Die Macht der Marabouts

TOUBA. Die Zigaretten gibt der Besucher an der Stadtgrenze ab. Beim Verlassen des Ortes werden sie ihm wieder ausgehändigt. In Touba herrscht striktes Tabakverbot. Ein kühles Bier gibt es – bei 35 Grad im Schatten – nirgends. Der Genuss von Alkohol ist strengstens untersagt. Touba, in der westafrikanischen Savanne gelegen, ist die zweitgrößte Stadt des Senegal und zählt über eine halbe Million Einwohner. Aber nach einem Hotel sucht man vergeblich. Es gibt keins.

1963 noch war Touba ein kleiner Ort mit weniger als 5 000 Einwohnern. In jenem Jahr aber wurde die Große Moschee eingeweiht, ein Prachtbau mit fünf Minaretten, grünen und blauen Kuppeln, Marmor aus Carrara und Granit aus Spanien. Es ist einer der größten Sakralbauten Afrikas. Touba ist das Mekka des schwarzen Kontinents. Jedes Jahr pilgern zum Magal, einem dreitägigen Fest, über eine Million Wallfahrer nach Touba. Sie schlafen draußen oder kommen bei Einheimischen unter.
„Touba ist eine heilige Stadt“, sagt Saliou Gueye feierlich, der sich als offizieller Führer für die Große Moschee vorstellt, „die Macht der Regierung in Dakar endet an den Grenzen von Touba. Hier gelten andere Gesetze, und Steuern bezahlt keiner.“ In der Tat, in Touba hat nur einer das Sagen: der Kalif. Statt Steuern gibt es religiöse Abgaben der Reichen, von denen auch die Armen profitieren, Überweisungen aus der Diaspora, Zuwendungen.

Touba ist das Zentrum der Muridiyya, einer Bruderschaft, die erst Ende 19. Jahrhundert vom islamischen Mystiker Amadou Bamba gegründet wurde, einem Sufi oder Marabout, wie man in Afrika sagt. Amadou Bamba, geboren 1853, wurde von den französischen Kolonialherren acht Jahre inhaftiert, bevor er ins Exil ins heutige Gabun ausreisen durfte. Als er heimlich in seine Heimat zurückkehrte, nahmen ihn die Franzosen erneut fest und inhaftierten ihn vier Jahre lang in ihrer Kolonie Mauretanien. Spät erst merkten sie, dass jedes Jahr Haft seine Reputation vergrößerte, fortan förderten sie ihn.

1927 starb Amadou Bamba, sechs Jahre, bevor der Bau der Großen Moschee zu seinen Ehren in Angriff genommen wurde. Die Arbeiten sollten drei Jahrzehnte beanspruchen. Das Bild des Mystikers ist heute in ganz Senegal auf Busse und Hausmauern gemalt, es hängt an den Rückspiegeln von Autos, in Marktständen, Frisierstuben, Privatwohnungen.

Die meisten Senegalesen gehören einer religiösen Bruderschaft an. Die Muriden, denen sich etwa 30 Prozent der Bevölkerung zurechnen, bilden zwar nur die zweitgrößte, aber die wirtschaftlich stärkste und politisch einflussreichste Bruderschaft. Amadou Bamba hatte gelehrt, dass man nur durch harte körperliche Feldarbeit näher zu Gott komme. „Sei wie der kleine, mit Hirse beladene Esel, der seine eigene Last nicht frisst“, hatte er den Gläubigen empfohlen. Heute werden der Erdnusshandel und das Transportwesen vorwiegend von Muriden kontrolliert.
Auch Wahlkampf ist in der heiligen Stadt untersagt. So traf sich Präsident Abdoulaye Wade, der – obwohl 85 Jahre alt – am Sonntag zum dritten Mal Präsident werden will, mit Sidi Al Mouktar Mbacké, dem Generalkalifen der Muriden, zum Auftakt seiner Wahlkampagne vor drei Wochen wenige Kilometer außerhalb der Stadt. „Ich komme, um meinem Marabout einen Besuch abzustatten“, hatte er angekündigt, „und ihn zu bitten, für mich zu beten.“

Über das Gespräch wurden keine Details bekannt. Aber Wade hat die Fürbitte dringend nötig. Die Opposition tobt und die Jugend rebelliert. Die Verfassung lässt nur zwei Amtszeiten zu. Aber die von Wade selbst eingesetzten und von ihm mit einer saftigen Gehaltserhöhung gnädig gestimmten „fünf Weisen“ des Verfassungsrats befanden, dass Wade ein drittes Mal antreten dürfe. Die Begrenzung der Amtszeit sei ja erst ein Jahr nach Beginn seines ersten Mandats in Kraft getreten. Wade selbst hatte im Übrigen nach Antritt seiner zweiten Amtszeit öffentlich verkündet, dass er kein drittes Mal kandidieren könne, weil dies eine von ihm selbst durchgesetzte Verfassungsänderung ja verbiete. Daraufhin angesprochen, meinte er jüngst lapidar, nur Dummköpfe würden ihre Meinung nicht ändern.

Wade ist selbst ein bekennender Muride. „Die ganze Nation hat gesehen, wie der Präsident einst demütig vor dem Generalkalifen, der vor ihm auf einem Stuhl Platz genommen hatte, auf dem Boden saß“, sagt Ibrahima Niang, Sozialanthropologe an der Universität von Dakar, „alle Fernsehsender haben die Bilder ausgestrahlt. Jetzt will Wade wieder im großen Wählerreservoir der Muriden fischen.“
Dass der Präsident der Bruderschaft wiederholt große Geldsummen zukommen ließ, wird in der Hauptstadt als offenes Geheimnis gehandelt. Er werde sich immer für die Muriden einsetzen, sagte Wade auch jüngst wieder. Was für Nichtmuriden nach Bestechung riecht, hält mancher Muride für selbstverständlich. Schließlich ist der Präsident ja selbst Muride. Also ist es seine religiöse Pflicht, der Bruderschaft zu helfen.

Doch den von der Opposition befürchteten „Ndiguel“, eine direkte Wahlempfehlung, hat Sidi Al Mouktar Mbacké nicht gegeben. Er ist seit dem Tod des Gründers der Bruderschaft der siebte Kalif, das Amt wird vererbt. Immerhin aber erklärte Mbacké öffentlich, man müsse den Urteilsspruch der „fünf Weisen“ akzeptieren. Ein Schlag für die Opposition. „Im Unterschied zu den Tidschani, der größten Bruderschaft des Landes, der etwa die Hälfte der Senegalesen angehören, sind die Muriden streng hierarchisch organisiert. Disziplin wird groß geschrieben, Autorität nicht in Frage gestellt“, sagt der Sozialanthropologe Niang, ein Kenner der Bruderschaften, „auch wenn der Kalif keinen ,Ndiguel‘ gibt, können bei Bedarf doch einige wenige Marabouts Hunderttausende für seinen Kandidaten mobilisieren.“

Cheikhouna Mbacké, Enkel des Gründers der Muridiyya und Bruder des Kalifen, sitzt auf seinem Sofa, kaut auf einem Zahnstocher und empfängt Besucher. Auch er ist Marabout. Seine „Talibé“, seine „Schüler“ berichten ihm von ihren Alltagssorgen und suchen bei ihm Rat. Der eine hat Eheprobleme, der andere kein Geld und ein dritter hat einen Sohn, der Ärger bereitet. Und gibt er auch eine Empfehlung an „Schüler“, die nicht wissen, wen sie am Sonntag wählen sollen? „Der Marabout übersetzt die Gedanken des Propheten für die Gläubigen“, sagt er lächelnd, „wir nehmen nicht Partei – weder für die Regierung noch für die Opposition. Wir sind strikt neutral.“


© Berliner Zeitung

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 25.02.2012

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