BASEL. Den Rahmen steckt er gleich zu Beginn des Gesprächs ab. „Aus meinem Privatleben werde ich Ihnen nichts erzählen“, sagt René Mägli entschieden, aber in durchaus freundlichem Ton, „für eine Homestory bin ich nicht zu haben, da sind Sie an der falschen Adresse.“ Einladungen zu Talkshows lehnt der heiß begehrte Mann grundsätzlich ab. Man kann sich Mägli, der seine Worte sorgfältig abwägt und geduldig zuhören kann, in einer Fernsehrunde, wo jeder jedem ins Wort fällt, in der Tat schlecht vorstellen. Auch für Konferenzen wird er oft angefragt. „Das schlage ich immer aus“, sagt er trocken, „mein Job ist ein anderer, ich bin Geschäftsführer.“
Aber eben kein gewöhnlicher Geschäftsführer. Bei René Mägli war schon das russische Fernsehen, und auch die Heidelberger Universität hat sich für seine Firma interessiert. Mägli leitet die Schweizer Niederlassung der Mediterranean Shipping Company (MSC), der mit rund 50000 Mitarbeitern zweitgrößten Frachtreederei der Welt. Da gäbe es vieles zu berichten – über Welthandel, Transportrouten, Piraterie auf hoher See. Zu Mägli nach Basel aber kommen sie alle nur wegen der Frauen. Denn Mägli beschäftigt seit über zehn Jahren ausschließlich weibliches Personal, zurzeit sind es genau 90 Mitarbeiterinnen, mehr denn je zuvor.
Ein Mann und 90 Frauen – das beflügelt manche Männerfantasie. Aber René Mägli, 60 Jahre alt, Stirnglatze, offenes Hemd, schlank und mit einer Lesebrille, die an einer vergoldeten Kette vor der Brust baumelt, hat eher die Ausstrahlung eines Asketen als die eines Paschas. Und seine Mitarbeiterinnen sind gewiss kein Harem, sondern ein hochmotivierter Trupp von Frauen, die in modernen Büros arbeiten.
Er zahlt Männerlöhne
René Mägli ist kein Lohndrücker, der auf billige Arbeitskräfte setzt. Die Frauen seiner Firma verdienen branchenübliche Männerlöhne. Der Geschäftsführer hat es sich von der Gewerkschaft bestätigen lassen. Wer ihn verdächtigt, Frauen einzustellen, weil sie sich mehr gefallen ließen als Männer, liegt ebenfalls falsch. Mägli geht es auch nicht um Quote oder um Frauenemanzipation. Er hat keine Mission, fühlt sich nicht als Avantgardist. Es geht ihm bloß ums Geschäft. Wie jeder Unternehmer will er Profit machen und zwar möglichst viel. „Ich bin Unternehmer“, sagt René Mägli, „und wenn ich Stellen zwar geschlechtsneutral ausschreibe – alles andere wäre diskriminierend -, aber dann doch nur mit Frauen besetze, dann aus absolut kommerziellen Gründen.“ Im Dienstleistungssektor, so behauptet er, seien Frauen nun mal einfach besser.
Der Geschäftsführer spricht aus Erfahrung: „Frauen sind teamfähiger als Männer, die einen großen Teil ihrer Kräfte in Machtkämpfen verpuffen lassen. Frauen sind emotionaler und kommunikativer, sie finden schneller den Draht zu den Kunden, können besser auf deren Wünsche eingehen. Frauen handeln sachorientierter, Männer hingegen schauen eher auf ihren eigenen Vorteil.“ Und noch etwas hat Mägli festgestellt: „Frauen verstehen es besser, Prioritäten zu setzen. Das ist in unserem Geschäft wichtig. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, in dem es hektisch zugeht, in dem schnell entschieden werden muss, was vorrangig und was nachrangig ist.“
Von Hektik ist in der Schweizer Niederlassung der MSC in Basel wenig zu spüren, aber auf den drei Etagen eines unauffälligen Gebäudes in der Baseler Altstadt wird emsig gearbeitet. Die Frauen verschieben auf dem Papier und im Computer Tonnen von Kohle und Baumwolle und allerlei Gebrauchswaren quer über die Meere und Kontinente, berechnen Preise, machen Angebote, schließen Verträge ab. Im vordigitalen Zeitalter ging es in Reedereien wohl wie auf Börsen zu: schreiende Männer mit zwei Telefonhörern in der Hand und zwei weiteren unter den Arm geklemmt. „Das Shipping ist noch immer eine Männerdomäne“, erklärt René Mägli, der nur mit Frauen arbeitet.
„Frauen sind besser“, sagt der Mann, „aber man muss es ihnen immer wieder sagen. Männer hingegen meinen stets, dass sie ohnehin die Besten seien.“ Gibt es denn unter Frauen keine Konkurrenz? „Meine Ladys“ – Mägli nennt seine Mitarbeiterinnen mit Vorliebe so, ohne dass sich dies herablassend anhört, eher schwingt Stolz in seiner Stimme mit – „sind bestimmt keine Heiligen, aber Zickenkrieg gibt es nicht.“ Ob er das denn überhaupt mitkriegen würde? Das läuft doch eher versteckt ab. „Natürlich würde ich das merken“, behauptet Mägli, „ich arbeite mit ihnen, im Großraumbüro.“ In der Tat, der Chef hat kein Chefbüro und auch keine Chefsekretärin. Er hat überhaupt keine Sekretärin. „Alles nur Machtgehabe“, sagt er, „ich kann doch meine Mails selber schreiben, ich habe zehn Finger.“ Das Telefon nimmt er selbst ab, und auch seinen Terminkalender führt er selber.
Das Interview findet im großen Sitzungszimmer mit dem langen Konferenztisch statt. An der Wand ist das Modell eines Containerfrachtschiffes ausgestellt. Daneben hängt Claude Monets „Veduta di Venezia“ und bringt etwas mediterranes Ambiente ins Büro der Mediterranean Shipping Company im Binnenstaat Schweiz. Hier führt der Chef auch ab und zu Einstellungsgespräche. Ansonsten arbeitet er bei seinen Ladys, nicht, weil er sie unter Kontrolle haben will – „aber die Kommunikation läuft halt schneller, man tauscht sich aus, gibt sich einen Hinweis, ich kann meine Erfahrung herüberbringen.“ In der Betriebswirtschaftslehre heißt das flache Hierarchie. Flacher als hier geht es kaum.
„Mir ist wichtig, dass die Frauen zu mir kommen, wenn sie ein Problem haben“, sagt René Mägli in ziemlich väterlichem Ton, „bei mir muss niemand Angst haben, wenn er einen Fehler gemacht hat. Aus Fehlern lernen wir. Wer einen Fehler gemacht hat, muss ein Fehlerprotokoll erstellen und einen Verbesserungsvorschlag vorbringen. Diese Fehlerprotokolle benutzen wir dann für die interne Schulung.“ Alle Mitarbeiterinnen werden wöchentlich zwei bis drei Stunden geschult – da geht es um Frachtpapiere, Führung von Kundengesprächen, aber auch allgemeines Wissen über Reedereien und Schifffahrt wird vermittelt. „Wussten Sie, dass 75 Prozent des gesamten Weltkaffeehandels über die Schweiz laufen?“
René Mägli hat an keiner Universität Betriebswirtschaft studiert, an keiner Managerschule Personalführung gelernt. Er ist Sohn eines „Büezers“, wie er sagt. So nennt man in der Schweiz respektvoll die einfachen Arbeiter. Er hat eine Speditionslehre gemacht und daneben eine Kaufmännische Berufsschule besucht. Nach der Lehre ging er ins Ausland und fand in Rotterdam bei der Holland-Amerika-Linie, die damals noch weltweit Frachtschiffe betrieb, inzwischen aber auf Kreuzfahrten spezialisiert ist, eine Anstellung. Mit 23 Jahren wurde er bereits Geschäftsleiter einer Reederei in Basel. „Meine Ladys mahne ich immer wieder: Ihr habt einen Nachteil, ihr seid Frauen, ihr müsst besser als Männer sein“, sagt Mägli, der mit drei Schwestern aufgewachsen ist, „als junger Geschäftsführer musste ich besser sein, als es meinem Alter entsprach. Wenn ich nicht gut war, nannte man mich einen Grünschnabel; wenn die Frau nicht gut ist, heißt es: typisch Frau.“
Ob da vielleicht eine Frauenquote von Vorteil wäre? In die deutsche Debatte mag sich der Schweizer nicht einmischen. Aber in seinem Land wünscht er sich keine Quote: „Der Staat braucht nicht alles zu regeln.“ Im übrigen ist in der Schweiz, die erst 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt hat, die Mehrheit des Regierungskabinetts weiblich. Drei Ministern stehen vier Ministerinnen gegenüber. „Aber dadurch wird die Politik nicht besser“, meint René Mägli, „die sind doch Sklavinnen ihrer Parteien.“ Nein, Frauen seien nicht die besseren Menschen, wirklich nicht.
Er habe auch gar nichts gegen die Männer, beteuert der Baseler Unternehmer, wirklich nichts, er sehe das ganz pragmatisch. Aus rein wirtschaftlichen Gründen arbeite er ausschließlich mit Frauen. Eine US-Studie habe gezeigt, dass im Dienstleistungsbereich mit dem steigenden Anteil von Frauen in der Belegschaft auch der Umsatz steige.
Mäglis Betriebsergebnisse können sich jedenfalls sehen lassen: 20bis 25 Prozent Umsatzsteigerung hat der Mann, der mit 90 Frauen arbeitet, in den letzen Jahren erzielt. Erst die Weltfinanzkrise hat zu einem Einbruch geführt. Aber seit vergangenem Jahr geht es schon wieder aufwärts – dank der Frauen, sagt der Baseler. Im Übrigen hoffe er, meint er augenzwinkernd, dass sein Beispiel nicht Schule mache. „Sonst verliere ich ja meinen Konkurrenzvorteil.“
Patrizia Di Geronimo kennt die Zahlen auswendig. Sie ist Finanzchefin. Mägli lässt sie nicht herbeirufen. Er geht sie selbst holen und zieht sich danach in sein Großraumbüro zurück. Di Geronimo ist 24 Jahre alt und hätte wohl bei jedem Model-Casting gute Chancen: schlank, blondes langes Haar, selbstbewusstes Auftreten. Sie ist halb Italienerin, halb Deutsche, aber in der Schweiz aufgewachsen – eine Seconda eben, wie man in der Eidgenossenschaft eine Migrantin der zweiten Generation bezeichnet. Ein Migrationshintergrund ist auch in der Schweiz nicht unbedingt karrierefördernd. „Doch unsere Ladys“, sagt Di Geronimo, der der Ausdruck mühelos über die Lippen geht, „sind zu 80 Prozent Ausländerinnen oder haben mindestens einen ausländischen Elternteil. In der Verkaufsabteilung haben wir Ladys aus Israel, Russland, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland.“ Die Finanzchefin weiß dies durchaus zu schätzen: „Wir arbeiten weltweit. Da ist doch Vielsprachigkeit wichtig.“
Di Geronimo kam als 15-Jährige zu Mägli. Sie absolvierte eine kaufmännische Lehre in seiner Firma, blieb nach dem Abschluss drei weitere Jahre bei ihm, ging dann aber weg, um anderswo Erfahrungen zu sammeln. Noch sehr jung, erhielt sie bei einer Tochterfirma von Dr. Oetker eine Leitungsfunktion. „In der Führungsetage war ich immer allein unter Männern“, erinnert sie sich, „und oft wurde ich wegen meines Alters nicht ernst genommen.“ Sie stieß an die berühmte gläserne Decke. Ende der Fahnenstange.
Für viele Frauen kommt das Ende der Karriere mit der Schwangerschaft. Vielleicht will auch Di Geronimo eines Tages Kinder haben. Bei Mägli kein Problem. Nach dem Mutterschaftsurlaub kann jede Frau selbst entscheiden, zu wie viel Prozent sie arbeiten will. Das gilt selbst für Kader, wie hier die Ladys in Leitungsfunktionen genannt werden. Im Übrigen, sagt die Finanzchefin der Firma, die eine Frauenquote von 99 Prozent hat, sei sie natürlich für die Frauenquote. Absolut.
Erst im September kam Patrizia Di Geronimo zur Schweizer Niederlassung von MSC zurück und wurde gleich Finanzchefin. Einige, die schon Jahre oder Jahrzehnte in der Firma arbeiten, mag das gewurmt haben. „Es ist hier nicht alles Paradies, nicht alles rosarot, es gibt auch unter uns Ladys mal Konflikte“, gibt sie zu und meint dann etwas kryptisch verschmitzt: „Aber das ist dann oft schnell erledigt – auch weil man nicht alles in Männersprache übersetzen muss.“ Aber wäre es nicht angenehmer, einige Männer am Arbeitsplatz zu sehen, eine gemischte Belegschaft zu haben, in der es auch mal erotisch knistert?
Ein Lied als Geschenk
Eine Umfrage vor drei Jahren ergab zweierlei. Einerseits empfänden immerhin 43 Prozent der Ladys die Präsenz einiger Männer durchaus als Abwechslung. Andererseits: Je länger die Frauen hier arbeiten, desto weniger vermissen sie die Männer.
Ausgerechnet der einzige Mann im Betrieb hier ist der Chef. Hat Patrizia Di Geronimo da kein Problem? „Er ist für mich wie ein Vater“, sagt sie versonnen, „wenn ich Fragen habe, kann ich zu ihm gehen, und er steht immer zu mir.“ Dann fügt sie lachend hinzu: „Wenn Herr Mägli eine Frau wäre, fände ich das auch okay.“
Aber René Mägli ist nun mal ein Mann. Ein ungewöhnlicher Mann, der weiß, was er an seinen Frauen hat. „Sie sind mein wichtigstes Kapital“, sagt er, „und einmal im Jahr, an Weihnachten, denke ich mir etwas Besonderes aus, um ihnen ein Dankeschön zu sagen.“ Das zweifellos originellste Weihnachtsgeschenk hat der Boss seinen Ladys vor zwei Jahren gemacht. Er engagierte den Schweizer Musiker Bo Katzmann, der einen Gospel-Chor leitet, für die Produktion einer CD. Gemeinsam übten die Frauen verschiedene Lieder ein. Eines trägt den Titel „The Ladies of MSC“. Die letzte Strophe lautet übersetzt: „Wir arbeiten mit unseren Händen/ Wir kommunizieren mit unserem Verstand/ Wir können das gut ganz ohne Männer/ Yes we can.“ Getextet hat den Song René Mägli.
© Berliner Zeitung
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 19.02.2011