Die alte Frau hat sich einen strategisch günstigen Platz ausgesucht. Sie sitzt, hingekauert in eine Mauernische, in einer Gasse der Altstadt von Havanna, wenige Schritte von der Bodeguita del Medio entfernt. Die kleine Kneipe wird in jedem Reiseführer erwähnt wird, weil hier Ernest Hemingway einst täglich seinen Mojito getrunken hat, den mit frischer Pfefferminze und zerquetschtem Eis angereicherten kubanischen Rum. Kaum ein Tourist übersieht die Alte mit den künstlich gebleichten Haaren, der schweren Hornbrille und den markanten Zahnlücken, die von morgens bis abends an einer gewaltigen Zigarre nuckelt. Ein ideales Sujet für einen Schnappschuss. Doch die Frau hat alles im Blick – und wehe, der Tourist will für das Foto nicht einen Dollar herausrücken. Da kann sie recht böse kreischen.



Auf der Kaimauer sitzt ein schlaksiger Schwarzer. Wenn ein Tourist sich nähert, führt er seine Posaune an die Lippen, schaut in den Himmel und bläst eine sanfte Melodie. Ein schönes, melancholisches Bild. Kostet einen Dollar.

Hinter dem Revolutionsmuseum, wo der Kampf der Guerilla Fidel Castros gegen die Diktatur der US-Marionette Batista er- und verklärt wird, kramt ein junger Mann blaue Pillen aus der Hosentasche. Viagra, angeblich. Vier Stück für 20 Dollar. Unsere Mulattinnen sind feurig. Das brauchst du. Sonst hältst du das nicht durch.

Der Dollar, die Währung des Feindes, ist in Kuba längst Erstwährung geworden.

Viele Artikel des täglichen Bedarfs, Luxusartikel ohnehin, sind seit Jahren nur gegen Dollar erhältlich. Doch seit Anfang dieser Woche werden die Greenbacks als Zahlungsmittel nicht mehr akzeptiert. Bis kommenden Montag können Dollar noch zum Kurs eins zu eins in Konvertible Pesos umgetauscht werden. Danach nur noch mit einem Verlust von zehn Prozent. Dann spätestens werden auch die Alte, der Posaunenbläser und der Viagra-Verkäufer Chavitos verlangen, wie die Konvertiblen Pesos im Volksmund heißen.

Viel ändert sich damit nicht. Was man bislang mit Dollar bezahlte, wird man künftig mit Konvertiblen Pesos kaufen. Währung für staatlich subventionierte Waren und Dienstleistungen bleibt der kubanische Peso. Wechselkurs: 1 zu 25.

Zurzeit stehen die Kubaner vor 1663 Wechselstellen Schlange, die den Erfolg der großen Operation garantieren sollen. Schon in den ersten drei Tagen nach Verkündung des Dekrets sollen 700 000 Kubaner ihre Dollar-Beträge in Konvertible Pesos getauscht haben. Die Granma, Organ der einzigen zugelassenen Partei im Land, titelte danach: Neuer Sieg Kubas über das Imperium und präzisierte: Der große Protagonist dieses Sieges ist unser würdiges und patriotisches Volk. Eine Operation dieses Ausmaßes ist nur im Sozialismus möglich. Wahrscheinlich ist etwa die Hälfte aller Kubaner im Besitz von Dollar, zumeist geringen Beträgen, die sie ohnehin bald für den Kauf eines Kleides oder Kühlschrankes ausgegeben hätten. Weshalb also zehn Prozent Verlust riskieren?

Für die meisten Kubaner ist es ohne Bedeutung, ob sie Dollar oder Konvertible Pesos besitzen. Zwar ist der Chavito außerhalb Kubas wertlos, der Dollar hingegen eine harte Währung die Insel verlassen. Trotzdem hat das neue Dekret die Kubaner überrascht und beträchtliche Verunsicherung geschaffen. Man rätselt darüber, was dahinter steckt, was die nächste Maßnahme sein könnte – wie es eben so läuft in einer Gesellschaft ohne freien Zugang zu Information.

Im vergangenen Jahr haben die Exilkubaner schätzungsweise 1,1 Milliarden Dollar an ihre Verwandten und Freunde in Kuba überwiesen, so viel wie die gesamten Einnahmen des Landes aus dem Tourismus und dem Zuckergeschäft. Nun wird – zumindest vorübergehend – mit einem Rückgang der Geldgeschenke gerechnet, weil bei jedem Eintausch der kubanische Staat seinen Zehnten kassieren wird. Allerdings werden ohnehin höchstens zehn Prozent der Auslandsüberweisungen legal über eine Bank abgewickelt. Das meiste Geld wird Besuchern mit auf den Weg gegeben. Und die werden künftig eben Euro oder kanadische Dollar einführen.

Mit den eingetauschten Dollar, sagt Manuel Cuesta, kann der Staat kurzfristig Engpässe in der Liquidität überbrücken. Er kann damit auch – über Strohmänner – auf den internationalen Finanzmärkten spekulieren. Cuesta ist provisorischer Sprecher von Arco Progresista, einem Bündnis sozialdemokratischer Dissidenten, das weder über eine Publikation noch über ein Büro verfügt, weil oppositionelle Gruppierungen nicht zugelassen sind.

Zudem, sagt er, löse der Zwangsumtausch für Kuba das leidige Problem einer Geldwäsche der besonderen Art: Wie soll man die Greenbacks ersetzen, die durch tausend Hände gegangen und zerfleddert sind? Im Mai dieses Jahres hat die US-Regierung die größte Schweizer Bank, die UBS, zu einer Geldstrafe von 100 Millionen Dollar verdonnert, weil diese für Kuba abgenutzte Dollar in fabrikneue getauscht hat. Grundsätzlich hat die amerikanische Notenbank die UBS und eine Reihe weiterer Banken ermächtigt, verbrauchte Dollar zu ersetzen – doch nicht aus Ländern, die US-Sanktionen unterliegen. Die UBS hat die Strafe akzeptiert.

Warum kam das Dekret zur Erlangung monetärer Souveränität gerade jetzt?

Nun, fünf Tage bevor es verkündet wurde, hatte sich Castro bei einem Sturz ein Knie und einen Arm gebrochen. Man rätselte über seine Gesundheit und fragte sich gar, ob der comandante en jefe seine Marathon-Reden künftig aus dem Rollstuhl halten werde. Nun ist das kein Thema mehr. Man spricht über Dollar, Chavitos und Pesos. Cuesta jedenfalls vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Dekret und dem Sturz. Castro habe zeigen müssen, dass er die Dinge im Griff habe. Vor allem aber, sagt der Dissident, habe das Regime unmissverständlich klar gemacht, dass es eine politische und wirtschaftliche Öffnung nicht geben wird.

1993 hatte Kuba den Dollar, dessen Besitz bis dahin strafbar war, freigegeben, um die tiefe Wirtschaftskrise zu überwinden, in die Kuba aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion gestürzt war. Im Folgejahr wurden private Bauernmärkte zugelassen, um die katastrophale Versorgungslage der Bevölkerung zu verbessern. Schließlich durften Kubaner kleine Restaurants als Familienbetrieb eröffnen, Touristen unterbringen oder als Handwerker auf eigene Kosten arbeiten. Doch die Zahl solcher Handwerker ist stark zurückgegangen, und auch Familienrestaurants und Privatunterkünfte gibt es deutlich weniger als noch vor ein paar Jahren. Der Grund sind die hohen Steuern, mit denen jede privatwirtschaftliche Tätigkeit belastet wird. Umso besser gedeiht die Schattenwirtschaft.

An der Schattenwirtschaft ist hier in Havanna jeder beteiligt, behauptet Roberto, ein Arbeitsloser, der wegen seines losen Maulwerks schon zweimal seinen Job verloren hat. Der durchschnittliche Monatslohn beträgt 250 kubanische Pesos, also zehn Dollar oder gut acht Euro. So viel nehmen die eingangs erwähnte Alte bei der Bodeguita del Medio und der schwarze Posaunist auf der Kaimauer an einem einzigen Tag ein – und wahrscheinlich auch der Viagra-Verkäufer. Ein Arzt und ein Gymnasiallehrer verdienen ungefähr 400 Pesos – umgerechnet 13 Euro. Die Leute gehen nicht wegen des Lohns arbeiten, sagt Roberto, sondern weil sie am Arbeitsort Zugriff auf Materialien oder Kontakte zu Personen mit Zugang zum Dollar haben. Es herrscht Lehrermangel, weil es an den Schulen wenig zu holen gibt.

Arbeitsstellen in staatlichen Verkaufsläden hingegen sind sehr begehrt. Noch lukrativer ist eine Anstellung bei Cubacontrol, dem staatlichen Wachdienst.

Solche Jobs kriegt man nicht umsonst, meint Roberto, der als Arbeitsloser weiß, wie man sich am besten durchschlagen kann, dafür bezahlt man saftige Trinkgelder an Funktionäre.

Der Handel mit Immobilien und Autos ist offiziell verboten. Auf dem Schwarzmarkt gibt es beides. Auch Telefonzugänge werden verschachert, und Hacker bieten für 45 Dollar (oder künftig eben Chavitos) einen Monat illegalen Zugang ins Internet. Wer es hier über die Schattenwirtschaft oder über Zuwendungen von Verwandten aus Amerika zu einem bescheidenen Vermögen gebracht hat, sagt Roberto, kann es nicht legal investieren, also versucht er es auf krummen Wegen zu vermehren. Das Regime ist dagegen ziemlich machtlos, zumal schlecht bezahlte Beamten, wie überall auf der Welt, gegen Gefälligkeiten zwei Augen zudrücken. Außerdem weiß jeder, dass ohne die Schattenwirtschaft der Alltag in Kuba für viele schlicht nicht zu meistern wäre. Trotzdem: Der Staat beschäftigt ein Heer von Polizisten, Spitzeln und Aufpassern, um die Grenzen des Tolerierten zu markieren und Schwarzhändlern das Handwerk zu erschweren.

Manchmal werden auch technische Hilfsmittel eingesetzt. Nach einem Besuch im Messezentrum am äußersten Stadtrand Havannas fragt der Chauffeur, ob es dem Fahrgast etwas ausmache, das Gesäß ganz in die Sitzkante zu drücken. Der glaubt, nicht recht verstanden zu haben – und wird prompt aufgeklärt. Das Taxi hat Sensoren unter den Beifahrersitz und unter der Rückbank. Wenn der Kunde sich setzt, springt automatisch der Zähler an. Der Chauffeur rückt den Beifahrersitz so weit nach hinten, wie es die Mechanik erlaubt. Der Fahrgast tut sein Möglichstes. Und tatsächlich, der Zähler bleibt dunkel. Zwölf Dollar hat die Hinfahrt gekostet, die der Chauffeur dem staatlichen Betrieb abgeben muss, bei dem er – unabhängig von Fahrtkilometern – monatlich 150 Pesos verdient. Die zwölf Dollar für die Rückfahrt steckt er in die eigene Tasche.

Es sind – vorausgesetzt, er tauscht das Geld noch diese Woche – genau zwei Monatslöhne.

Thomas Schmid, DIE ZEIT, 11.11.2004