In Stein gemeißelter Wahn

BUKAREST. Atemberaubend, schwindelerregend, gigantisch, monströs – es gibt kein Adjektiv, das den Dimensionen dieses steinernen Ungetüms im Zentrum von Bukarest auch nur entfernt gerecht würde. Der Palast zeugt vom Wahn des Diktators, von seiner Selbstverliebtheit und seiner Unersättlichkeit. Die Rumänen froren und hungerten, die Raumtemperatur durfte zwölf Grad nicht übersteigen, für Milch stand man stundenlang an. Da baute Nicolae Ceausescu – „Titan der Titanen“, „Genie der Karpaten“, „Schatzkammer der Weisheit“, wie ihn seine Hofschranzen nannten – sein „Haus des Volkes“, den heutigen Parlamentspalast.

Ein schnurgerader breiter Boulevard führt auf den Palast zu – er ist ein Meter länger als die Champs-Elysées in Paris. Darauf legte Ceausescu Wert. Der „Boulevard des Sieges des Sozialismus“ heißt heute „Boulevard der Einheit“. Für Palast und Boulevard ließ der Diktator ein Fünftel der Altstadt Bukarests – zwölf Kirchen und eine Synagoge inklusive – abreißen. 57 000 Familien wurden zwangsumgesiedelt.

Im riesigen Palast, nach dem Pentagon in Washington angeblich das zweitgrößte Gebäude der Welt, wird der Mensch zum Zwerg, und wenn er den 115 Meter langen, mit 44 Marmorsäulen flankierten Korridor entlangläuft, wird er zur Schnecke. Die 18 Meter hohen Vorhänge im Treppenhaus, ein jeder 500 Kilogramm schwer, und die Teppiche, die sich insgesamt auf eine Fläche von über fünf Hektar erstrecken, wurden im Palast gewebt, um die logistischen Probleme eines Transports zu umgehen. Im 2 200 Quadratmeter großen und 19 Meter hohen Ballsaal fände eine Dorfkirche samt Glockenturm bequem Platz. Eine Million Kubikmeter Marmor und 900 000 Kubikmeter Holz verschluckte der Palast.

Der Touristenführer schnurrt die Superlative in Rekordtempo herunter. Auf eigene Faust darf man das Gebäude nicht erkunden. Irgendwo in diesem Gewirr von Sälen, Treppen und Korridoren hat noch immer Anca Petrescu ihr Büro. Im Jahr 1981 hatte sie als 32-jährige Architektin den Wettbewerb gewonnen. Sie durfte den Palast bauen. Es war eine Überraschung, zumal sie auch unter Architekten weithin unbekannt war. Vielleicht nährte deren Neid das Gerücht, sie habe ihren Sieg einer nie bewiesenen Liaison mit Nicu, dem jüngsten Spross des Diktators, zu verdanken. Jedenfalls war es für die junge Architektin eine einzigartige Gelegenheit. Der Palast wurde zu ihrer Lebensaufgabe. Er ist ihr Werk, ihre Schöpfung.

„Ich habe mit viel Leidenschaft gearbeitet, sieben Tage die Woche, ohne Urlaub. Nur einmal nahm ich eine Woche frei, um meine Tochter zur Welt zu bringen“, berichtet Petrescu, eine resolute, selbstbewusste Frau, in fließendem Deutsch. „Es gibt ein Foto, auf dem ich hochschwanger auf einem Baugerüst jongliere.“ Die Architektin ist im siebenbürgischen Schässburg (Sighisoara), einer Stadt mit deutscher Minderheit, aufgewachsen und hat dort die deutsche Schule besucht. Ihre beiden erwachsenen Töchter leben in München. Sie selbst arbeitet in Paris und Bukarest. Die Arbeit am Palast ist zum Nebenjob geschrumpft. „Das Haus ist zu 95 Prozent fertiggestellt“, sagt sie, „nur im Untergeschoss müssen noch einige Arbeiten erledigt werden.“

Importe unerwünscht


Anca Petrescu spricht nur vom „Haus“, wenn sie den Palast meint, der ja einst „Haus des Volkes“ war. Sie sagt noch immer schlicht „der Präsident“, wenn sie von Ceausescu redet. Sie stand damals im Zenit ihrer beruflichen Karriere. Sie befehligte rund 400 Architekten, Ingenieure und 20 000 Bauarbeiter, die in drei Schichten Tag und Nacht arbeiteten und den Traum Wirklichkeit werden ließen. „Wir hatten fünfzigtausend handgezeichnete Pläne, Computer gab es ja noch nicht“, sagt sie. „Aber am liebsten habe ich mit den Malern und Bildhauern gearbeitet, mit Künstlern kann man träumen.“

War es wirklich ihr eigener Traum, der da steinerne Wirklichkeit geworden ist? „Der Präsident kam jeden Sonnabend auf die Baustelle“, erinnert sich die Chefarchitektin. „Oft diskutierten wir mehrere Stunden. Manchmal hat er sich durchgesetzt, meistens ich. Er hat nie wie ein Diktator einfach Befehle erteilt.“ Es gab nur eine Bedingung: Sämtliches Material musste aus Rumänien stammen, nichts durfte importiert werden. „Als ich in ganz Rumänien kein Glas in der fahlen, grünen Farbe auftreiben konnte, die ich wünschte, ordnete der Industrieminister den Bau einer Fabrik für die Produktion von Glas in fahler, grüner Farbe an.“

1984 war der erste Spatenstich. 1990 sollte der Bau fertiggestellt sein. Doch die Weltgeschichte kam dazwischen. In Ungarn wurde der Grenzzaun zerschnitten, in Berlin fiel die Mauer, und in Prag brach die „samtene Revolution“ aus. In Rumänien aber floss Blut. In Timisoara schossen die Armee und der Geheimdienst auf Demonstranten. Als Ceausescu eine Woche später im Hubschrauber vom Dach des Gebäudes des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in Bukarest fliehen wollte, nahm die Armee ihn fest. Ein Militärtribunal verurteilte ihn zum Tod, anschließend wurde der Diktator sofort erschossen.

„Es war ein grässliches Verbrechen“, urteilt Petrescu. „Vom Präsidenten ging ja keine Gefahr mehr aus.“ Gewiss, der Prozess war eine juristische Farce. Doch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Erschießung Ceausescus große Teile der auf ihn eingeschworenen Geheimpolizei entmutigte und weiteres Blutvergießen verhinderte.

Für Politik habe sie sich nie interessiert, behauptet die Architektin, auch sei sie nie in der Partei gewesen. Man glaubt es ihr, wenn man sie vom Haus schwärmen hört, das sie gebaut hat. Ihre Arbeit bedeutete ihr alles. Doch von 2004 bis 2008 saß sie im Parlament als Abgeordnete der Großrumänien-Partei. Deren Chef Corneliu Vadim Tudor dichtete als Lyriker einst Oden auf Ceausescu. Nach dem Kollaps des Regimes forderte er Ghettos für Roma und Arbeitslager für Ungarn und schrieb antisemitische Artikel. Seine extrem nationalistische Partei fordert ein Großrumänien, das Moldawien, Teile Bulgariens und der Ukraine einschließt, und verherrlicht Ceausescu.

„Ich interessiere mich nicht für Politik“, wiederholt Anca Petrescu. „Aber diese Partei stand nun mal meiner Vorstellung von Patriotismus am Nächsten.“ Für das Parlament habe sie nur kandidiert, um ein Gesetz durchzubringen, das es dem Parlament erlaubte, im „Haus“ legal zu tagen, bevor dieses fertiggestellt und seine Nutzung baurechtlich abgesegnet sein würde. „Das Parlament kam ja damals illegal im Haus zusammen“, begründet die unpolitische Architektin ihr politisches Engagement.

Ganz legal tagte dann 2008 auch der Nato-Gipfel im Palazzo prozzo von Bukarest. „61 Staatschefs hatten ihr Büro im Palast“, berichtet Petrescu mit Stolz. „Zehntausend Personen waren im Haus, viertausend Medien akkreditiert. Und der ganze Rummel hinderte das Abgeordnetenhaus und den Senat nicht, wie gewohnt in ihren beiden Flügeln den Geschäften nachzugehen.“ Die Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments haben je ein Büro von über 400 Quadratmeter Fläche. Das eine war als Arbeitszimmer von Präsident Nicolae Ceausescu vorgesehen, das andere für seine Gattin Elena, „die liebende Mutter der Nation“, die zusammen mit ihm hingerichtet wurde.

Auch hier sieht man überall schwere Kristalllüster, dicke Teppiche mit rumänischen Motiven, mächtige Marmorsäulen. Die schamlose Pracht und der Prunk im Palast des Diktators, der es vom Schusterjungen zum Präsidenten mit vergoldetem Zepter gebracht hat, hören erst an einem Ort auf: an den versteckten stillen Örtchen. Die 800 Toilettengruppen wirken geradezu profan. Für ihre Sauberkeit sorgen 400 Putzfrauen, die im Parlamentspalast beschäftigt sind.

© Berliner Zeitung

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.07.2010

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