zu verankern. Aber eine starke Gewerkschaft und eine mobilisierte Zivilgesellschaft haben beides verhindert und den Durchmarsch der Bärtigen gestoppt.

Die Islamisten mussten einlenken. Vor wenigen Tagen wurde ein parteiloser Übergangspremier vereidigt. Die Verfassung, von Regierungs- und Oppositionsparteien im Streit, aber gemeinsam ausgearbeitet, soll noch in diesem Monat verabschiedet, ein Parlament noch in diesem Jahr gewählt werden. Den meisten Menschen geht es heute wirtschaftlich schlechter als vor zwei Jahren. Die aktuellen Proteste erinnern daran, dass Ruhe erst dann einkehrt, wenn auch die Jugend des Landesinnern, von der die Revolution ausgegangen ist, eine Perspektive auf ein Leben in Würde findet. Wirtschaftspolitisch haben die Islamisten versagt. Vor allem deshalb werden sie kein zweites Mal die Wahlen gewinnen. Tunesien gibt insofern Anlass zu Optimismus

Trauriger schaut es in Ägypten aus. Dort erreichten die Islamisten - Muslimbrüder und Salafisten zusammengenommen - bei den Wahlen rund 70 Prozent der Stimmen und setzten eine islamistisch gefärbte Verfassung nach ihrem Geschmack durch. Der gewählte Präsident Mursi hob faktisch die Gewaltenteilung auf. Er wollte nicht regieren, sondern herrschen. Vor einem halben Jahr putschte - unter dem Jubel von Millionen - die Armee. Die Muslimbrüder sind nun einer Repression ausgesetzt, die an die schlimmsten Zeiten unter Nasser gemahnt und die inzwischen auch die Protagonisten des ägyptischen Frühlings erfasst.

In dieser Woche stimmen die Ägypter über eine Verfassung ab. Sie wurde von einer Kommission ausgearbeitet, die über keine demokratische Legitimation verfügt. Und sie schreibt die alte Machtposition der Armee wieder fest. Trotzdem werden auch die Verhältnisse in Ägypten nicht mehr die alten sein. Millionen haben die Erfahrung gemacht, dass man einen Machthaber verjagen kann. Man kann ihnen diese Erfahrung nicht nehmen. Und sie werden sie so wenig vergessen wie die neuen Potentaten.

In Libyen ist der arabische Frühling in Chaos gemündet. Milizen kontrollieren die Ölterminals, verbreiten Terror, ja entführten sogar den Ministerpräsidenten. Es gibt Stammesfehden. Doch regt sich breiter Widerstand einer sich erst formierenden zivilen Gesellschaft gegen die Macht der Milizen. Gaddafi hatte in seinem revolutionäre Eifer die staatlichen Institutionen weitgehend aufgelöst und jegliche zivilgesellschaftliche Organisation verboten. In Libyen muss alles neu aufgebaut werden. Das kostet Zeit. Eine Rückkehr zu einem Terrorstaat wie unter Gaddafi aber wird es nicht mehr geben.

Am dramatischsten ist die Lage in Syrien. Der Aufstand begann mit friedlichen Demonstrationen. Über hunderttausend Menschen sind inzwischen gestorben, Millionen auf der Flucht. Nicht auszuschließen ist, dass die Syrer in ihrer Mehrheit und auch der Westen schon bald froh sind, wenn sich Assad im Sattel hält. Spätestens dann, wenn - auch dank der Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft - mit Al Kaida verbandelte Terroristen als einzige Alternative zum mörderischen Regime übrig bleiben. Das ist das Kalkül des Diktators. Es könnte aufgehen.


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