Abschied von Françafrique

Der Titel meines Vortrags heißt „Abschied von Françafrique“. Françafrique ist nicht einfach ein Wortspiel, sondern in der französischen Publizistik ein fester politischer Begriff. Schon bevor Frankreich seine Kolonien im Sahel und in der Subsahara in die Unabhängigkeit entließ, tauchte der Begriff „Françafrique“ auf. Er stand für die enge Verbundenheit von Kolonien und Mutterland, von France und Afrique, von Frankreich und Afrika. Aber auch nach 1960, dem Jahr, in dem die allermeisten französischen Kolonien Afrikas unabhängig wurden, befürworteten viele der neuen afrikanischen Staatschefs eine enge Anlehnung an Frankreich. Und natürlich war auch für General Charles de Gaulle, der als Präsident der Fünften Republik die Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen hatte, „Françafrique“ ein durch und durch positiv konnotierter Begriff. Ihm ging es im Kalten Krieg auch darum, West- und Zentralafrika als französische Einflusszone gegen sowjetische, aber auch gegen amerikanische Avancen zu verteidigen. Das geopolitische Gewicht, der Besitz von Atomwaffen und der ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat machten aus Frankreich so etwas wie eine mittlere Großmacht.
„Françafrique“ ist aber auch Ausdruck der paternalistischen Haltung Frankreichs gegenüber den afrikanischen Ländern. Frankreich bietet den Ex-Kolonien Schutz und hat dafür privilegierten Zugang zu ihren Bodenschätzen. Es wurden bilaterale Verteidigungs- und Wirtschaftsabkommen abgeschlossen. Es war eine win-win-Situation: Nutznießer waren die französische Wirtschaft und die afrikanischen Eliten. Omar Bongo, der sich in Gabun mit französischer Hilfe fast 42 Jahre lang an der Macht hielt und Frankreich großzügig die Ressourcen seines Landes plündern ließ, hat dieses Verhältnis einmal mit folgender Metapher auf den Punkt gebracht: „Afrika ohne Frankreich ist wie ein Auto ohne Chauffeur. Frankreich ohne Afrika ist wie ein Auto ohne Benzin.“ Einen erklecklichen Teil der Kosten für dieses Benzin, d.h. für die Lizenz, in Gabun Rohöl zu fördern, bezahlte der französische Erdölkonzern Elf Aquitaine, heute Total, direkt auf das Privatkonto Bongos – es waren 40 Millionen Dollar, jährlich. Und in diesen Tagen gerade beschäftigt sich die französische Justiz mit dem Nachlass der Bongo-Familie. Es geht um 21 mit französischen Korruptionsgeldern gekaufte Luxusimmobilien in Paris in bester Lage, die nun zum Teil beschlagnahmt sind.
So geriet der Begriff „Françafrique“, der lange Zeit nichts Ehrenrühriges an sich hatte, spätestens in den 1990er Jahren in Verruf. Nach vielen Korruptionsskandalen und Staatsstreichen war nun „Françafrique“ immer häufiger die Chiffre für korrupte Netzwerke zwischen Politikern, Unternehmern und Geheimdienstlern, die über Wahlfälschungen, Hinterzimmerabsprachen und Geheimoperationen sich Macht und Pfründen sicherten. Der private französische Mischkonzern Bolloré, unter den Top 10 der Transport- und Logistikunternehmen weltweit, kaufte 1995 die Eisenbahngesellschaften von Elfenbeinküste, Burkina Faso und Kamerun, hat die Konzessionen an den Containerterminals von mindestens sechs großen afrikanischen Häfen und unterhält heute das größte integrierte Logistiknetz in Afrika. Gilles Alix, Geschäftsführer des Konzerns, sagte 2008: „Die Minister dort unten, die kennen wir doch alle, das sind Freunde. Um Klartext zu reden: wir geben ihnen ab und zu, wenn sie nicht mehr Minister sind, die Möglichkeit, Leiter einer unserer Filialen zu sein. So können sie ihr Gesicht wahren, und man weiß ja, dass sie eines Tages wieder Minister werden können.“
Kurzum: „Françafrique“ war die Metapher für die französische Variante des Neokolonialismus: Frankreich kontrollierte weitgehend die Wirtschaft und oft auch die Politik seiner früheren Kolonien. Die politische Elite vieler der nun formal unabhängigen Staaten arrangierte sich damit ganz gut. Doch in der Gesellschaft wuchs eine Generation heran, die diese Abhängigkeit zunehmend in Frage stellte, weil sie diese als Schranke für eine eigenständige Entwicklung des Landes oder einfach als demütigend empfand. Schon Nicolas Sarkozy und François Hollande, die beiden Vorgänger Emmanuel Macrons im Elysée-Palast, hatten angesichts der wachsenden Kritik versprochen, mit „Françafrique“ endlich Schluss zu machen. Aber es blieb beim Business as usual.
Frischer Wind kam mit Macron. Schon als Präsidentschaftskandidat hatte er den Kolonialismus ein „Menschheitsverbrechen“ genannt. Frankreich, die Wiege der Menschenrechte, soll ein Menschheitsverbrechen begangen haben?! Konservative Politiker waren empört. Für viele ging die Kolonialisierung zumindest auch mit einer „mission civilisatrice“, einer zivilisatorischen Mission, einher. Macron aber versprach nun die Rückgabe kolonialer Raubgüter, beauftragte mit dem kamerunischen Historiker und Politologen Achille Mbembe einen der bekanntesten Intellektuellen Afrikas, einen Rapport über eine Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Frankreich und den afrikanischen Staaten zu erstellen, und lud zivilgesellschaftliche Organisationen afrikanischer Staaten zu einem Afrique-France-Gipfel ein. Afrique-France-Gipfel, nicht Françafrique-Gipfel.
Vor allem aber versprach Macron eine Reform des Franc CFA. Der CFA-Franc ist die gemeinsame Währung von 14 afrikanischen Staaten, von denen zwölf ehemalige Kolonien Frankreichs sind. Der CFA ist die Nabelschnur zwischen Frankreich und seinen früheren Kolonien und wurde 1945 eingeführt. Damals stand CFA für Colonies Françaises d’Afrique. Nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Kolonien behielt man die Abkürzung bei: Aber CFA steht seither in acht westafrikanischen Staaten nun für Communauté Financière d’Afrique und in sechs zentralafrikanischen Staaten für Coopération Financière en Afrique. Der CFA stand bis 1999 in einem festen Wechselkurs zum französischen Franc, seit 2000 zum Euro. Frankreich garantiert die unbegrenzte Konvertibilität und den freien Geld- und Kapitalverkehr mit Frankreich. Die CFA-Staaten mussten im Gegenzug Frankreich Sitze mit Vetorecht im Verwaltungsrat der beiden Zentralbanken – in Dakar, Senegal (für die westafrikanischen Staaten) und in Yaounde, Kamerun (für die zentralafrikanischen Staaten) – einräumen und die Hälfte ihrer Währungsreserven auf einem Konto des französischen Finanzministeriums deponieren.
Damit verzichteten die afrikanischen Staaten auf ihre finanzpolitische Souveränität, was schon seit Jahren immer wieder zu Unmut und Protesten führt. Macron reagierte mit einer Reform des westafrikanischen Währungsverbunds. Vor drei Jahren gab Frankreich seine Sitze im Verwaltungsrat der Zentralbank in Dakar auf und die westafrikanischen Staaten müssen in Paris keine Devisen mehr hinterlegen. Doch es ist nur eine halbherzige Reform, Blendwerk, denn die feste Anbindung an den Euro bleibt. Den meisten Staatschefs ist dies gerade recht, weil der feste Wechselkurs Stabilität und niedrige Inflation zu garantieren verspricht, viele Ökonomen kritisieren aber diese Anbindung, weil sie Importe auf Kosten der lokalen Produktion und der Exporte begünstigt, was zu einem chronischen Außenhandelsdefizit und einer ständig wachsenden Auslandsverschuldung führt. Nur eine Abwertung des chronisch zu hoch bewerteten CFA, die aufgrund der festen Anbindung nicht möglich ist, könnte die Wettbewerbsfähigkeit der afrikanischen Staaten verbessern und die lokale Produktion ankurbeln.
Noch deutlicher als der CFA erinnern die französischen Soldaten an die koloniale Vergangenheit. Noch immer hat Frankreich in sechs Staaten Afrikas Truppen stationiert. Vor anderthalb Jahren waren es noch neun Staaten. Aber dazu komme ich gleich. Großbritannien, früher die andere große Kolonialmacht in Afrika, hat sich militärisch aus dem Kontinent weitestgehend zurückgezogen. Das kleine Portugal, früher ebenfalls Kolonialmacht in Afrika, sowieso. Französische Spezialeinheiten jedoch sind Dutzende Male in afrikanische Staaten einmarschiert oder eingeflogen, um Potentaten an der Macht zu halten und manchmal auch um sie von der Macht zu entfernen. Auch das war Françafrique.
Nur selten wurden die Franzosen so begeistert empfangen wie Anfang 2013 in Mali. Als der damalige Präsident Frankreichs, François Hollande, auf der Place de l’Indépendance im Herzen von Bamako, der Hauptstadt des Landes, eine Rede hielt, feierten ihn Zehntausende als Retter. Frenetischer Applaus brandete ihm entgegen. Drei Wochen zuvor waren französische Soldaten einmarschiert, um Bamako vor einem befürchteten Ansturm der Islamisten zu retten, die bereits die nördliche Hälfte des Landes, das doppelt so groß wie Frankreich ist, unter Kontrolle gebracht hatten.
Ich war wenige Wochen vor der Ankunft der Franzosen in Bamako. Die Angst vor dem Terror der Islamisten war omnipräsent. Ousmane Hallé, der in die Hauptstadt geflüchtete Bürgermeister von Timbuktu, dem kulturellen Zentrum des Nordens, berichtete mir, wie die Islamisten sein Büro geplündert und seine Computer gestohlen hatten, und wie er seine sieben Kinder in den sicheren Süden brachte. Er wollte nicht, so erzählte er mir, dass sie wie die anderen Kinder in seiner Stadt auch zum Hauptplatz rennen, um sich die öffentlichen Auspeitschungen anzusehen. In Bamako zirkulierten – von Handy zu Handy verschickt – viele Videos von Handamputationen, aufgenommen in den Wüsten-Städten des Nordens, wo die Islamisten die Scharia anwandten. Die Franzosen waren also hochwillkommen, und innerhalb von nur drei Monaten waren sämtliche Städte des Nordens befreit, und noch im September desselben Jahres 2013 wurde in Mali ein neuer Präsident gewählt. Zu seiner Amtseinführung kam Hollande noch einmal nach Bamako. „Wir haben diesen Krieg gewonnen“, verkündete er mit geschwellter Brust, „wir haben die Terroristen verjagt. Der Norden ist wieder sicher.“
Sechs Jahre später, im November 2019, strömten erneut Demonstranten auf die Place de l’Independance, wo Hollande einst so begeistert empfangen worden war. Ihre Hauptparole aber war nun: „France dégage!“ – „Frankreich, hau ab!“ Was war passiert? Es war den Franzosen nicht gelungen, das Land zu befrieden. Die Dschihadisten waren zwar aus den großen Städten des Nordens vertrieben, hatten sich aber in die Weite der Wüste zurückgezogen, attackierten fortwährend Patrouillen der malischen Armee, aber auch französische Stützpunkte. Und selbst die Blauhelme der UN-Mission, die ein rein defensives Mandat hatte, wurden immer häufiger angegriffen.
Mali kam nicht zur Ruhe. Schon bald bildete die Armee ethnische Milizen gegen die aufständischen Tuareg aus und auch gegen die Peul, eine Ethnie, deren Milizen im Zentrum des Landes gegen die Milizen der Dogon, einer andern Ethnie, kämpften und sich zum Teil mit Dschihadisten verbündet hatten. In dieser komplexen und sich verschlechternden Sicherheitslage putschten im August 2020 die Militärs gegen den gewählten Präsidenten. Ihr Anführer war Assimi Goita, ein von der Bundeswehr in Deutschland ausgebildeter Oberst. Er überließ zwar unter dem internationalen Druck die Regierungsgeschäfte zwischenzeitlich einem Interimspräsidenten, übernahm nach einem zweiten Putsch im Mai 2021 dann aber definitiv die Macht.
Aus Protest gegen den Putsch kündigten die Franzosen eine Reduzierung ihrer militärischen Präsenz an, was die malischen Putschisten nicht sonderlich beeindruckte. Sie holten umgehend „russische Berater“ ins Land. 2022 kämpften dann bereits 1.400 russische Söldner der Wagner-Truppe auf Seiten der malischen Armee. Ihre Effizienz im Kampf gegen die Islamisten ist umstritten, weniger umstritten hingegen ist ihre Gewaltbereitschaft. In vielen Teilen des Landes kommt es zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Für 35% von ihnen macht ein UN-Report von 2022 die malische Armee verantwortlich. Allein im Dorf Moura tötete sie, unterstützt von Wagner-Söldnern, etwa 500 Zivilisten. Die letzten französischen Truppen verließen Mali im August 2022. Die Blauhelme, die in ihren Reihen über 300 Tote zu beklagen hatten, waren bis Jahresende 2023 auch alle abgezogen, und mit ihnen auch die deutschen Soldaten.
Die gescheiterte Intervention war der größte Militäreinsatz Frankreichs seit dem Algerien-Krieg. Die Franzosen wollten nicht nur Mali befrieden, sondern auch die angrenzenden Regionen in Burkina Faso und Niger sichern. Denn dort waren die Dschihadisten längst eingesickert und beherrschten immer weitere Gebiete. Allein 2019 fielen in Burkina Faso 2.000 Personen ihrem Terror zum Opfer, das UNHCR sprach von über 800.000 Binnenflüchtlingen. Über 40% des Territoriums hatte die gewählte Zivilregierung in Ougadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, ihre Kontrolle verloren, als im Januar 2022 auch dort die Militärs die Macht übernahmen. Innerhalb der Militärjunta kam es schon bald zu Konflikten und noch im September desselben Jahres zu einem zweiten Putsch unter Ibrahim Traoré. Seine zivilen Anhänger bewarfen die französische Botschaft mit Steinen und – schwenkten russische Fahnen. Gerade zwei Monate im Amt, flog der neue Regierungschef nach Moskau, wo er Russland öffentlich bat, ein Bündnispartner werden. Im Januar 2023 kündigten die neuen Machthaber das Militärabkommen mit Frankreich und setzten den 400 französischen Soldaten eine Frist von einem Monat, von der Bildfläche zu verschwinden. Und am 10. November 2023, vor zwei Monaten, landete eine Maschine der russischen Luftwaffe auf dem Flughafen von Ougadougou, der über 20 uniformierte Russen entstiegen….
Im Sommer vergangenen Jahres fiel nach Mali und Burkina Faso der dritte Dominostein. In Niamey, der Hauptstadt von Niger, putschte General Abdourahamane Tiani, Chef der Präsidialgarde, gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum, der bis heute festgehalten wird. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) verhängte umgehend scharfe Wirtschaftssanktionen gegen Niger und drohte den Putschisten eine militärische Intervention an, falls sie nicht umgehend Bazoum freilassen und die Macht wieder an ihn abgeben würden. Daraufhin kündigten Mali und Burkina Faso an, sie würden im Fall einer Intervention Niger militärisch beistehen. Aus Angst vor einem regionalen Krieg, der den islamistischen Gruppen zupass gekommen wäre, und auch angesichts der Unterstützung, die der Putsch in breiten Teilen der Bevölkerung genoss, machte die ECOWAS einen Rückzieher.
Für Niger, das zu den zehn ärmsten Ländern der Welt gehört, sind die Folgen der Wirtschaftssanktionen dramatisch. Es bezieht 71% des Strombedarfs vom benachbarten Nigeria, das die Grenzen geschlossen hat. Zahlreiche internationale Organisationen haben ihre entwicklungspolitischen Programme eingestellt. Viele nigrische Beamte kriegten keine Gehälter mehr, nachdem die EU ihre Finanzhilfe eingefroren hatte. Die nigrische Regierung kündigte an, sie müsse den Staatshaushalt um 40% kürzen – also weit dramatischer, als das war das Bundesverfassungsgericht der Ampelkoalition eingebrockt hat. Frankreich musste seine 1.500 Soldaten bis Jahresende 2023 abziehen.
Als Reaktion auf die von der EU angekündigten Sanktionen hob die Militärregierung ein Gesetz auf, das ihr die EU 2015 als Gegenleistung für Militär- und Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe aufgezwungen hatte. Dieses Gesetz stellte unter Strafe, Personen, die weder nigrische noch libysche Staatsangehörigkeit besitzen, von der nigrischen Wüstenstadt Agadez aus nach Norden zu transportieren. Durch Agadez verläuft die Hauptmigrationsroute aus den Staaten der Subsahara Richtung Libyen und übers Mittelmeer nach Lampedusa, Sizilien oder an die italienische Festlandküste. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) durchquerten 2022 etwa 329.000 Migranten die Wüste Richtung Norden. Das waren fast gleich viel wie sieben Jahre zuvor, als die Durchquerung noch legal war. Bloß nahmen die Migranten nun nicht mehr die Hauptroute, die durch Agadez führte, sondern wichen auf schlechtere Pisten aus.
Für die Migranten verdreifachte sich in der Regel der Preis für einen Trip durch die Wüste, weil die illegalen Fahrer nun Bestechungsgelder bezahlen mussten und für längere Fahrten höhere Spritkosten hatten. Vor allem aber wurde die Wüstenpassage gefährlicher. Auf den schlechten Pisten kam es häufiger zu Unfällen, die Migranten konnten leichter ausgeraubt werden, und oft setzten Schlepper aus Angst vor Polizeipatrouillen die Migranten einfach in der Wüste aus. Vincent Cochetel, der Sondergesandte des UNHCR für die Mittelmeerregion, ging 2019 davon aus, dass nach Inkrafttreten des von der EU erzwungenen Gesetzes mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer als im Mittelmeer selbst starben.
Auch für die Bewohner von Agadez, mit über 100.000 Einwohnern die größte Stadt im Zentrum des Landes, bedeutete das von der EU oktroyierte Gesetz eine Katastrophe. Eine bisher völlig legale Dienstleistung, der Transport von Passagieren im Kleinbus oder auf dem Lastwagen wurde kriminalisiert. Tausende hatten vom stetigen Strom der Migranten, die sich in Agadez mit dem Nötigsten versorgten, auf einen Weitertransport warteten oder für ein paar Tage eine Unterkunft suchten, profitiert, sich als Ladenbesitzer, Wasserverkäufer, Taxichauffeure ein bescheidenes Auskommen gesichert.
All sie begrüßten die Aufhebung des unbeliebten Gesetzes durch die neuen Machthaber. Fast gleichzeitig kündigte der Juntachef anlässlich eines Besuches des russischen Vizeverteidigungsministers Jewkurow in Niamey Anfang Dezember eine Verstärkung der Kooperation mit Russland im militärischen Bereich an. Die Franzosen draußen, die Russen wohl bald drinnen und die Fluchtroute in den Norden wieder offen. Keine schöne Perspektive für Europa!
Abgesehen von den relativ kleinen Staaten Togo und Benin und abgesehen von Guinea, wo vor zwei Jahren ebenfalls Militärs die Macht übernommen haben, kann sich Frankreich in Westafrika nur noch in Elfenbeinküste und auf Senegal verlassen. In beiden Ländern unterhält es militärische Stützpunkte. Noch. In Elfenbeinküste kam es vor allem im Grenzgebiet zu Mali schon öfter zu dschihadistischen Überfällen. In Senegal, einem der ganz wenigen Staaten Afrikas, in dem es seit der Unabhängigkeit noch nie einen Putsch gab und das bislang ein Stabilitätsanker Frankreichs war, wird im Februar ein neuer Präsident gewählt. Der Oppositionsführer Ousmane Sonko, der seit Juli im Gefängnis sitzt und über dessen Zulassung zu den Wahlen in den kommenden Tagen wohl definitiv entschieden wird, reitet ganz auf der antifranzösischen Welle. Seit Jahren schon heißt es auch auf Demos in Dakar, der Hauptstadt Senegals, immer wieder: „France, dégage“ – „Frankreich, hau ab“.
Françafrique geht seinem Ende entgegen. Wirtschaftlich verliert Westafrika für Frankreich ohnehin seit geraumer Zeit an Bedeutung. Der Anteil Westafrikas am französischen Außenhandel macht gerade noch zwei Prozent aus. In den meisten Staaten der CFA-Währung ist China mit Abstand der wichtigste Handelspartner geworden. Andererseits sind wirtschaftsstarke anglophone Länder Afrikas wie Nigeria und Südafrika auch für Frankreich interessanter geworden. Frankreichs Abschied von Françafrique passt insofern durchaus in die Zeit. Frankreich hätte sich rechtzeitig mit Würde aus der unseligen Verquickung und Verstrickung lösen können. Nun wird es zunehmend mit Schimpf und Schande aus Afrika verjagt. Ins Vakuum stoßen Russland und China. Keine schönen Perspektiven – auch für Afrika nicht.

(Vortrag, gehalten am 10.01.2024 im Deutschen Theater, Berlin)

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