SANTA PONÇA. Der Ort ist nicht schön, auch nicht hässlich. Santa Ponça, 20 Kilometer von Palma de Mallorca entfernt, hat keinen Charme. Die Stadt ist geschichtslos, noch keine hundert Jahre alt. Nur eine Säule erinnert an den Ort unweit des heutigen Jachthafens, an dem sich hier Geschichte abgespielt hat, an dem im Jahr 1229 Jakob I., König von Aragón, mit einer Streitmacht an Land ging, um die Araber zu vertreiben und die Insel von muslimischer Herrschaft zu befreien.

Doch diese Geschichte kennt hier kaum jemand. Die Menschen, die sich hier in den vergangenen Jahrzehnten angesiedelt haben, suchten Sonne, Meer und ein bisschen Nachtleben. Überall in der Stadt stößt man auf Schilder in deutscher Sprache: „Deutsche Arztpraxis“, „Rechtsanwälte“, „Typisch deutsche Küche“, „Pediküre“, „Nagelmodellage“, „Kosmetikbehandlungen“. 2010 eröffnete das deutsche Model Daniela Katzenberger, dem Fernsehpublikum bekannt durch ihre Teilnahme an Reality-TV und Doku-Soaps, über dem Felsband direkt an der Küste ihr „Café Katzenberger“. Ein Jahr später folgte ihr der Schlagersänger Jürgen Drews, dessen Bistro „König von Mallorca“ nur wenige Hundert Meter entfernt mit deutschen Tapas wirbt.


In jüngster Zeit aber trifft man in Santa Ponça immer häufiger auf kyrillische Buchstaben. Die Russen sind gekommen. Zwar haben sich erst etwa 5 000 auf der Insel niedergelassen. Aber es werden immer mehr. Und Spanien kommt ihnen entgegen. Im von der Krise arg gebeutelten Land, wo seit dem Platzen der Immobilienblase vor fünf Jahren Hunderttausende Immobilien leer stehen, sucht man händeringend nach Investoren und Käufern. So ist im vergangenen September ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Ausländer, die für mindestens eine halbe Million Euro Immobilien in Spanien erwerben, Recht auf ein Schengenvisum und eine Aufenthaltserlaubnis in Spanien erhalten.

Sie geben gerne Geld aus

An der Hauptstraße, benannt nach Jakob I. oder Jaume I., wie er auf Katalanisch, der Sprache der Eingeborenen, heißt, lockt ein dreisprachiges Schild in Spanisch, Deutsch und Russisch die Kunden. Fotos von Traumvillen, Palästen, Luxusappartements zieren die Schaufenster. Hier arbeitet der Immobilienmakler Roman Schajapin. Der Russe, athletisch gebaut, Typ alerter Manager, spricht fließend deutsch, hat auch einen deutschen Pass, ist also Deutscher, aber eben doch gefühlter Russe. Als er in der Sowjetunion 1985 zum zweijährigen Militärdienst eingezogen wurde, fragte man ihn: „Inland oder Ausland?“ Schajapin votierte für Ausland. „Den Rest entschieden andere“, sagt er. Es hätte ihn nach Polen oder Ungarn verschlagen können oder nach drei Monaten Grundausbildung auch in den Krieg nach Afghanistan. Doch er landete auf dem sowjetischen Militärflughafen Parchim bei Schwerin und kam als Soldat nach Thüringen.

Seit 17 Jahren lebt Schajapin nun schon auf Mallorca. Aber eigentlich ist er ein Pendler. Von Montag bis Freitag arbeitet er in Santa Ponça, von Freitag bis Montag in Hannover, wo er ebenfalls im Immobilienhandel tätig ist. „Mit Spaniern habe ich wenig Kontakt“, gesteht er, „eigentlich nur in der Altherren-Fußballmannschaft.“ Und mit den Russen? „Die ersten Russen, die kamen, waren ja….“, setzt er an und lässt die zweite Hälfte des Satzes in der Luft stehen, meint dann aber konziliant, „na ja, die, die jetzt kommen, die essen mit Messer und Gabel.“ Ein Scherz, aber eben doch nicht nur. „Die Russen hier haben Geld und geben es auch aus“, sagt der Immobilienmakler und dann verallgemeinernd: „Der Russe genießt das Leben.“ Will heißen: anders als die Deutschen, die Pfennigfuchser. In der Tat: Die russischen Touristen – im vergangenen Jahr waren es etwa 150 000 auf Mallorca – geben im Durchschnitt pro Tag 50 Prozent mehr aus als die anderen Touristen.

„80 Prozent meiner Kunden sind Russen“, bilanziert Schajapin, „Ärzte, Ingenieure, Manager. Nicht oberste Oberschicht, die Superreichen suchen Villen oder Grundstücke an der Costa Smeralda oder der Côte d’Azur. Nach Mallorca kommt solider russischer Mittelstand.“

Na ja, es gibt natürlich auch Ausnahmen, und die sorgen für Schlagzeilen. Zum Beispiel Alexander Romanow. Ende letzten Jahres stürmten schwer bewaffnete Spezialeinheiten aus Madrid seine luxuriöse Villa in Paguera, fünf Kilometer von Santa Ponça entfernt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Geldwäsche, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Zwölf Millionen Euro Schwarzgeld kriminellen Ursprung soll er weißgewaschen haben, allein für sechs Millionen kaufte er das Hotel Mar i Pins, das just neben seiner Residenz steht. Das Geld dafür habe er sich redlich über Mieteinkünfte und den Betrieb von Fitness-Zentren in Moskau erworben, behauptete der Russe, der samt seiner Frau, seinem Anwalt und seinem Steuerberater festgenommen wurde. Bei der Durchsuchung seiner 400-Quadratmeter-Villa fanden die Ermittler 100 000 Dollar und 150 000 Euro. Das Bargeld beschlagnahmten sie ebenso wie die Gemäldesammlung und die Autoflotte. Außerdem stellten sie digitale Dateien im Umfang von 28 000 Gigabyte sicher.

In einschlägigen Moskauer Kreisen ist Romanow wohlbekannt. Er gilt als einer der Anführer der Taganskaja-Mafia, benannt nach einem U-Bahnhof der russischen Hauptstadt. Presseberichten zufolge präsentierte er sich im Jahr 2000 zusammen mit 20 Männern, alle mit Kalaschnikow im Anschlag, in der Zentrale der Wodka-Firma Kristal bei Moskau. Er hatte sich zuvor auf dubiosem Weg zum neuen Geschäftsführer ernennen lassen, der alte aber wollte nicht weichen. Die Taganskaja-Mafia wird in Russland beschuldigt, Geschäftsinhaber zu erpressen und Lieferanten unter Druck zu setzen, um sich Unternehmen unter den Nagel zu reißen, Gewinne abzuzocken und dann die Firmen bankrottgehen zu lassen. In Moskau wurde Romanow wegen Betrugs mit Firmengeldern in Höhe von 5,7 Millionen Euro zu einer Haftstrafe verurteilt. Doch er konnte sich rechtzeitig nach Mallorca absetzen. Romanow wurde nach Madrid überführt, sein Rechtsanwalt gegen eine Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt. Er sagte, er habe seinem Kunden bloß geholfen, das Hotel zu erwerben, indem er den Kaufvertrag aufgesetzt habe. Ein Immobilienmakler ist verpflichtet, Meldung zu erstatten, wenn er einen begründeten Verdacht auf Geldwäsche hat, sonst macht er sich nach einem erst im vergangenen Jahr verschärften Gesetz strafbar. Aber natürlich kann Schajapin nicht kontrollieren, wie seine Kunden zu ihrem Geld gekommen sind. „Und überhaupt“, sagt der Russe in fließendem Deutsch, „sollte man nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt.“

In der Tat, Korruption ist auf der Insel kein spezifisch russisches Phänomen. Immerhin laufen gegen Jaume Matas, der sieben Jahre lang Präsident der Balearen (der Inselgruppe, zu der Mallorca gehört) war, 26 Ermittlungsverfahren – vor allem wegen Bestechung, Betrug, Veruntreuung und Vorteilsnahme. In einem Fall verdonnerte ihn das Gericht in erster Instanz zu sechs Jahren Gefängnis, ein Urteil, das in zweiter Instanz auf neun Monate reduziert wurde. Und seit mehr als zweieinhalb Jahren schon ermittelt ein Untersuchungsrichter in Palma de Mallorca gegen Iñaki Urdangarín, Schwiegersohn von König Juan Carlos, wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Er hat er auch dessen Frau, die Infantin Cristina, die er der Verwicklung in kriminelle Machenschaften ihres Gatten bezichtigt, sieben Stunden lang vernommen. Die Tochter des Königs vor den Schranken der Justiz – das war ein absolutes Novum in der vielhundertjährigen Geschichte der spanischen Monarchie.

Auf Mallorca weiß jeder von der Taganskaja-Mafia. Auch die Verhaftung von Gennadi Petrow, Nummer Zwei der Tambowskaja-Mafia, benannt nach einem Stadtteil Sankt Petersburgs, ist noch in guter Erinnerung. Vor fünf Jahren rückten 300 Polizisten an, um ihn festzunehmen und sein Privatflugzeug, seine Jacht und seinen Ferrari zu beschlagnahmen. Er wurde wegen Waffenschmuggel, Erpressung, Auftragsmord und Geldwäsche gesucht und behauptete selbst, das Uefa-Cup-Halbfinale Sankt Petersburg gegen FC Bayern, das die Russen überraschend 4:0 gewannen, für 50 Millionen (Währung ungenannt) „gekauft“ zu haben. Petrow kam 2010 gegen eine Kaution von 600 000 Euro frei, flog nach Moskau und ward nicht mehr gesehen.

All das weiß man auf Mallorca. Doch Ressentiments gegen Russen scheint es kaum zu geben. „Die Russen sind uns willkommen“, beteuert in Santa Ponça ein spanischer Hotelier, der nicht genannt werden will, „aber mehr als 20 Prozent Russen will ich nicht, sonst bleiben mir die Deutschen weg.“

Noch fallen die 150 000 russischen gegen die vier Millionen deutschen Touristen nicht ins Gewicht. Aber die Russen holen auf. Es gibt längst Direktflüge von Moskau, Sankt Petersburg, Kiew und Jekaterinburg nach Palma – schon ab 250 Euro, hin und zurück. Und die Russin Tatiana Sapunova, die ein Reisebüro auf Mallorca führt, bietet Exkursionen und Hubschrauberflüge speziell für Russen an. In den Perlenfabriken und in der Drachenhöhle gibt es russischsprachige Führungen.

Magazine, Radio, Restaurant

Viele Russen haben auf Mallorca Arbeit gefunden – auf dem Bau, als Kellner, als Lehrer für russische Sprache an der staatlichen Schule, als Übersetzer von Speisekarten oder in den Rezeptionen von Hotels. Der Corte Inglés, das große Kaufhaus, hat sechs Russen eingestellt. Hinweisschilder auf Spanisch, Deutsch, Englisch und Russisch helfen den Kunden. Es gibt in Palma de Mallorca ein russischsprachiges Magazin, ein russisches Radio, ein russisches Restaurant und einen russischen Lebensmittelladen. Und es gibt Taisia Pawlowa.
Taisia Pawlowa, 28 Jahre alt, ist als Russin in Estland aufgewachsen und hat in Sankt Petersburg als Theaterschauspielerin gearbeitet. Im vergangenen Oktober hat sie in Palma das russische Kulturzentrum Kalinka eröffnet, benannt nach einem bekannten russischen Volkslied. Auf dem Tisch ihres Büros steht ein silberner Samowar. An der Blümchentapete hängen die Porträts von Tolstoi, Dostojewski und Tschechow, auf der gegenüberliegenden Wand Fotos von Zar Nikolaus II. und seinen fünf Kindern, alle ein halbes Jahr nach der Russischen Revolution von den Bolschewisten erschossen.

Das Kulturzentrum steht allen offen. Russen wie Nichtrussen kommen zu den Gesprächsrunden und Konzerten. Doch am wichtigsten ist Pawlowa die Arbeit mit Kindern. Die Wand des großen Salons zieren meterhohe kyrillische Buchstaben. Hier erteilt Pawlowa über 30 Kindern Russisch-Unterricht. Viele entstammen spanisch-russischen Ehen. Zu Hause und auf der Straße reden die meisten von ihnen spanisch und katalanisch.

„Ich will den Kindern beibringen, dass sie von einem großen Land auf eine kleine Insel gekommen sind“, sagt die Theaterexpertin und zeigt auf die Russlandkarte an der Wand. „Von einem Land, das große Schriftsteller hervorgebracht hat und eine großartige Kultur.“ Die Russen machen krumme Geschäfte, wedeln mit Bündeln von Geldscheinen und haben keine Manieren – sie kennt die Sprüche. Sie begreift sich als Kulturvermittlerin. Je mehr die Menschen von der eigenen Kultur und der Kultur der andern erfahren, desto schneller werden sie solche Vorurteile abbauen.

Mallorca mit seinen Spaniern, Deutschen, Engländern und Russen sieht sie als eine Art Schmelztiegel. Ihr sechsjähriger Sohn spricht fließend russisch, spanisch, katalanisch und englisch. Ist er Spanier? Mallorquiner? „Jedenfalls hat er russische Wurzeln“, sagt Taisia Pawlowa zum Abschied.

Thomas Schmid, Berliner Zeitung08.04.2014

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