JOUMANA HADDAD – Die Mörderin Scheherazades

Im Libanon gilt sie als Skandalnudel. Aber der Skandal ist nicht sie, Joumana Haddad, 42, Lyrikerin, Journalistin, Feministin. Der Skandal sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Heuchelei und Verlogenheit fördern, die Unterwerfung zur Tugend erklären und Selbstverachtung produzieren. Gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Macht, Sex und Religion eine unheilige Allianz eingehen und in denen ein Häutchen zwischen den Schenkeln der Frau über ihre Ehre entscheidet. Joumana Haddad nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Grundsätzliches geht.

Haddad leitet das Feuilleton von an-Nahar, der größten und wichtigsten Zeitung des Libanons, die Redaktionsräume liegen im Herzen von Beirut. Im Büro der Feuilletonchefin stapeln sich Manuskripte, Zeitschriften, Bücher, einige davon hat sie selbst geschrieben. Nebenbei lehrt sie Italienisch und Spanisch an der Universität.

Haddad ist ein Energiebündel, sie strahlt Optimismus und Selbstgewissheit aus. Sie ist schlank, modisch gekleidet, trägt ihr langes Haar offen – und ist vermutlich die Traumfrau vieler libanesischer Männer. Solange sie den Mund nicht aufmacht. Denn sie kann sich über die Arroganz von Männern aufregen und über ihre Dummheit lachen, verschont allerdings auch ihre Geschlechtsgenossinnen nicht.

Obsession und Heuchelei

Bekannt wurde Joumana Haddad weit über die Landesgrenzen hinaus, als sie vor fünf Jahren Jasad gründete, das erste erotische Kulturmagazin im arabischen Raum. Der Name war Programm, Jasad heißt zu deutsch: Körper. Da wurden Texte über Sexualität mit Aquarellen von Kamasutra-Stellungen illustriert, Phallus-Skulpturen verschiedener Epochen gezeigt, auch gelebte Homosexualität war ein Thema. „Man schalt mich unmoralisch, zügellos, sittenwidrig, sündhaft, verdorben, gemeingefährlich“, rattert sie genüsslich die Attribute hinunter, die ihr um den Kopf flogen, „aber ich erhielt auch viel Zuspruch, vor allem von Frauen, gerade weil ich an Tabus rührte.“

„Es war ein publizistischer Erfolg“, sagt Haddad, „wir verkauften 4500 Exemplare pro Ausgabe, aber nach zweieinhalb Jahren und neun Nummern war Schluss. Ich dachte, ich könnte das Magazin über Werbung finanzieren, die Agenturen hatten jedoch Angst, Klienten aus den konservativen reichen Golfstaaten zu verlieren.“ Jetzt plant die sie eine digitale Version – mit Apps für Smartphones und Tablets. „Das ist deutlich billiger.“

Aufgewachsen ist Haddad in bescheidenen Verhältnissen. Der Vater arbeitete in einer Druckerei, die Mutter kümmerte sich um den Haushalt und die beiden Kinder und ging täglich zur Messe. „Noch immer benetzt mich die Mutter mit Weihwasser und segnet mich, wenn ich sie besuche“, sagt die Journalistin, „in der Hoffnung, dass ich den Weg zu Gott wieder finde.“

Man kann sich vorstellen, wie es der tief gläubigen Frau ergangen sein muss, als sie das Buch „Wie ich Scheherazade tötete“ las, verfasst von ihrer eigenen Tochter. Über ihre Kindheit schreibt diese: „In den frühen Phasen meines Lebens gab es nur zwei Dinge, die ich zu tun für wert befand, wann immer ich Gelegenheit hatte, allein zu sein: Lesen und Masturbieren. Beide Genüsse bedurften der Einsamkeit, um voll ausgekostet zu werden.“ Das Buch, das Haddad auf Englisch geschrieben hat, erschien vor zwei Jahren auch auf Arabisch. „Meine Mutter war sehr besorgt“, erzählt Joumana Haddad, „sie sagte: ‚Was werden wohl meine Freundinnen in der Kirche sagen, wenn sie merken, dass du solche Texte schreibst?‘“

„Die Araber“, sagt die Tochter heute, „haben ein verklemmtes Verhältnis zu ihrem Körper, Sexualität ist bei uns eben doch noch sehr tabuisiert.“ Und Tabus bricht Joumana Haddad mit Lust. Als erstes und bisher einziges Buch in ihrem eigenen Verlag hat sie „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ herausgegeben, in dem Catherine Millet, Chefredakteurin einer französischen Kulturzeitschrift, über ihre eigenen Erfahrungen mit Gruppensex und Swingerszene berichtet.

„Körper und Erotik sind nun mal meine wichtigsten Quellen der Inspiration“, sagt Haddad. Gewiss weiß die Frau, die unter anderen Umständen vielleicht als Model Karriere gemacht hätte, um ihre eigene Ausstrahlung. Dass man ihr unterstellt, sie sei Nymphomanin und schreibe pornografische Texte, daran hat sie sich gewöhnt – oft seien solche Vorwürfe Ausdruck heimlicher sexueller Obsessionen, befindet sie. Nichts aber erzürnt sie so sehr wie Heuchelei und Doppelzüngigkeit. Bei aller Liebe zur arabischen Sprache, die reich an Bildern und Allegorien ist, schätzt sie auch das klare Wort. Geschrieben liest sich das bei ihr so: „Warum ein Risiko eingehen und von Brüsten sprechen, wenn man sich über Hügel oder Berge (je nach Körbchengröße) und über Äpfel und Birnen (je nach Form der Wölbung) ergehen kann? Warum Gefahr laufen, das Feingefühl des Lesers durch namentliche Erwähnung der Klitoris zu verletzen, wenn man mit etwas Fantasie auch von der ‚Paradiesesblüte‘, der ‚Himmelslippe‘ oder, wenn man es richtig drauf hat, von ‚des Vulkans Türknauf‘ schwärmen kann?“

Diese Sätze stehen in Haddads Buch „Wie ich Scheherazade tötete“. Die Märchenerzählerin aus „Tausendundeiner Nacht“ rettete ihr eigenes Leben, indem sie den Sultan mit immer neuen Geschichten einlullte. Deshalb gilt sie als geschickt und klug. Joumana Haddad sieht das anders: „Frauen soll eingeredet werden, sie könnten es im Leben zu etwas bringen, wenn sie nur dem Mann gefällig und zu Diensten sind, sei es, indem sie ihm schöne Geschichten erzählen oder ihm ein leckeres Essen servieren, sei es durch ein Paar Silikontitten, einen guten Fick oder was auch immer.“

Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist das zentrale Thema ihres zweiten Essaybandes, den sie auf Englisch geschrieben hat, er trägt den Titel „Superman ist Araber“. Haddad hat Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer gründlich gelesen. Der feministischen Bewegung der Sechzigerjahre verdanke sie viel, sagt die 1970 geborene Publizistin. Doch wirft sie ihr vor, den Mann zum Feind gestempelt zu haben. „Gewiss, in der arabischen Welt wird der Körper der Frau als Besitz des Mannes begriffen“, sagt sie, „aber dass dies so ist, daran sind auch Frauen schuld, Mütter, die ihre Söhne zu Machos erziehen und ihre Töchter zu unterwürfigen Ehefrauen.“

So sehen sie aus, die realen Machtverhältnisse. Die Männer können ihre Sexualität ausleben, die Frauen sollen jungfräulich in die Ehe eintreten, weshalb sich viele unverheiratete Frauen das Hymen vor der Hochzeit wieder zunähen lassen. Bei diesem Thema ist Joumana Haddad nicht zu bremsen: „Die Frauen betrachten ihren Körper nicht als ihr Eigentum, sondern als Geschenk an den Mann. Und der Mann hat einen solchen Mangel an Selbstvertrauen, dass er es nötig hat zu glauben, er sei im Leben seiner Frau der Erste. So beginnt eine Ehe, die auf Lügen gebaut ist.“

Zweimal hat Haddad geheiratet, den zweiten Mann auf Zypern, weil im Libanon nur eine religiöse, aber keine zivile Eheschließung möglich ist. Zweimal hat sie sich scheiden lassen. Ihre Söhne, heute 21 und 14 Jahre alt, hat sie im Wesentlichen allein aufgezogen. Heute hält sie die Ehe für eine patriarchalische Institution, die unter dem Joch der Religion steht. Bald wird die arabische Ausgabe von „Superman ist Araber“ erscheinen, ein neuer Skandal ist ihr sicher, das für diese Ausgabe verfasste Vorwort trägt den Titel „Weshalb ich Atheistin bin“. Religion ist noch stärker tabuisiert als Sex.

Unheilige Dreifaltigkeit

Haddad, streng katholisch erzogen, nimmt in ihrer Suada keine der drei monotheistischen Religionen aus. Der christliche Gott hat keine Brüste, sondern einen Bart, er hat keine Tochter, aber einen Sohn, und der hat zwölf Apostel, unter ihnen keine Frau. Im Talmud steht, es sei „tausendmal besser, die Thora zu verbrennen, als sie einer Frau zu geben“. Und Allah hat einen Propheten geschickt, Mohammed, der ungefähr (die genaue Zahl ist umstritten) zehn Frauen hatte, von denen jede aber nur ihn als Mann hatte.

Über die Dreifaltigkeit von Sex, Religion und Macht kann sich Haddad in Rage reden. Mit Verve verteidigt sie ihre radikalen Ansichten. Aber es gibt noch eine andere Joumana Haddad, die ruhig, warm, nachdenklich über ihre Herkunft spricht, über ihre christlichen Eltern, über ihre Großmutter, eine Armenierin aus Anatolien, die als Kind den Genozid im Osmanischen Reich überlebte, nach Aleppo zog, dort heiratete und mit ihrem Mann nach Beirut umsiedelte, wo sie sich als 65-jährige Frau umbrachte. Joumana war damals sieben Jahre alt. Viele Jahre später hat sie ihre Mutter gebeten, ihr die armenische Sprache beizubringen. Und so spricht sie heute neben Arabisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch auch Armenisch.

Als Hommage an ihre Großmutter hat Haddad eine Anthologie mit Texten von 150 Poeten herausgegeben, die sich das Leben genommen haben. Danach hat sie über zwölf Lyrikerinnen, die Selbstmord begangen haben, einen Gedichtband verfasst. Auf Arabisch. Er trägt, frei übersetzt, den Titel „Spiegel der Frauen, die im Traum vorübergehen“. „Ich habe versucht, zum Zeitpunkt ihres Suizids in ihre Haut zu schlüpfen“, sagt sie. Es ist ein sehr einfühlsames Buch. Anders als ihre Bücher über Sex und Machismo hat es keinerlei Aufsehen erregt.

©Berliner Zeitung

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 14.11.2013

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