CHUSA LANZUELA – Mode aus der Dose

Die Kinder lachen ungeniert, die Erwachsenen tuscheln, wenn sie ihr in der Berliner U-Bahn begegnen. Denn Chusa Lanzuela trägt eine verbeulte Tomatendose auf dem Kopf, ohne Boden und ohne Decken, und oben sprudelt wie eine Fontäne ihr langes Haar heraus, um sich dann nach unten zu ergiessen. Die Dose ist das Markenzeichen von Miss Lata, wie sich die 37-jährige Recycling- und Performancekünstlerin im Berufsleben und auf ihrer Visitenkarte nennt. „Lata“ ist spanisch und heisst auf Deutsch eben „Dose“ oder auch „Blech“.

Miss Lata ist eine Frau mit zierlicher Figur und feingliedrigen Händen, ein bisschen exaltiert, Typ Bohémienne. Der Overall, den sie bei der Arbeit trägt, passt nicht zu ihrem Äusseren, verleiht ihr etwas Burschikoses. Doch schliesslich arbeitet sie mit Hammer, Zange und Säge und nicht mit Nadel und Faden. Zum Gesprächstermin erscheint sie dann aber in elegantem Outfit. Das enge Atelier der Spanierin, die früher medizinisch-technische Assistentin war und die es nach dem Fall der Mauer nach Berlin verschlug, ist bis in den letzten Winkel vollgestopft mit Dingen, die andere Leute gewöhnlich zum Abfall werfen: verbrauchte Telefonkarten, kaputte CDs, verbogene Löffel, Fassungen abgebrannter Teelichter, Jogurtdeckel, Kronkorken, Sektkorkendrahtgeflechte, aber auch alte Filmspulen, Gerüstbaunetze und vor allem Dosen, überall Dosen. Dosen in allen Grössen und Farben, Dosen, die einmal grüne Bohnen, Olivenöl, Sardinen in Tomatensauce oder italienischen Kaffee enthielten. Und wo dieser ganze Müll noch etwas Platz frei lässt, hängen Skizzen von Kostümen.

Zwar stellt Miss Lata auch Schmuck und Tragetaschen aus Blech her, meistens Unikate, mitunter auch Auftragsarbeiten, doch das Verrückteste sind die Kostüme. Angefangen hat sie damit 1994 bei einem Recycling-Festival in Berlin. In Barcelona präsentierte sie später eine Performance, in der sie die berühmten „Meninas“ des spanischen Malers Diego Velazquez darstellte. Und zur Eröffnung des Filmfestivals von San Sebastian knöpfte sie sich 1996 für eine weitere Performance sieben grosse Schauspieler in ihren bekanntesten Rollen vor. Unter ihnen Romy Schneider als Sissi und Liz Taylor als Kleopatra. Der Höhepunkt ihres bisherigen künstlerischen Werks aber sind die Kollektionen Frida Kahlo und Luis Bunuel. Ein Leben im Bett Die mexikanische Malerin Frida Kahlo war eine starke Frau. Mit sechs Jahren hatte sie Kinderlähmung,und als sie 18 war, wurde sie bei einem Zusammenstoss zwischen einem Bus und einer Strassenbahn so schwer verletzt, dass sie mit zerschmetterter Hüfte den Rest ihres Lebens vorwiegend im Bett verbringen musste. Doch sie hatte eine unbändige Schaffenskraft. Ihre zahlreichen Selbstporträts, Bilder des gequälten und geschundenen Körpers, zeugen von Wut und Leidenschaft. „Sie wollte fliegen“, sagt Chusa Lanzuela, die ihre Autobiographie und ihre Tagebücher studiert hat, „doch ihr Körper war ihr Käfig.“ Und so sind dann auch sämtliche sieben Kostüme von Miss Latas „Kollektion Frida Kahlo“ aus Metall. Mit Bunuel verbindet Miss Lata Seelenverwandtschaft. Der spanische Filmemacher ist in ihrem Nachbardorf bei Teruel in Aragon aufgewachsen. „Es war in meiner Kindheit tiefste Provinz, die Hälfte der Bevölkerung war auf der Suche nach Arbeit nach Frankreich und Deutschland emigriert“, erinnert sich die Künstlerin. „Spielzeug kriegten wir Kinder keines, also spielten wir mit dem, was wir auf der Strasse fanden.“ Was sie an Bunuel schätzt, ist sein offenes Auge, seine Ablehnung des Mediokren und sein Lästermaul. „Der letzte Schrei aus Las Hurdes-Land“ nannte sie denn auch – in Anlehnung an Bunuels frühen Film über Las Hurdes, eine der ärmsten Regionen Spaniens – ihre Kollektion, die sie am 13. Mai dieses Jahres, im 100. Geburtsjahr des Regisseurs vorstellte. Und den „letzten Schrei“ will sie durchaus in seiner Doppeldeutigkeit verstanden wissen: im Sinn des letzten Schreies des in Armut Ertrinkenden und des letzten Modeschreies. Für Manuela, das Model, das zum Fototermin erschienen ist, bedeutet es harte Arbeit, in ein blechernes Kostüm zu schlüpfen. Allein ist es nicht zu schaffen. Es braucht viele Hände, die anpacken, zuknöpfen, zurechtzupfen. Und ausgehen kann man zwar mit einer Dosentasche aus Miss Latas Sortiment, nicht aber in Frida Kahlos Panzer oder im Kleid des Heiligen Sebastian, des von Pfeilen durchbohrten Märtyrers – oder Masochisten, wie Chusa Lanzuela sagt. Es sind Kreationen, die Assoziationen auslösen und zur Reflexionen anregen. Manchmal geht es auch ums Amüsement. „Ich will, dass die Leute Freude am Leben Haben“, sagt die Recycling- und Performancekünstlerin.

Thomas Schmid, DIE WELTWOCHE, 26.10.2000