ENRICO MONFRINI – Der Schatzsucher

GENF. Für 50 Gramm Belugakaviar zahlt man hier 472 Franken, umgerechnet 400 Euro. Ein Füllfederhalter kostet 700, eine Uhr 10000 Euro. Edelboutiquen, schicke Modegeschäfte und sündhaft teure Delikatessenläden säumen die Place du Molard im Zentrum von Genf. Hier hat Enrico Monfrini sein Büro. Das dunkle Holz der Wandregale, der antike Schreibtisch und die schweren Vorhänge, die Licht und Lärm der Außenwelt zurückhalten, verleihen der geräumigen Kanzlei des 69-jährigen Rechtsanwalts eine düstere, unheimliche Note. Es ist das passende Ambiente für den Mann, der den illegal erworbenen Vermögen gestürzter Potentaten nachspürt.


Monfrini ist ein vornehmer, zuvorkommender und charmanter Mann. Er wägt seine Worte genau, prüft die Wirkung, die sie hinterlassen. Mit Mimik spart er nicht. Er zieht seine buschigen Augenbrauen hoch, um Groll zu markieren, senkt die Mundwinkel, um Verachtung auszudrücken, lächelt schalkhaft, wenn er etwas verschweigen will. Und die Tränensäcke unter seinen Augen verraten, dass er sich an keine 40-Stunden-Woche hält.

Ben Ali und sein Clan

Der neueste Auftrag beschäftigt Monfrini nun schon seit zwei Jahren. Im September 2011, die Jasmin-Revolution in Tunesien lag gerade acht Monate zurück, beauftragte ihn die dortige Regierung, die kriminell erworbenen Vermögen des geflüchteten Diktators Zine el Abidine Ben Ali und seines Familienclans ins Land zurückzubringen. „Mein Mandat erstreckt sich auf die ganze Welt“, sagt der Anwalt.

Zunächst beschäftigte er sich mit Ben Alis Geldern in der Schweiz, „weil die Schweiz das erste Land war, das die Vermögen des Diktators und seines Clans blockiert hat – schon fünf Tage nach seiner Flucht“. 60 Millionen Franken von Ben Ali, seiner Frau Leila Trabelsi und von 46 weiteren Personen, die dem Clan des illustren Paars zugerechnet werden, liegen in der Schweiz auf gesperrten Konten geparkt. Es ist nur ein Bruchteil ihres Fluchtkapitals. Ben Alis Vermögen wurde im Jahr 2008 von Forbes auf fünf Milliarden Dollar geschätzt. „Und auf meiner Liste stehen nicht nur 48 Personen“, sagt Monfrini, „sondern 300.“

Fürs Erste wenigstens die 60Millionen Franken loszueisen, ist nicht einfach. „Offiziell heißt es, man werde alles unternehmen, damit das Geld schnell nach Tunesien zurückkommt. Aber man unternimmt überhaupt nichts, man wirft mir nur Knüppel zwischen die Beine“, klagt Monfrini. „Ich darf zwar die Dossiers bei der Bundesanwaltschaft einsehen, aber sie nicht kopieren. So muss ich Blatt für Blatt abschreiben. Das ist extrem zeitaufwendig.“

Trotz solcher Widrigkeiten gilt die Schweiz weithin als Musterknabe, was die Rückgabe illegal erworbener Vermögen betrifft. In den letzten 15 Jahren wurden nach Angaben der Weltbank weltweit vier bis fünf Milliarden Dollar zurückerstattet, 1,7 Milliarden davon allein durch die Schweiz. Das hat wohl weniger mit Moral zu tun als mit handfesten Interessen. „Schließlich sind Fragen der Reputation und der Integrität mehr denn je Schlüsselfaktoren im globalen Wettbewerb unter Finanzplätzen“, argumentiert die Regierung in Bern, die an einem neuen Bundesgesetz „über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte politisch exponierter Personen“ arbeitet. Das Land habe „kein Interesse daran, dass sein Finanzplatz missbraucht wird, um Gelder zu verbergen, die … der Bevölkerung im Herkunftsstaat zugutekommen sollten“.

Dass die Rückerstattung illegal erworbener Vermögen in der Schweiz heute schneller vonstatten geht als früher, rechnet sich Monfrini als eigenes Verdienst an. Sein größter Erfolg war der Fall Sani Abacha. Abacha hatte Nigeria von 1993 bis zu seinem Tod 1998 regiert. Im Jahr 2005 gelang es dem Anwalt, der als Diplomatensohn seine Jugend in Afrika verbrachte, insgesamt 1,3 Milliarden Franken, die der Diktator gehortet hatte, an Nigeria zurückzuerstatten. Mit einem Teil des Geldes wurden unter Aufsicht der Weltbank Krankenhäuser und Straßen gebaut.

„Auf meine Initiative hin“, sagt Monfrini, „hatte der Bundesanwalt gegen Abacha eine Klage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingereicht.“ Das Bundesgericht urteilte im Sinne der Anklage. Es war das erste Mal, dass in der Schweiz ein Staatschef – allerdings postum – und seine Entourage als kriminelle Organisation eingestuft wurden. Damit war die Umkehr der Beweislast gegeben: Nun mussten die Angeklagten beweisen, dass sie das Geld legal erworben hatten, und nicht mehr der Ankläger, dass es aus illegalen Quellen stammt.

Auch Ben Ali und sein Clan wurden vom Schweizer Bundesgericht als kriminelle Organisation eingestuft. Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam. „Als ich von der spanischen Polizei informiert wurde, dass in Marbella eine acht bis neun Millionen Dollar teure Yacht von Kais Ben Ali, dem Neffen des Diktators, liege, hat es ein Jahr gedauert, bis wir die Beschlagnahme durchsetzen konnten“, klagt Monfrini. „Erst im April dieses Jahres wurde sie an Tunesien zurückgegeben. Im Mai folgte dann eine in Italien beschlagnahmte Yacht, die Belhassen Trabelsi gehörte, dem Schwager Ben Alis.“

Das 20 Millionen teure Privatflugzeug von Sakher El Materi, Schwiegersohn der Präsidentengattin Leila Trabelsi, wurde schon im vergangenen Jahr dem tunesischen Staat übereignet. „Aber von den 60 Millionen Franken auf den Schweizer Konten ist noch kein einziger Rappen zurückerstattet“, resümiert Monfrini. „Die Tunesier müssen noch Dokumente liefern. Dann wird man wohl Ende des Jahres die blockierten Gelder konfiszieren. Die Anwälte von Ben Ali und seinem Clans werden Rekurs beantragen, zunächst beim Bundesstrafgericht, dann beim Bundesgericht, und im nächsten Jahr wird das Geld nach Tunesien überwiesen werden.“

Fensterblick auf Lenin

Abacha, der Haitianer Jean-Claude Duvalier alias „Baby Doc“, Mobutu Sese Seko aus dem früheren Zaire und nun also Ben Ali: Seit 14 Jahren ist der Anwalt den Geldern gestürzter Potentaten hinterher. Andere in seinem Alter würden allmählich an die Pensionierung denken. Nicht so Monfrini. Die Jagd nach den Millionen der Kleptokraten ist seine Lebensaufgabe geworden.

Bevor seine Karriere mit der Suche nach den Geldern Abachas eine neue Richtung nahm, hatte sich Monfrini zwanzig Jahre lang oft um diejenigen gekümmert, die vor dessen Diktatur in die Schweiz geflohen waren. „Ich werde Ihnen etwas zeigen“, sagt der Anwalt zum Abschied und schiebt den schweren Vorhang zurück. Tageslicht durchflutet den düsteren Raum. Das Fenster gibt den Blick frei auf die Place du Molard und einen Wehrturm aus dem 16. Jahrhundert, in dessen Wand eine große Gedenktafel eingelassen ist. Sie verkündet: „Genève, cité de refuge“ – Genf, Stadt der Zuflucht. Ein Relief in Überlebensgröße darunter zeigt einen kahlköpfigen Mann, den eine gütige Hand beschützt. Es ist Lenin. Der russische Revolutionär hatte hier in Genf an seinem Werk „Materialismus und Empiriokritizismus“ gearbeitet – als Flüchtling, verfolgt von der Zaren-Herrschaft.


© Berliner Zeitung

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 07.09.2013

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert