Auf dem Höhepunkt seiner Macht war er Staatspräsident, Parteichef, Innen- und Außenminister gleichzeitig. Doch Ahmed Ben Bella, der 1962 erster Präsident des unabhängigen Algerien wurde, konnte sich nur drei Jahre halten. 1965 putschte sein Verteidigungsminister. Es folgten Jahre im Gefängnis, das Exil und schließlich die Rückkehr in die Heimat als alter Mann. Und wenn Algerien nun am kommenden 5. Juli den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit begeht, wird er nicht mehr mitfeiern. Er ist am Mittwoch im Alter von 95 Jahren in Algier gestorben.
In der Luft entführt
Geboren als Sohn marokkanischer Bauern, die nach Algerien emigriert waren, trat Ben Bella 1937 in d ie französische Armee ein und wurde nach der Niederlage Frankreichs 1940 demobilisiert. Nach der Besetzung Nordafrikas durch die Alliierten zog er erneut die Uniform an und kämpfte in der Schlacht um Monte Cassino in Süditalien als Soldat eines französischen Expeditionskorps gegen die Wehrmacht.
Der 8. Mai 1945 war für Ben Bella aber nicht so sehr der Tag der deutschen Kapitulation, sondern der Beginn der Massaker in Sétif und Guelma. In den zwei nordalgerischen Städten metzelten französische Truppen als Repressalie für die Ermordung von 28 Europäern Tausende Algerier nieder. Rund hundert Franzosen kamen in jenen dramatischen Tagen ebenfalls ums Leben, Opfer von Rache.
Ben Bella trat dem nationalen algerischen Widerstand bei. Seine erste Aktion: Zusammen mit Gesinnungsgenossen überfiel er 1949 die Hauptpost von Oran, der zweitgrößten Stadt des Landes, und erbeutete mehr als drei Millionen Francs. Ein Jahr später wurde er festgenommen und zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nach zwei Jahren gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis in Algerien. Er setzte sich nach Kairo ab.
Am 1. November 1954 explodierten an 17 Orten Algeriens Bomben. Es war das Startsignal für den Unabhängigkeitskrieg, der auf französischer Seite etwa 17000 Tote kostete, auf algerischer jedoch über 300000.
Im Oktober 1956 wurden Ben Bella und vier weitere FLN-Führer auf dem Flug von Marokko nach Tunesien im internationalen Luftraum von einem französischen Kampfjet abgefangen und nach Frankreich entführt. Erst nach der Unterzeichnung der Verträge von Evian, die am 18. März 1962 den Waffenstillstand besiegelten, kam Ben Bella frei. Noch im selben Jahr zog er unter Jubel in Algier ein und übernahm die Macht im neuen Staat.
Als tief gläubiger Muslim versuchte Ben Bella, Islam und Sozialismus in Einklang zu bringen. Algerien wurde zu einer Entwicklungsdiktatur, die breiten Bevölkerungsschichten erstmals Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung verschaffte. Politisch orientierte sich der Einparteienstaat weitgehend an der Sowjetunion, allerdings ohne mit der alten Kolonialmacht zu brechen.
Putsch, Exil und Rückkehr
Schon 1965 wurde Ben Bella von seinem Verteidigungsminister Houari Boumediène von der Macht geputscht. Über zwölf Jahre saß er danach ohne Urteil im Gefängnis und zwei Jahre im Hausarrest. 1980 ging er in die Schweiz ins Exil. Erst 1990 durfte er wieder nach Algerien einreisen. Der Rückkehrer gründete nun eine eigene Partei, die „Bewegung für Demokratie in Algerien“.
Als die Generäle 1992 putschten und der Islamischen Heilsfront den Wahlsieg stahlen, kam es zu einem Bürgerkrieg, der innerhalb eines Jahrzehnts mehr als 100000 Tote forderte. Vergeblich plädierte Ben Bella für eine Versöhnung mit den Islamisten. Er war längst isoliert, politisch bedeutungslos. Nun, da er tot ist, fiel es Präsident Abdelaziz Bouteflika denn auch nicht schwer, ihm alle Ehren zu erweisen und acht Tage Staatstrauer anzuordnen.
© Berliner Zeitung
Thomas Schmid, 13.04.2012