Bananenrepublik ohne Bananen

Es gab eine Zeit, da war in Honduras ein Maulesel teurer als ein Parlamentsabgeordneter. Damals auch setzte irgendeine böse Zunge das Wort Bananenrepublik in die Welt. Der despektierliche Begriff steht für Staaten, in denen Politiker gekauft und Richter bestochen werden, in denen mit Geld alles zu regeln ist, kurzum für Staaten, die eigentlich gar keine sind. Jedenfalls sind sie nicht ernst zu nehmen. Man gibt sie der Lächerlichkeit preis. Was aber hat das mit der krummen Frucht aus den Tropen zu tun?

Vieles, und nicht zufällig ist Honduras das Schulbeispiel einer Bananenrepublik. Nach der Jahrhundertwende bemächtigten sich die amerikanischen Bananenmultis der Wirtschaft des mittelamerikanischen Landes, stürzten jahrzehntelang immer wieder Regierungen und setzten neue ein, zettelten Revolutionen an und schlugen welche nieder, ganz wie ihre geschäftlichen Interessen es erforderten. Für den Notfall lag ein Verband der US-Marine, die sogenannte Bananen-Flotte, in der Panamakanalzone vor Anker. Ein Hilferuf des US-Konsuls von Puerto Castilla, wo die United Fruits ihren eigenen Hafen gebaut hatte, reichte, und die Kriegsflotte machte sich auf zur honduranischen Küste.
Das Land war vollständig abhängig von Bananenexporten und sein Präsident von den amerikanischen Companies. „Wir müssen möglichst viel staatliches und privates Land in Besitz nehmen Wir brauchen die natürlichen Ressourcen der Küste und die Häfen“, hatte H.V. Rolston, der Vorstandsvorsitzende von United Fruit, schon 1920 seinem Mann vor Ort in Honduras geschrieben, „und Häppchen für Häppchen müssen wir uns all das aneignen“. Zwar hat inzwischen der Kaffee die Banane im honduranischen Export auf den zweiten Platz verdrängt. Doch während die Kaffeesträucher zum allergrößten Teil über 70 000 Kleinbauern des Landes gehören, teilen sich im wesentlichen immer noch zwei US-Konzerne die Kontrolle über die honduranische Bananenproduktion: Die Chiquita International Brands (früher: United Fruit) mit ihrer honduranischen Tochter Tela Railroad und die Dole Food mit ihrer lokalen Tochter Standard Fruit. Sie sind nicht nur eine wirtschaftliche, sondern weiterhin, auch wenn weniger sichtbar als früher, eine politische Macht in Honduras. Aber vieles hat sich inzwischen auch geändert. Und der Preis eines Parlamentsabgeordneten ist heute garantiert höher als der eines Maulesels.
Zur Zeit haben es die Bananenmultis in Honduras nicht leicht. „Immer hacken die Journalisten auf uns ein“, jammert Jimmy Zonta Sing, einer von vier Direktoren der Tela und zuständig für Personalpolitik und Arbeitsbeziehungen, am Hauptsitz seines Unternehmens in La Lima. „Weshalb bloß immer auf uns“? Der kleinen Stadt im Nordwesten von Honduras sieht man noch an, daß sie bis vor zehn Tagen fast zwei Meter tief im Wasser gestanden hat. Überall liegt der Schlamm in den Straßen, den der Fluß hochgespült hat. Der wenige Kilometer entfernte internationale Flughafen von San Pedro Sula konnte tagelang nicht angeflogen werden; auch seine Piste lag fast zwei Meter unter Wasser. Man kann den Pegelstand noch an den schmutzigen Mauern der Abflughalle erkennen. Daß die Tela eine schlechte Presse hat, hängt vor allem damit zusammen, daß die Tochter des Bananen-Multi jüngst sämtliche 7 300 Beschäftigten entlassen hat. „Nicht entlassen, sondern für vier Monate von der Arbeit suspendiert“, korrigiert der Direktor, „es blieb doch gar nichts anderes übrig, unsere Plantagen sind zu 100 Prozent zerstört.“
Aber Tela denke weiter, an die Zukunft. Tela sorge vor. Tela lasse ihre Arbeiter nicht im Stich. Betont nüchtern, aber nicht ohne Stolz stellt Jimmy Zonta den Sozialplan vor, den das Unternehmen und die Gewerkschaft ausgehandelt haben: Eine einmalige Auszahlung von 1 800 Lempira an alle, das sind umgerechnet 225 Mark und entspricht etwa zwei Drittel eines Monatslohns. Dazu kommen ein Vorschuß, der vom nächsten Weihnachtsgeld und dem 14. Monatslohn abgezogen wird, sowie die Option auf ein zinsloses Darlehen von monatlich umgerechnet 140 Mark. Überdies sollen jene Plantagen, die kurzfristig nicht instand gesetzt werden können, den Arbeitern zur Aussaat von Bohnen und Mais überlassen werden. Die Tela wird das Saatgut zur Verfügung stellen. Das Gemüse und Getreide wird den Arbeitern gehören. Ob sie es selber essen oder lieber verkaufen, bleibt ihnen überlassen. Überdies dürfen sie weiterhin in den Häusern der betriebseigenen Arbeitersiedlungen umsonst wohnen, ihre Kinder in die kostenlosen 27 betriebseigenen Schulen schicken und sich im betriebseigenen Krankenhaus gratis behandeln lassen. Auch Wasser und Elektrizität kosten nichts. Das Angebot sei also fair und liege in der Tradition sozialer Verantwortung, die die Geschichte der Tela auszeichne, betont der Direktor. „Und vergessen Sie nicht“, fügt er hinzu, „das sind für uns alles Verluste, denn mindestens ein Jahr lang werden wir keine Bananen exportieren.“ Auf 200 Millionen Dollar schätzt der Multi den Schaden, den er durch den Hurrikan Mitch erlitten hat.
Draußen, in den riesigen Plantagen, sieht man das ganze Ausmaß der Verwüstungen. Sämtliche Bananenstauden sind abgestorben. Die Schienen der Eisenbahn wurden von der Wasserflut an einigen Stellen auseinandergerissen, an andern zu hohen schwungvollen Bögen verformt, die an eine Achterbahn erinnern. Die Eisenbahn wurde von Tela gebaut, um ihre Produkte in die beiden firmeneigenen Karibikhäfen zu transportieren. Aber wöchentlich fuhren auch drei Personenzüge nach San Pedro Sula, in den Hauptort der Gegend. Die Reise war für die Bananenarbeiter und ihre Familien kostenlos.
Vorbei an einer unendlich langen Reihe von Plastikzelten, die jenen, die der Hurrikan obdachlos gemacht hat, als Notunterkunft dienen, gelangt man zur Siedlung La Ceibita. Sie besteht aus zwei Teilen. In dem älteren, an der Straße gelegenen Teil, wo 180 Familien leben, stehen die Holzhäuser auf hohen Pfählen. Trotzdem standen die Wohnzimmer unter Wasser. „Wir haben sechs Tage lang auf den Dächern auf Hilfe gewartet“, berichtet Mario Sanchez, „und lebten sechs Tage lang nur von Kokosnüssen.“ Dann erst kamen Hubschrauber und warfen Trinkwasser und Nahrung ab. „Wir stiegen von den Dächern direkt ins Wasser, um schwimmend die Hilfsgüter zu bergen.“ Die Hilfe aus der Luft kam vom regionalen Fernsehsender von San Pedro Sula. „Weshalb hat Tela nicht die Kleinflugzeuge eingesetzt, mit denen sie sonst die Plantagen besprüht?“ fragt Sanchez. „Nein, die haben uns in der Brühe sitzen lassen.“ Für Tela, die ihm für seine Arbeit als Bananenpflücker täglich 52 lumpige Lempira, umgerechnet sechseinhalb Mark, bezahlt habe, hat Sanchez kein gutes Wort übrig. Doch wo soll er sonst Arbeit finden, um seine Frau und die drei Kinder durchzubringen? „Für uns hier gibt es nur eine Lösung“, sagt er, „und die heißt Amerika.“ Er will sich, wie so viele, schon bald irgendwie in die Vereinigten Staaten durchschlagen.
Im neueren Teil der Siedlung stehen 72 Einfamilienhäuser ebenfalls aus Holz, aber nicht auf Pfählen gebaut. Sie waren sechs Tage lang vollständig überschwemmt. Nicht eines mehr war zu sehen. Erst als das Wasser wieder zurückging, tauchten sie auf, verschlammt, verdreckt und arg mitgenommen. Pferde, Kühe, Schweine, Hühner alles ist ertrunken. Nur einige Enten haben die Katastrophe überlebt. „Wir haben kein Benzin mehr, um die Kadaver zu verbrennen“, entschuldigt sich Gustavo Castro für den beißenden Verwesungsgestank. Mit einer Schippe schaufelt er den Schlamm aus seinem Haus. Es ist eine Arbeit von Tagen. Noch ist dieser Teil der Siedlung unbewohnbar, noch sinkt man knöcheltief im Schlamm ein. Und überall tiefe Tümpel, ein Paradies für Mücken. Nun werden die ersten Fälle von Malaria, Dengue oder am schlimmsten Cholera erwartet.
Seit 16 Jahren arbeitet Gustavo Castro bei Tela, der auf seinen Plantagen nicht nur 7 300 Arbeiter beschäftigt, sondern auch die Bananen vieler Kleinproduzenten aufkauft und im vergangenen Jahr Früchte im Wert von 76 Millionen Dollar exportierte. Doch dieses Jahr werden die Bananenschiffe des Konzerns nicht mehr auslaufen und auch nächstes Jahr nicht. Schlechte Zeiten für die Hafenarbeiter, schlechte Zeiten auch für die Fabrik, die die 20 Millionen Kisten herstellt, in denen das Produkt eines Jahres verpackt wird und die ebenfalls Tela gehört. „Die Hilfe, die uns Tela zukommen läßt, reicht bestenfalls bis zum Jahresende“, meint Castro, „was aber dann?“ Und werden die für vier Monate suspendierten Arbeiter dann tatsächlich wieder eingestellt oder nicht doch entlassen? Und was dann? „Nein, Tela muß hier bleiben“, sagt er, „und wir werden alle zusammen anpacken Schulter an Schulter.“ Mindestens drei Monate, wahrscheinlich wesentlich länger, werde die Wiederinstandsetzung der Plantagen dauern.
Schon neun Monate nach der Aussaat kann man die ersten Bananen pflücken. Aber zunächst werden die alten Stauden abgeschnitten, damit die Wurzel abstirbt und die Tochterpflanze zur Mutter ihrer eigenen Tochter werden kann. Doch erst muß der ganze Bananenfriedhof umgepflügt werden, das Bewässerungssystem wiederhergestellt werden. Es ist eine Heidenarbeit.
Die Leute in der Siedlung La Ceibita sind bereit, gegen Lohn all dies zu tun. Aber wird Tela mitmachen? Oder wird sich der Konzern aus Honduras zurückziehen? Juan Funez, Präsident von „Sitraterco“, der Gewerkschaft der Bananenarbeiter der Tela, kann sich das nicht vorstellen. „Tela ist seit über 75 Jahren im Land und hat schließlich schon manchen Hurrikan erlebt“, meint er. Allerdings hat seit 1860, als die erste Bananenstaude aus New Orleans in Honduras eingeführt wurde, noch kein Wirbelsturm so gewütet wie Mitch. Trotzdem, ein Honduras ohne Chiquita kann sich Funez schlicht nicht vorstellen. Der Hauptsitz seiner Gewerkschaft wurde in den 50er Jahren mit Hilfe von Geldern der US-Regierung errichtet. Hohe honduranische Gewerkschaftsführer erhielten damals ihre Ausbildung in den USA. 1954 hat „Sitraterco“ zum letzten Mal gestreikt. Über einen langen Arbeitskampf setzte die Gewerkschaft vieles von dem durch, was die Unternehmensführung heute gerne als Beweis für ihre soziale Verantwortung verkauft: zum Beispiel bezahlten Urlaub und medizinische Versorgung durch den Arbeitgeber. Auch daß es im Land überhaupt ein Arbeitsgesetz gibt, ist der Gewerkschaft der Bananenarbeiter von Tela zu verdanken. Doch längst hat sich die Sitraterco vom Klassenkampf abgewandt. Im Rahmen dessen, was man in Lateinamerika Solidarismus nennt, pflegt sie mit der Unternehmungsführung partnerschaftliche Beziehungen. Ihre Parolen heißen: „Zusammen ist besser“ und „Schulter an Schulter“.
Der Hurrikan Mitch hat der honduranischen Wirtschaft das Rückgrat gebrochen. Die Bananenplantagen sind zu 90 Prozent zerstört, die Kaffeeernte wird höchstens ein Drittel betragen, der Export von Schalentieren Hummer, Languste, Krabben und Krebse , drittwichtigster Posten im Außenhandel, wird auf kümmerliche zehn Prozent sinken, zahlreiche Brücken und Straßen im Land sind zerstört, ein Viertel der Bevölkerung ist obdachlos. Honduras wird ohne anhaltende ausländische Hilfe nicht mehr auf die Beine kommen. Der Streit über den Schuldenerlaß ist überflüssig. Das Land mit seiner extrem exportorientierten Wirtschaftsstruktur wird die Schulden in den nächsten Jahren ohnehin nicht bezahlen können. Doch wie weiter? Gerade die extreme Abhängigkeit vom Export ist längst zum Problem geworden. Das Land muß exportieren, um die Nahrungsmittel importieren zu können, die das Agrarland selbst nicht mehr produziert. Ökologische Schäden und Landflucht sind diesem Entwicklungsmodell inhärent. Es gibt keine einfachen Lösungen. Doch bietet der Hurrikan vielleicht nicht doch eine Möglichkeit zur Neuorientierung der Wirtschaft?
Die Chancen sind gering. Politisch ist Honduras nahezu bedeutungslos geworden. Als in den 80er Jahren in El Salvador und in Nikaragua Bürgerkriege tobten, wurde das Land zu einem Flugzeugträger der US-Armee, die hier die antisandinistischen Contra-Truppen ausbildete und von hier aus die salvadorianische Armee logistisch unterstützte. Doch von Mittelamerika geht keine Revolutionsgefahr mehr aus.
Und wirtschaftlich? Ohne die Bananenmultis wird Honduras nicht wieder auf die Beine kommen. Im vergangenen Jahr pumpte Tela nach eigenen Angaben über Löhne, Steuern, Sozialabgaben und Einkäufe bei nationalen Firmen 144 Millionen Dollar in den honduranischen Wirtschaftskreislauf. Der Preis dafür ist die Bananenproduktion. Nach dem Hurrikan mit seinen Folgen wird das Land noch stärker als zuvor an sie gebunden sein.

Thomas Schmid – Berliner Zeitung – 21.11.1998