BUKAREST. Selbst die Hunde liegen träge in den Schatten der Hausmauern und dösen vor sich hin. Über 200000 sollen es sein, sie streifen herrenlos durch die Stadt, manchmal tauchen sie in Rudeln auf und werden gefährlich. Aber nun haben auch sie kapituliert. Es sind 38 Grad Celsius in Bukarest, die Sonne brennt erbarmungslos. Die Menschen stöhnen.
Doch einem kommt die Hitze wohl gelegen: Traian Basescu, dem vor drei Wochen vom Parlament abgesetzten Staatspräsidenten. Am Sonntag entscheiden die Rumänen in einer Volksabstimmung, ob er wieder in sein Amt gesetzt wird oder endgültig abtreten muss. Viele sind vor der Hitze in die Berge geflüchtet oder ans Schwarze Meer, viele werden in ihren kühlen Häusern bleiben und noch mehr haben ohnehin genug von Politik und Politikern. Wenn weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten zu den Urnen geht, gilt das Referendum als gescheitert. Basescu, einst Schiffskapitän der rumänischen Handelsflotte, darf dann wieder ins Schloss Cotroceni ziehen, in die Residenz des Präsidenten. Genau das strebt die Opposition an, deshalb ruft sie zum Boykott des Referendums auf.



„Was sich in Rumänien abgespielt hat“, sagt Monica Macovei, „war ein echter Staatsstreich.“ Macovei, 53, ist Europaparlamentarierin. Sie trägt einen Ponyhaarschnitt und hat eine zierliche Figur, sie wirkt auf den ersten Blick etwas unscheinbar, entpuppt sich aber schnell als ausgesprochen resolute Person mit scharfer Zunge. Von den einen wird sie geradezu verehrt, von den anderen gefürchtet, und oft schlägt die Furcht ihrer Gegner in Hass um. Dann werden ihr böse, oft obszöne Ausdrücke entgegengeschleudert, die man in keiner Zeitung lesen möchte.
Bis 1997 arbeitete Monica Macovei als Staatsanwältin, danach war sie in der Menschenrechtsbewegung aktiv, machte sich für die Rechte der Roma stark, forschte über Gewalt gegen Frauen, trat gegen die Diskriminierung Homosexueller auf. Sie arbeitete in Bosnien und im Kosovo, den kriegsversehrten Regionen des auseinandergebrochenen Jugoslawiens. „Als mich eines Tages Basescu fragte, ob ich Justizministerin werden wollte, fiel ich aus allen Wolken“, sagt sie, „ich war ja nicht mal in einer Partei.“

Das war im Dezember 2004. Basescu hatte gerade die Präsidentschaftswahlen gewonnen und Macovei nahm das Angebot an. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen löste sie den Geheimdienst des Justizministeriums auf, der sich als „Generaldirektorat für Korruptionsbekämpfung“ ausgab. Weil er von Inoffiziellen Mitarbeitern der alten Securitate, dem gefürchteten Geheimdienst, durchseucht war? „Ach was“, sagt Macovei, „in einer Demokratie braucht das Justizministerium keinen eigenen Geheimdienst. Punktum.“

Schon kurz nach Amtsübernahme ließ sie gegen den Vizepremier wegen Steuerflucht ermitteln. Ihr Chef, der damalige Ministerpräsident Popescu-Tareceanu, sei empört gewesen: „Kollegin, Sie gehören doch nicht der Opposition an“, habe er gesagt und sie aufgefordert, ihn in solch heiklen Fällen künftig vorab zu informieren. Das habe sie natürlich nicht getan, sagt Macovei.

Mit ihrer geradlinigen Art schaffte sie sich jedenfalls viele Feinde. Bei einer Kabinettsumbildung 2007 wurde die parteilose Ministerin entlassen.
Kurz vor den Wahlen zum Europaparlament trat sie dann 2009 doch in eine Partei ein. Für die Liberaldemokraten (PDL), in Straßburg Schwesterpartei der CDU, gewann sie einen Sitz. Nun ist sie aus Brüssel in den Heimaturlaub nach Rumänien gekommen. Aber eine Frau wie Macovei macht natürlich keinen Urlaub. Sie kämpft. Gestern in Brüssel, heute in Bukarest, am Freitag in Berlin, eingeladen von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ihre Botschaft ist immer dieselbe: In Bukarest hat ein kalter Staatsstreich stattgefunden.

Sie hat überzeugende Argumente dafür. Im Februar verlor die PDL unter Ministerpräsident Emil Boc ihre Regierungsmehrheit. Dank einiger Überläufer konnte der 39-jährige Victor Ponta Anfang Mai ein Kabinett bilden. Seither herrscht Krieg zwischen Basescu, der als Staatschef nominell parteilos war, faktisch aber der PDL angehört, und Ponta, Mitglied der sozialdemokratischen PSD.

Am 3. Juli ersetzte die neue Parlamentsmehrheit den Ombudsmann, der verfassungsgemäß als Einziger gegen Eildekrete der Regierung einschreiten kann, durch einen Mann aus den eigenen Reihen. Am 4. Juli entzog die Regierung per Eildekret dem Verfassungsgericht das Recht, Beschlüsse des Parlaments zu begutachten. Am 6. Juli beschloss das Parlament, den Präsidenten „wegen ernsthafter Verletzung der Verfassung“ abzusetzen. Es gab faktisch keine Kontrollinstanz mehr. „Man muss sich das mal vorstellen“, sagt Macovei, „die ganze Prozedur zur Absetzung des Staatschefs dauerte drei Tage!“

Jetzt hat Rumänien einen Interimsstaatspräsidenten: Crin Antonescu. Er rückte – ganz verfassungsgemäß – als Präsident des Senats, der kleineren der beiden Parlamentskammern, an die Staatsspitze nach. Zum Senatspräsidenten war er allerdings erst am 3. Juli von der neuen Parlamentsmehrheit gewählt worden. Kein Wunder also, dass kaum ein Rumäne seinen Namen je gehört hat. Basescu nennt seinen Nachfolger schlicht einen „Hampelmann von Ponta“. Und der wiederum bezeichnete seinen Vorgänger als „politisches Wrack“.

Mit Unverfrorenheit

Frech kommt weiter, so scheint es. Dies zeigte sich bereits Ende Juni. Da brach ein Streit aus, ob es nun Basescu, dem noch amtierenden Staatschef, oder Ponta, dem Regierungschef, zukomme, zum Europagipfel am 28. Juni nach Brüssel zu reisen. Das Verfassungsgericht hatte am 27. Juni befunden, dass der Präsident Rumänien in Brüssel zu vertreten habe. Am selben Tag hatte die Regierung per Eildekret das Amtsblatt, für das bislang das Abgeordnetenhaus zuständig war, sich selbst unterstellt. „Das Urteil des Verfassungsgerichts wurde nicht veröffentlicht“, sagt Macovei, „trat also nicht in Kraft.“ Nach Brüssel reiste schließlich Ponta, der Regierungschef.

Auch Marian Popescu, 60, kann viel über Pontas Unverfrorenheit erzählen. Der Hochschullehrer für Kommunikationswissenschaft, ein drahtiger Mann, der seine Worte genau abwägt, ist Präsident der regierungsunabhängigen Ethischen Kommission der Universität Bukarest. Diese sollte untersuchen, ob die Dissertation des Regierungschefs, abgeliefert 2003, ein Plagiat ist oder nicht. Parallel zu Popescus Kommission war der Nationale Rat für die Zertifizierung universitärer akademischer Grade, eine dem Bildungsministerium unterstellte Behörde, der Sache nachgegangen. Am 29. Juni stellte der Rat fest, dass 85 von 305 Seiten der Dissertation über den Internationalen Strafgerichtshof plagiiert sind. Das Gremium wurde von der Regierung noch am selben Tag aufgelöst und neu besetzt.
„Wir hatten bereits angekündigt, die Ergebnisse unserer Untersuchung am 20. Juli vorzustellen“, sagt Popescu, „als am 19. Juli der Nationale Ethikrat, also die dem aufgelösten und wieder neu zusammengesetzten Gremium übergeordnete Behörde, völlig überraschend verkündete, es handele sich um kein Plagiat. Ohne jede weitere Erklärung. Ohne jedes Argument. Unglaublich!“

Popescus Kommission, bestehend aus neun Professoren, wies am folgenden Tag auf einer Pressekonferenz nach, dass nicht nur 85, sondern sogar 115 Seiten plagiiert sind. „Wir legten die Textpassagen vor. Jeder konnte nachlesen, überprüfen. An einer Stelle hat Ponta einen Textblock von 15 Seiten kopiert.“ Die Dissertation hat auch nur 16 Fußnoten. „Erstaunlich für eine wissenschaftliche Arbeit“, sagt Popescu. Den Doktortitel aber kann die Universität dem unverfrorenen Premier ohne die Einwilligung des Bildungsministeriums nicht aberkennen.

Das Vorwort zur Dissertation schrieb übrigens Pontas Doktorvater: Adrian Nastase. Der war von 2000 bis 2004 Regierungschef und sitzt heute wegen illegaler Parteienfinanzierung zu zwei Jahren Haft verurteilt im Gefängnis.
Ponta hat sich offenbar mit Vorliebe Leute seines Schlages gesucht: Die von ihm kurz vor seiner Regierungsübernahme bereits designierte Bildungsministerin trat den Job nicht an, nachdem herausgekommen war, dass sie ihren Lebenslauf schlicht gefälscht hatte. Sie hatte angegeben, an der Stanford University studiert zu haben, was diese vehement bestreitet. Der erste amtierende Bildungsminister der neuen Regierung musste schon nach einer Woche zurücktreten, weil er eine Reihe wissenschaftlicher Beiträge zu großen Teilen plagiiert hatte. Irrenhaus Rumänien. „Dieser Mangel an Ernsthaftigkeit ist ein Grundproblem unseres Landes“, sagt Popescu, „wir Rumänen machen uns lächerlich.“

Horia-Roman Patapievici nennt Ponta schlicht einen Lügner. „Der sagt heute dies und morgen das genaue Gegenteil – und setzt dabei immer dieselbe Miene auf.“ Patapievici, 55, ist Essayist und einer der bekanntesten Intellektuellen des Landes. Sein Büro ist ein dunkler Raum. Hier brütet er zwischen Büchern und Bildern seine Ideen aus. Er leitet das Rumänische Kulturinstitut. Noch. Denn es wurde am 13. Juni – wieder per Eildekret – der Obhut der Präsidentschaft, also Basescus, entzogen und der des von Ponta kontrollierten Parlaments unterstellt.

Weshalb diese Eile?

Patapievici ist ein unbequemer Zeitgenosse. Als Präsident des Instituts, das dem deutschen Goethe-Institut vergleichbar ist, schlug er ganz neue Wege ein. Weg von amtlicher Propaganda rumänischer Kultur, hin zum offenen Kulturaustausch. Weltweit waren Patapievici Filialen in 17 Ländern unterstellt. Patapievici suchte überall Partnerschaften mit kulturpolitischen Initiativen, war in der internationalen Szene gut vernetzt. Unter Pontas Regierung wird das nun rückgängig gemacht. Fortan soll, wie es aus einem Schreiben des neuen Kulturministers hervorgeht, das Institut vor allem die nationale Identität der Rumänen im Ausland stärken. Doch Patapievici will sich nicht beugen. „Es ist nur noch eine Frage von Wochen, bis ich gefeuert werde“, sagt er.

Was Patapievici bevorsteht, hat der Leiter der Nationalen Archive bereits hinter sich. Er wurde am 15. Juni ohne jede Begründung gefeuert, vermutlich, weil er den Zugang zu den Akten der Kommunistischen Partei öffentlich gemacht hatte. Drei Wochen zuvor war der parteilose Direktor des Instituts zur Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus entlassen worden.

Überall wird aufgeräumt. Weshalb aber diese Eile? Weshalb schickte Ponta seinen Widersacher Basescu unter Bruch der Verfassung innerhalb von drei Tagen in die Wüste?

Monica Macovei, die frühere Justizministerin, ist sich sicher: „Die Regierung will die Prozesse stoppen“, sagt sie.
Man mag Basescu vieles vorwerfen, seinen autoritären Stil, seine Selbstherrlichkeit. Gewiss, der abgesetzte Staatschef hat das Neutralitätsgebot seines Amtes verletzt, sich in Regierungsgeschäfte eingemischt und auch schon die Presse eingeschüchtert. Und schließlich haben auch Pontas Vorgänger mit Eildekreten regiert und Spitzenbeamten ausgewechselt – wenn auch nicht in diesem atemlosen Rhythmus, wie es Ponta nun tat. Basescu hat dies nie gestört. Schon immer hat die siegreiche Partei in Rumänien den Staat als Beute begriffen.
Doch muss man Basescu ein Verdienst zugestehen: Er hat die Justiz ihres Amtes walten lassen. Macovei setzte als frisch gekürte Justizministerin eine Ausweitung der Kompetenzen der Nationalen Antikorruptionsbehörde durch und schuf die Nationale Integritätsagentur, bei der seither über 300000 Angestellte des Öffentlichen Dienstes ihre Einkommen, Vermögen und Besitztümer deklarieren mussten. „Heute sind fünf Parlamentarier rechtskräftig zu Gefängnisstrafen verurteilt, drei von ihnen gehören den Parteien der Regierungskoalition an, zwei meiner eigenen Partei“, sagt Macovei. Ihr Lächeln signalisiert späte Genugtuung. Gegen dreizehn weitere Parlamentarier aus allen Parteien laufen Strafverfahren – in der Regel wegen Korruption, Unterschlagung öffentlicher Gelder und illegaler Geschäfte.

Das Mandat des Leiters der Antikorruptionsbehörde läuft im August ab, das des Generalstaatsanwalts im Oktober. Beide wurden vom Präsidenten noch auf Vorschlag Macoveis eingesetzt. Nun befürchtet sie, dass ein neuer Präsident die beiden tüchtigen Ermittler, die ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit die politische Klasse aufgemischt haben, bald durch handzahme Beamte ersetzt.

Oder kommt Basescu doch wieder in den Präsidentenpalast zurück, weil beim Referendum am Sonntag das Quorum einer Beteiligung von 50 Prozent verpasst wird? Vor fünf Jahren wurde er schon einmal vom Parlament abgesetzt und vom Volk wieder eingesetzt. Damals war er allerdings ein durchaus beliebter Politiker. Doch nachdem er vor zwei Jahren im Rahmen eines Sparprogramms eine Kürzung der mageren Durchschnittslöhne von 370 Euro monatlich um 25 Prozent verfügte, ist seine Popularität dahin. Nun kann nur noch massive Wahlabstinenz Basescu retten. Mehr als der Boykottaufruf der Opposition werden dazu die Müdigkeit der Wähler und die Hitze beitragen, die über Rumänien gerade rechtzeitig hereingebrochen ist. Wie ein Geschenk des Himmels.

© Berliner Zeitung

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 26.07.2012

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert