GIANFRANCO FINI – Italiens nächster Albtraum

Er ist elegant und eloquent und könnte Italiens nächster Ministerpräsident sein. Jedenfalls will er es werden. Daran lässt er keinen Zweifel. Die Rede ist von Gianfranco Fini, dem Führer der Alleanza Nazionale, der einst Mussolini den «grössten Staatsmann des Jahrhunderts» nannte und den die rechtsextreme Enkelin des Duce inzwischen für einen «Politiker ohne Herz und ohne Seele» hält.

Oppositionsführer Silvio Berlusconi hat ihn jüngst zu seinem Nachfolger als Führer des rechten Lagers gekürt. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass König Silvio, dem sein Leibarzt bescheinigt, er sei physisch zwanzig Jahre zurückgeblieben, also im besten Mannesalter, selbst noch einmal antreten will.

Sicher ist, die nächste Regierungskrise kommt in Italien bestimmt. Ende März hat Ministerpräsident Romano Prodi die Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz mit Hilfe von Stimmen aus der Opposition gewonnen. Einen Monat zuvor hatte er in derselben Frage keine Mehrheit hinter sich gehabt und war zurückgetreten, um wenige Tage später die Regierungsgeschäfte wieder aufzunehmen. Die nächste Prüfung dürfte die Abstimmung über die gesetzliche Aufwertung eheähnlicher Partnerschaften sein. Die Bischöfe sehen die sakrosankte Familie in Gefahr, der Vatikan mischt sich mit donnernder Stimme in die Politik ein. Prodi hangelt sich mit seiner hauchdünnen Mehrheit im Parlament von Krise zu Krise. Kaum jemand glaubt, dass er die volle Legislaturperiode durchsteht.

In Italien steht über kurz oder lang nicht nur eine Wachablösung, sondern auch ein Generationswechsel an. Die politische Führung des Landes ist in einem Alter, in dem Normalbürger längst die Pension geniessen. Der vom 82-jährigen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano vereidigte Prodi ist 68 Jahre alt, Oppositionsführer Silvio Berlusconi gar 70. Die derzeitige Regierung gilt weithin als Verwalterin des Übergangs. Bei den nächsten Wahlen geht es – die Spekulation sei erlaubt – um einen Zweikampf Walter Veltroni versus Gianfranco Fini. Postkommunist gegen Postfaschist. Veltroni, politisch sozialisiert in der Kommunistischen Partei, die sich in die sozialdemokratischen Linksdemokraten verwandelt hat, ist der Bürgermeister Roms. Niemand verdächtigt ihn, ein Kommunist zu sein. Bei Fini hingegen sieht es anders aus. Zweifel an seiner politischen Läuterung sind weit verbreitet. Zu abrupt war die Kehrtwende vom Saulus zum Paulus.

Dank John Wayne nach rechts
Gianfranco Fini wurde 1952 in Bologna, einer traditionellen Hochburg der Kommunisten, geboren. Sein Grossvater väterlicherseits war militanter Kommunist, jener mütterlicherseits hingegen nahm als Faschist der ersten Stunde 1922 am Marsch auf Rom teil. Seine Mutter beschreibt Fini selbst als streng, «beinahe deutsch». Sein Vater trat als Freiwilliger einer Elitedivision der Miliz der faschistischen Republik von Salò bei und gab seinem Sohn den Namen seines von kommunistischen Partisanen ermordeten Cousins: Gianfranco.

Dass der junge Fini den Weg nach rechts einschlug, schreibt er einer Episode im Jahr 1969 zu. Damals wollte er John Waynes «The Green Berets» («Die grünen Teufel») sehen, einen Film, der den Vietnamkrieg der USA verherrlicht. Doch linksradikale Aktivisten versperrten den Kinogängern den Zutritt. Es kam zu einer Schlägerei. Aus Ärger über die Linken, so Fini, sei er ein Rechter geworden. 1971 trat er in Rom, wo er ein Pädagogik-Studium aufgenommen hatte, dem MSI bei, einer nach Kriegsende vom Altfaschisten Giorgio Almirante gegründeten Partei, die sich selbst in die Tradition der Republik von Salò stellte.

Es waren wilde Jahre in Italien. An den Universitäten kam es regelmässig zu Schlägereien zwischen linken und rechten Extremisten. Bei Abrechnungen wurden auch Schusswaffen eingesetzt. 20 Jungfaschisten fielen in den bleiernen Siebzigerjahren den Kugeln linksextremer Schützen zum Opfer. Auf der andern Seite gab es ungefähr gleich viele Tote. Fini bekannte später mit Stolz: «Ich war selbst ein Schläger. Ich habe da nichts zu verleugnen. Ich habe ausgeteilt und eingesteckt, wie alle, die in den Siebzigerjahren mit Stöcken und Ketten Politik machten.»

Doch gehörte er zu den Gemässigten seiner Partei. «Während seine Kameraden in martialischer Kluft zu den Demos kamen, erschien Fini in gepflegtem Outfit und mit Krawatte», sagt der Journalist Luca Telese, der ein Buch über die toten Jungfaschisten jener Jahre verfasst hat, «und wenn die Schlägerei losging, machte er sich dünn.» Nicht wegen, sondern trotz seiner gemässigten Position wurde Fini 1977 Präsident des Jugendverbands des MSI – eingesetzt von Almirante gegen den Widerstand der Parteijugend.

Mit 31 Jahren wird Fini 1982 Parlamentsabgeordneter. 1987 übernimmt er die Führung des MSI. 1989 wird er ins Europa- Parlament gewählt, wo sich seine Partei mit dem Front National des Franzosen Jean-Marie Le Pen zur Fraktion der Eurorechten zusammenschliesst. Dieses Bündnis verlässt der MSI jedoch wieder, als Le Pen die deutschen Republikaner um den Rechtsextremisten Franz Schönhuber in die Allianz holt. Der Deutsche träumt von einem Vaterland, dessen Südgrenze südlich von Bozen verläuft.

Auch ein Bündnis mit dem Österreicher Jörg Haider kommt nie zu Stande. Fini unterstellt Haider, das deutschsprachige Südtirol «zurückholen» zu wollen. «Die Brennergrenze», sagt Fini am 5. November 1991, «ist heilig, unveränderbar und ewig.» Ganz anders liegt offenbar der Fall Jugoslawien, wo damals seit fünf Monaten der Krieg tobt. «Die jugoslawische Krise», verkündet Fini am selben Tag, «bietet eine grossartige Gelegenheit, nach Istrien und Dalmatien zurückzukehren, die beide schon immer italienische Erde waren.»

Zu dieser Zeit ist der MSI eher eine Sekte als eine Partei. Bei den Regionalwahlen von 1990 sinkt er auf einen historischen Tiefstand von vier Prozent. Doch unverhofft tut sich eine Chance auf. Die Mailänder Staatsanwaltschaft deckt einen riesigen Schmiergeldskandal auf, in den die Spitzen von Industrie und Politik tief verstrickt sind. Im ganzen Land werden Tausende wegen aktiver oder passiver Korruption verhaftet: Lokalpolitiker, Minister, Steuerprüfer, Manager, Bankiers. Die Democrazia cristiana, die fast ein halbes Jahrhundert lang die italienische Politik beherrscht hat, zerfällt. Die hundert Jahre alte Sozialistische Partei löst sich auf. Auch die Kommunistische Partei ist am Rande betroffen.

Nur der faschistische MSI, der im Rahmen des antifaschistischen Konsenses von allen Parteien immer wie ein aussätziges Wesen geächtet wurde, steht sauber da. In dieser Situation kandidiert Fini bei den Kommunalwahlen im November 1993 fürs Bürgermeisteramt in Rom. Er erhält im ersten Wahlgang 36 Prozent, bei der Stichwahl sogar 47 Prozent. Fast ebenso gute Ergebnisse erzielt seine Parteifreundin Alessandra Mussolini, die Enkelin des Duce, bei den Wahlen in Neapel.

Nach dem ersten Wahlgang hat ihn jemand unterstützt, der sich bislang von der Politik ferngehalten hatte – der Mailänder Unternehmer Silvio Berlusconi. Er ruft zur Wahl Finis auf: «Seine Ideen sind auch meine.» Im Januar 1994 gründet Berlusconi seine eigene Partei, die Forza Italia. Zwei Monate später gewinnt diese zusammen mit den Rechtspopulisten der Lega Nord von Umberto Bossi und den Neofaschisten Finis die Parlamentswahlen. Der MSI schickt drei Minister in die neue Regierung. «Italien ist das erste Land Europas, das den antifaschistischen Nachkriegskonsens durchbrochen hat», resümiert der konservative deutsche Historiker Ernst Nolte.

Neues Emblem, alte Symbole
Im Januar 1995 – Berlusconis erste Regierung ist gerade an den inneren Zwistigkeiten seines heterogenen Bündnisses zerbrochen – beruft Fini einen Parteikongress ein, auf dem sich der MSI auflöst und sich als Alleanza Nazionale neu formiert. In ihrem neuen Emblem trägt sie zwar in Miniaturformat weiterhin die alten drei Buchstaben und auch die Flamme über einer Raute, die den Sarg Mussolinis symbolisiert. Doch Fini verabschiedet sich noch auf dem Kongress von der faschistischen Vergangenheit mit den Worten: «Wir verlassen das Haus des Vaters mit der Sicherheit, dass wir nicht mehr dorthin zurückkehren werden.»

Gianfranco Fini wandelt sich nun in atemberaubendem Tempo in einen modernen Rechtsliberalen. Den Faschismus hält er für einen «Teil des absolut Bösen», Mussolinis Rassengesetze von 1938 für eine Schande und die Republik von Salò für ein beschämendes Kapitel der italienischen Geschichte. Er pilgert nach Auschwitz und 2003 schliesslich nach Israel, wo er in der Gedenkstätte von Yad Vashem mit der Kippa auf dem Haupt vor der ewigen Flamme einen Kranz niederlegt.

Die Wandlung des Fini vom Saulus zum Paulus innerhalb von etwa einem halben Jahr hat etwas Obszönes. Zwanzig Jahre lang hat er den Faschismus verteidigt, der zwar nie die mörderische Dimension des Nationalsozialismus erreichte, aber immerhin ein totalitäres Regime schuf, das etwa eine Million Todesopfer forderte. Fini hat seine abrupte Meinungsänderung in der Öffentlichkeit nie plausibel erklärt. Von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Faschismus und auch der Geschichte seiner eigenen Partei kann nicht die Rede sein.

So hat er Misstrauen Vorschub geleistet. Ist vielleicht doch alles bloss Tarnung? Ist Fini nur ein besonders durchtriebener Faschist? «Mit letzter Sicherheit», sagt der Philosoph Paolo Flores d’Arcais, der die Intellektuellen-Zeitschrift «Micromega» herausgibt, werden dies nur Gott oder ein Psychiater feststellen können. «Fini mag sich vielleicht gewandelt haben», meint er, «aber gehen Sie mal in die Lokale seiner Partei in der Provinz. Da hängt noch vielerorts das Mussolini-Porträt an der Wand.» Doch spricht alles dafür, dass Fini nach dem Fall der Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten, nach der Implosion der Sowjetunion, nach dem Ende des Kalten Kriegs gemerkt hat, dass die nostalgische Verklärung der Vergangenheit ihm den Weg zur Macht verbaut. Und Fini ist pragmatisch und machtbewusst gleichermassen. Mit altbackener faschistischer Ideologie, das weiss er, ist im modernen Italien kein Staat zu machen.

Fünf Jahre lang war Fini in der zweiten Regierung Berlusconi (2001–2006) Vizeministerpräsident, zwei Jahre nebenbei auch noch Aussenminister. Und bei allen politischen Pirouetten, die er – wie viele andere italienische Politiker – in den letzten Jahren vollzogen hat, ist er doch in einer Hinsicht konsequent geblieben: in der Ablehnung des Faschismus. Das hinderte ihn im Übrigen nicht, bei den Wahlen im vergangenen Jahr auch zwei kleine faschistische Gruppierungen, die eine angeführt von Alessandra Mussolini, ins Haus der Freiheit aufzunehmen, das Wahlbündnis, zu dem sich die Forza Italia, die Lega Nord und die Alleanza Nazionale zusammengeschlossen haben. Wenn es um die Macht geht, zählt jedes Prozent. Da ist Fini ganz pragmatisch.

Mit Le Pen, dem er einst die Ehrenmitgliedschaft im MSI anbot, hat Fini längst gebrochen. Vor wenigen Wochen ist die italienische Ausgabe des neusten Buches über den französischen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy erschienen – mit einem Vorwort von Gianfranco Fini. Mitte Mai gründet die Alleanza Nazionale in Rom eine Stiftung unter dem schönen Namen Farefuturo, zu Deutsch: Zukunftmachen. Ihr Präsident wird Gianfranco Fini heissen.

«Neue politische Elite»
«Farefuturo wird eine Denkfabrik sein», sagt Adolfo Urso, Ex-Neofaschist, Abgeordneter der Alleanza Nazionale und Koordinator des Projekts, «sie soll eine neue politische Elite des Mitte-rechts-Spektrums hervorbringen, die den Herausforderungen der Moderne und Globalisierung gewachsen ist.» Farefuturo werde mit Stiftungen in Frankreich und Spanien zusammenarbeiten, die Sarkozy beziehungsweise Ex-Ministerpäsident José María Aznar nahestünden, bestätigt Urso, auch werde man mit der deutschen Konrad-Adenauer- Stiftung der CDU und der amerikanischen Heritage Foundation kooperieren. Fini will die Alleanza im Lager der modernen Rechten verankern. Spätestens im Vorfeld der Wahlen zum Europa-Parlament 2009 sollen die letzten Reminiszenzen an den Faschismus, der Schriftzug MSI und die Flamme über dem symbolischen Sarg des Duce, aus dem Parteiwappen getilgt werden.

Als Vizeministerpräsident war Fini an der Ausarbeitung einer Verfassung für die Europäische Union beteiligt. Als Aussenminister hat er – anders als Le Pen oder Haider – eine klare proeuropäische Linie verfolgt. Zudem macht er sich für einen EU-Beitritt der Türkei stark. Seinen Antiamerikanismus hat er abgestreift. Italien unterstützte unter dem Regierungsgespann Berlusconi-Fini den amerikanischen Feldzug im Irak und entsandte Truppen ins Zweistromland. Und während die italienische Nahostpolitik traditionell eine palästinensische Schlagseite hatte, fuhr Fini als Aussenminister einen strikt proisraelischen Kurs. Ja, er akzeptierte sogar die Trennmauer, die Israel auf besetztem Territorium errichtet und die von der EU abgelehnt wird, als «legitimen Akt der Selbstverteidigung».

Der frühere Staatspräsident Francesco Cossiga hat Fini unlängst den «Tony Blair der Rechten» genannt. Das trifft den Kern der Sache. Wie Blair die Blockaden der traditionellen britischen Linken abgeräumt hat, um seine Modernisierung durchzusetzen, so steht Fini in Italien für eine wirtschaftsliberale Politik, wie sie im konservativen Lager aus Furcht, die eigene mittelständische Klientel vor den Kopf zu stossen, nie konsequent in die Wege geleitet wurde. Berlusconi, den Fini bei all seinen skandalösen Machenschaften – angefangen von den massgeschneiderten Gesetzen, um sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen – umstandslos unterstützte, hat vieles versäumt. Eine Liberalisierung der Wirtschaft wurde unter der Rechtsregierung kaum umgesetzt. In der Forschung ist Italien weit abgehängt worden. Die wirtschaftliche Bilanz der Regierung Berlusconi ist im Gegensatz zur wirtschaftlichen Bilanz des Privatunternehmers Berlusconi katastrophal.

Noch mag der unberechenbare Strahlemann Berlusconi in der Gunst des rechten Wählervolks knapp vor dem Führer der Alleanza Nazionale liegen. Während der Fernseh-Tycoon ein Meister des Entertainments ist, strahlt Fini die Seriosität eines erfolgreichen Managers aus. Er poltert nicht, sondern wägt seine Worte sorgfältig ab. Er hat eine geschliffene Sprache, ist stets gut gekleidet, hoch gewachsen, gut gebaut, der Traum vieler Schwiegermütter und die Hoffnung jener Italiener, die sich nach mehr Ernsthaftigkeit in der Politik zurücksehnen und dem seriösen Prodi nicht trauen, weil er von Stimmen kommunistischer Parteien abhängig ist. Die Zeit arbeitet für Fini.

Thomas Schmid, FACTS, 03.05.07

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