Die Angst der Roma vor den Schwarz-jacken

BUDAPEST. Schmucke Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Blühende Begonien in gepflegten Gärten, durch Zäune klar abgetrennte Grundstücke, bewacht von Hunden. In Kistarcsa, einem Dorf zwanzig Kilometer außerhalb von Budapest, ist alles sauber, aufgeräumt, ordentlich. Fast alles. Über eine nicht asphaltierte Straße, die nach jedem Regenguss zur Schlammpiste wird, erreicht man die Siedlung, in der 400 Roma wohnen. In Ungarn nennt man sie gewöhnlich „Ciganyok“, Zigeuner. Solange der Tonfall stimmt, ist dies nicht unbedingt abschätzig gemeint.

Es ist eine andere Welt. Vor den Häusern, viele seit Jahren im Rohbau, zum Teil ohne Fenster und Türen und dennoch bewohnt, liegen verrostete Skelette von Möbeln, aufgeschlitzte Matratzen, dazwischen spielen Kinder mit verdreckten Gesichtern in schmutzigen Trainingsanzügen. Im letzten Haus der Straße wohnt Eva Gaspar. Die vier Zimmer teilt sich die 47-jährige Frau mit ihren Eltern, ihrem Mann und ihren acht Kindern. Zwölf Personen. Ihr einziges Einkommen sind Sozialhilfe und Kindergeld, 78 000 Forint im Monat, das sind umgerechnet 290 Euro, davon gehen 52 Euro weg für Wasser und Strom, elf für das Satellitenfernsehen.

Neue Garde marschiert schon wieder

Seit Monaten schon geht in Kistarcsa die Angst um. Im vergangenen Jahr sind vier Männer in schwarz-weißen Uniformen vorgefahren und haben Gaspars Nachbarn mit einem Molotow-Cocktail angegriffen. Es waren Mitglieder der Ungarischen Garde, einer paramilitärischen Formation der rechtsextremen Jobbik-Partei, die bei den Parlamentswahlen fast 17 Prozent der Stimmen einheimste. Gegründet wurde die in martialischer Kluft auftretende Truppe im Jahr 2007 – getarnt als „Verein für kulturelles Erbe und Heimatpflege“. Die ersten 55 Gardisten wurden vor Tausenden Anhängern direkt vor dem Palais des Staatspräsidenten auf dem Burgberg von Buda öffentlich vereidigt. Heute dürfte die Ungarische Garde 3 000 Mann stark sein. Zwar wurde sie im vergangenen Jahr verboten, weil sie – so das Gerichtsurteil – Freiheit, Kultur und Lebensweise von Minderheiten beeinträchtige. Gemeint waren die Roma. Doch nun marschiert sie unbehelligt als „Neue Ungarische Garde“ in leicht abgeänderter Uniform.

In der schwarzen Weste des Gardisten werde er ins Parlament einziehen, verkündete letzte Woche der erst 31 Jahre alte Jobbik-Chef Gabor Vona vor der Petöfi-Statue, wo die Abschlusskundgebung seiner Partei stattfand. Vor dem Denkmal des Dichters und Freiheitshelden von 1848 sangen Vonas Anhänger – viele unter ihnen mit langen Haaren, einige mit Dreadlocks – andächtig die Petöfi-Hymne: „Wollt ihr frei sein oder Knechte? Wählt! Es geht um Ehr‘ und Rechte!“ Ein glatzköpfiger Barde stimmte ein trauriges Lied an. Es handelte vom Verlust heimatlicher, blutdurchtränkter Erde. Mit dem Vertrag von Trianon hatte Ungarn 1920 zwei Drittel seiner Fläche eingebüßt. Für viele Ungarn bis heute ein Trauma. „Ungar ist, wen Trianon schmerzt“, schrieb der 1983 verstorbene Dichter Gyula Illyés. Auf dem Platz liegen Karten von Groß-Ungarn aus, das Teile Rumäniens, der Ukraine, der Slowakei und Serbiens einschließt.

Mit ihren rot-weißen mittelalterlichen Arpad-Flaggen, mit ihrem Kult um den Heiligen Stefan, den Gründer des ungarischen Königreichs, mit ihrer konfusen Forderung, die „Doktrin der Heiligen Krone“ in die Verfassung aufzunehmen, wirkt Jobbik wie ein Verein von vorgestern. Doch die antisemitische und rassistische Partei, die vor allem auf dem Land, aber auch unter Studenten in letzter Zeit rasanten Zulauf bekommen hat und vorgestern von 842 000 Ungarn gewählt wurde, ist nicht Mummenschanz. Sie könnte unter der neuen Regierung unter dem nationalkonservativen und rechtspopulistischen Viktor Orban noch anwachsen, wenn sich nicht – und wenig spricht dafür – die wirtschaftliche Lage der Ungarn entscheidend verbessert.

„Budapest, erwache!“

„Jobbik spricht mit doppelter Zunge“, warnt Peter Feldmayer in seinem nussholzgetäfelten Büro hinter der Synagoge, „mit einer gezähmten für die Öffentlichkeit und mit einer ungezügelten für die eigene Klientel.“ Der Präsident der Jüdischen Gemeinde, dessen Mutter Auschwitz und dessen Vater Theresienstadt überlebt hat, erzählt von einer jüngst erschienene Ausgabe von Barikad, der Wochenzeitung von Jobbik, die noch immer wenige Häuser weiter im Schaufenster ausgestellt ist. Das Titelbild zeigt die Statue des Heiligen Gellert, die hoch über der Donau auf einem Dolomitfelsen steht. Doch auf dem Foto hält der Schutzpatron Budapests nicht ein Kreuz in der Hand, sondern eine Menora, einen siebenarmigen jüdischen Leuchter. Darunter in großen Lettern: „Budapest, erwache! Ist es das, was ihr wollt?“ Die ungezügelte Sprache ist im „Radio Heilige Krone“ zu hören und auf verschiedenen Websites zu lesen, die mit der Internetseite von Jobbik verlinkt sind.

Das Merkzeichen von Jobbiks Wahlkampagne aber war das Wort „Zigeunerkriminalität“. „Nicht alle Zigeuner sind kriminell“, sagt der junge Parteichef mit gezähmter Zunge, als ob er ein Geheimnis verraten würde, „und ihre Kriminalität ist nicht genetisch, sondern soziokulturell begründet.“ Die ungezügelte Zunge führt sein Vize Csanad Szegedi. Die Sozialhilfe, so schimpfte er, sei nichts anderes als „staatlich subventionierte Zigeunerzucht.“ Die Jobbik betont unablässig, dass sie mit der „Zigeunerkriminalität“ ein tabuisiertes Problem benenne, das alle beschweigen würden. Und sie bietet auch eine Lösung: Arbeit. Die Zigeuner sollen arbeiten!

Von Kölnisch Wasser und Alkohol

„Unter Kadar haben wir gut gelebt“, sagt die Zigeunerin Ibolya Olah, die gerade Schnecken einsammelt, „da hatte jeder von uns Arbeit.“ Janos Kadar wurde nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands von 1956 durch Sowjettruppen Generalsekretär der alleinherrschenden Partei und damit mächtigster Mann im Staat. Es war die Zeit des sogenannten Gulaschkommunismus, als Ungarn die „lustigste Baracke“ im Lager des Ostblocks war. Olah, 51 Jahre alt und mit nur noch wenigen Zähnen im Mund, lebt in Kerepes, eine halbe Stunde außerhalb von Budapest. Sie lebt nicht im Dorfkern, in dem die Kirche, die Gasthäuser und die Schule stehen, sondern in der Roma-Siedlung. Immer wieder würden Trupps der „Ungarischen Garde“ auf der Straße patrouillieren, die die herausgeputzten Häuser der „weißen“ Ungarn von den schäbigen Behausungen der Roma trennt, berichtet Olah. „Im vergangenen Jahr gab es eine böse Schlägerei an der Schule. „Nicht die Polizei, sondern die Ungarische Garde wurde gerufen.“

„Früher“, so erinnert sich Olah, „war Ostern ein wunderschönes Fest. Die Jungen und Männer suchten die Mädchen und Frauen auf, überschütteten sie mit Kölnisch Wasser und erhielten im Gegenzug Schnaps. Am Schluss rochen die schönsten Frauen, die am meisten Besuch erhalten hatten, ziemlich penetrant, und die Männer stanken nach Alkohol. Es war wunderbar. Natürlich gingen unsere Männer auch zu den Ungarinnen, und manchmal kamen sie auch zu uns.“

Es hört sich an, wie ein Märchen aus vergangenen Zeiten.

© Berliner Zeitung

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 13.04.2010

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