VADUZ. Das Schloss steht auf einer Felsterrasse, fast senkrecht über dem Städtchen, das sich, über hundert Meter weiter unten, an den steilen Berghang schmiegt. Die Verhältnisse sind klar. Oben der Fürst, unten das Volk. Kein europäischer Monarch hat so viel Macht wie Seine Durchlaucht Johannes Adam Ferdinand Alois Josef Maria Marko d’Aviano Pius von und zu Liechtenstein, kurz Fürst Hans-Adam II., geboren 1945, oder sein erst 43-jähriger Sohn, Seine Durchlaucht Erbprinz Alois, den er 2004 mit der Ausübung der fürstlichen Hoheitsrechte betraut hat. Doch nun will ein Initiativkomitee Unterschriften sammeln, um eine Volksabstimmung zu erzwingen. Es will durchsetzen, dass Volksentscheide künftig auch ohne das Plazet des Fürstenhauses Gesetzeskraft erhalten.
„Ich werde unterschreiben“, sagt der Wirt eines Gasthauses in einer der nur elf Gemeinden des Landes. Seinen Namen will er nicht nennen. Seine Frau eilt herbei und besteht darauf, dass alles anonym bleibt: „Auch der Name unseres Dorfes darf nicht in Ihrer Zeitung stehen. Da googelt einer im Internet, stößt auf Ihren Artikel, auf unseren Namen, und dann können wir den Laden dicht machen.“ Hier kennt jeder jeden, spricht sich alles schnell herum. Und wer die Initiative für die Durchführung einer Volksabstimmung unterschreibt, gilt schnell als Feind des Fürsten. 1500 Unterschriften braucht es. Nicht viel. Und doch ziemlich viel bei nur 19000 Stimmberechtigten. Wenn es klappt, wird das Volk im Sommer an die Urnen gerufen.
„Ohne Fürst sind wir nichts“
Der Fürst grollt. Und der Erbprinz droht. „Man wird sich mit der Tatsache abfinden müssen, dass das Fürstenhaus das Staatsoberhaupt nur unter gewissen Bedingungen stellt“, machte Hans-Adam II. schon vor vier Wochen in seinem traditionellen „Geburtstagsinterview“ klar, „schließlich kostet dies dem Fürstenhaus Zeit und Geld.“ Und Alois kündete an, das Fürstenhaus werde sich bei einem Erfolg der Initiative „mit einem klaren Schnitt gänzlich aus dem politischen Leben in Liechtenstein zurückziehen“. Vater und Sohn drohen dem Volk an, es zu verlassen. Was aber wäre Liechtenstein ohne das Fürstenhaus, nach dem der Staat benannt ist? „Ohne Fürst sind wir nichts“, jammert der Volksmund.
„Wir leben in einer Mischung von Demokratie und Monarchie“, sagt Wilfried Marxer, „es ist eine Art Zwangsehe.“ Marxer ist Leiter der politologischen Abteilung am Liechtenstein-Institut, einer privaten Forschungsstätte, die ihren Sitz auf dem Kirchhügel von Bendern hat, da wo vor über 300 Jahren die Männer aus dem Unterland erstmals dem Fürsten von Liechtenstein die Treue schworen. „Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage“, zitiert Marxer die Verfassung, „die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert.“ In der Politologie spricht man von einem dualistischen Staatsaufbau. Der Liechtensteiner ist Bürger und Untertan zugleich.
Vor neun Jahren haben die Liechtensteiner in einer Volksabstimmung einer Verfassungsrevision zugestimmt, die die Machtbefugnisse des Fürsten ausweitete. Der Monarch kann nun jederzeit die Regierung entlassen und – wenn „erhebliche Gründe“ vorliegen – den 25-köpfigen Landtag, das Parlament, auflösen. Auch entscheidet über die Besetzung von Richterposten letztlich er. Jedes Gesetz und jede Verfassungsänderung, ob vom Landtag oder in einer Volksabstimmung beschlossen, bedarf der Zustimmung des Fürsten. Nur eine Ausnahme sieht die neue Verfassung aus dem Jahr 2003 vor: Wenn die Liechtensteiner über eine Volksabstimmung die Monarchie abschaffen wollen, hat der Fürst kein Vetorecht.
Das Fürstenhaus hat unmissverständlich klar gemacht, dass es sein Veto gegen das Gesetz einlegen wird, mit dem die Initiative sein Vetorecht abschaffen will. Und ziemlich nassforsch hat Hans-Adam II. in seinem „Geburtstagsinterview“ die Initiative dazu aufgefordert, den einzig rechtsstaatlichen Weg anzupeilen: eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Monarchie. Eine solche aber, da ist sich Marxer sicher, hätte nicht die geringste Chance. „Die Liechtensteiner sind eine konservative, bäuerliche Gesellschaft, ein starkes Bürgertum hat sich hier nie entwickelt“, sagt der Politologe, „dank dem Fürstentum, so die vorherrschende Meinung, sei man von zwei Weltkriegen verschont geblieben, dank dem Fürstentum geht es den Liechtensteinern wirtschaftlich gut. Noch immer ist der Fürst auch der Schutzherr.“
Konservativ ist nicht nur die Gesellschaft des Ländchens, das so groß ist wie der Berliner Bezirk Treptow-Köpenick und 36000 Einwohner zählt, sondern auch sein Parlament. 24 der 25 Abgeordneten gehören zwei Parteien an, die beide – am europäischen Maßstab gemessen – rechts von der Mitte angesiedelt sind, sich in ihren politischen Positionen kaum unterscheiden und gemeinsam die Regierung stellen. Der einzige oppositionelle Parlamentarier ist Pepo Frick. Der 60-jährige Arzt gehört der „Freien Liste“ an, die sich in ihrem Untertitel „sozial, demokratisch, ökologisch“ nennt.
Frick ist ein fortschrittlicher Zeitgenosse. Trotz des absehbaren Vetos des Fürsten hat er einen Gesetzesvorschlag zur Legalisierung der Abtreibung eingebracht. Anders als die beiden Regierungsparteien begrüßt er die Volksinitiative zur Begrenzung des Vetorechts des Fürsten. Vier Jahre lang hat der Arzt in Afrika gearbeitet. Das hat seinen Horizont erweitert und auch den Blick auf das kleine Land geschärft, das zwischen dem Rhein und den Vorarlberger Alpen eingeklemmt ist. Für viele Liechtensteiner ist der einzige Oppositionspolitiker im Parlament ein schwarzes Schaf, ein Nestbeschmutzer. Doch nichts liegt ihm ferner als ein Sturm auf das Schloss Vaduz. „Die Monarchie hat eine identitätsstiftende Klammerfunktion“, sagt er, „ich will sie nicht abschaffen, ich will nur die demokratische Komponente in unserem Machtsystem stärken. Wir müssen die Monarchie den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts anpassen.“
Hans-Adam II. will alles oder nichts
„Wir hoffen, das Fürstenhaus wird das Votum des Volkes akzeptieren“, sagt Sigvard Wohlwend, Sprecher des Initiativkomitees, das in einem offenen Brief die Landtagsabgeordneten auffordert, den Abstimmungsgegenstand „nicht zu dramatisieren, um eine unnötige Emotionalisierung zu vermeiden“. Vehement wendet es sich gegen die Unterstellung, es wolle die Monarchie abschaffen. Ziel sei bloß, einen Beitrag zu einer maßvollen Demokratisierung Liechtensteins beizutragen. Damit – so heißt es im offenen Brief schon fast devot – stehe man doch im Einklang mit den Absichten und Wünschen des Fürsten. „Hoffentlich wird die Demokratie das dritte Jahrtausend und die weitere Zukunft der Menschheitsgeschichte prägen“, hatte Hans-Adam II. in seinem Buch „Der Staat im dritten Jahrtausend“ geschrieben.
Das Fürstenhaus hingegen schreckt vor einer Emotionalisierung der Debatte nicht zurück. Es polarisiert und droht, sich aus der Politik zurückzuziehen. Es fordert das Initiativkomitee auf, eine Abstimmung über die Monarchie als Staatsform zu erzwingen, wenn es das Vetorecht des Fürsten nicht akzeptieren wolle. Es ist die Strategie des Alles oder Nichts. Hans-Adam II. und Alois wissen, dass das Kalkül aufgeht, solange sich die Liechtensteiner ihr Land ohne das Fürstenhaus, dem es seinen Namen verdankt, nicht vorstellen können. Solange viele Bürger und Untertanen befürchten, der Fürst könnte aus dem Schloss von Vaduz, das hoch über dem Residenzstädtchen thront, einfach ausziehen und sie alleine lassen.
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung,17.03.2012