Thomas Schmid, 23.02.2012
Im Senegal erhebt sich die Jugend gegen den alten Präsidenten, der die
Gesetze bricht, um seine Macht zu erhalten. Am Sonntag wird gewählt.
Und vom Ergebnis dieser Wahl hängt ab, ob aus einem Wind ein
Sturm wird.
DAKAR. Schuld war der Stromausfall.
Ständig gingen die Lichter aus. Ohne Elektrizität aber kann der
Frisör nicht arbeiten, weil der Haartrockner dann auch nicht
arbeitet. Die Nähmaschine des Schneiders steht still. Und im
Kühlschrank beginnt der Fisch zu stinken. Die Ersten, die öffentlich
gegen die Malaise aufbegehrten waren die Imame von Guédiawaye, einem
Vorort von Dakar, der Hauptstadt Senegals. Sie drohten, die Gläubigen
dazu aufzurufen, die Stromrechnung nicht mehr zu bezahlen,
wenn sich die Lage nicht verbessere. Das war vor einem Jahr. "Da habe
ich mich geschämt", sagt Fadel Barro, "ausgerechnet Imame im Rentenalter
stiegen auf die Barrikaden, und wir, die Jungen, drehten Däumchen."
Damals tat sich Fadel Barro, von Beruf Journalist, mit sechs
Freunden zusammen, zwei von ihnen waren Rapper von Keur-Gui, einer Band,
die für ihre frechen Texte in ganz Senegal bekannt ist. "Am 18. Januar des vergangenen Jahres gründeten wir ,Y
en a marre' - ,Jetzt reicht es'", sagt Fadel, "die tunesische
Revolution war gerade vier Tage alt." Gewiss, Senegal ist keine Diktatur. Die Presse ist frei, die Parteien können
ungehindert Wahlkampf betreiben. Aber wie in Tunesien gibt es
eine weitgehend arbeitslose Jugend, die keine Perspektive sieht, dafür
aber machtlos der Korruption der Mächtigen zuschaut. Wenn in
Senegals Hauptstadt nun seit Tagen Aufstandsstimmung herrscht,
Barrikaden brennen und Tränengas versprüht wird, ist dies auch das
Verdienst der Jugend- und Rapperbewegung "Y en a marre".
Ihre
Forderung, die längst von allen Parteien der Opposition geteilt wird:
Gorgui muss gehen. Gorgui ist ein Wort des Wolof, der senegalesischen
Mehrheitssprache, und heißt auf Deutsch "der Alte". Und "der Alte" ist
Abdoulaye Wade, der Präsident Senegals. Am Sonntag wird gewählt,
Wade will ein drittes Mal Präsident werden. Zwar verbietet das die
Verfassung. Aber der Verfassungsrat, die "fünf Weisen", alle von Wade
selbst eingesetzt, dem sie zudem eine saftige Erhöhung ihres Salärs
verdanken, sind anderer Ansicht. Ende Januar erlaubten sie ihm eine
dritte Kandidatur. Seither kommt der Senegal nicht zur Ruhe.
Angst vor der Verhaftung
Es ist nicht einfach, Fadel zu treffen. Der Journalist, der vor
zwei Monaten seine Redaktion verlassen hat, um die Menschen
aufzurütteln, um über SMS-Botschaften zur Demonstration aufzurufen, um
Gorgui zu verjagen, schläft nicht mehr zu Hause. Auch meidet er
den Spaziergang durch die Straßen der Hauptstadt. Termine macht er aus
Sicherheitsgründen nur sehr kurzfristig. Nicht, dass gegen ihn ein
Haftbefehl vorläge. Aber Mitglieder von "Y en a marre" werden regelmäßig
vorübergehend aus dem Verkehr gezogen, auf dem Kommissariat
verprügelt und nach ein paar Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. "Und
ich gehöre schließlich dem Exekutivkomitee an", sagt Fadel, "dem
harten Kern." Er schiebt die schwarze Wollmütze hoch, die er auf
der Straße in die Stirn zieht, und lacht. Nein, er ist nicht der
verbissene Kämpfer, nicht der Typ Berufsrevolutionär, eher Rebell mit
Lust aufs Leben, auf guten Rap.
Doch sein Anliegen ist ernst, und
sein Ton wird verschwörerisch: "Wir sind dabei eine Gegenmacht
aufzubauen", sagt er, "wir sind übers ganze Land verteilt, schon 397
Geister." Nein, mit Magie und Mystik habe dies nichts zu tun, wehrt
Fadel ab, die Bewegung pflege eben ihre eigene Sprache. "Ein Geist
ist eine Zelle von mindestens 25 Personen, von denen mindestens zehn
Frauen sein müssen." So steht es in den "Zehn Geboten", die im Netz
unter www.yenamarre-senegal.vom
auf Französisch, der Amtssprache Senegals, abzurufen sind. Zehn
Gebote, das erinnert an die Bibel oder hier im islamischen Senegal an die 14. Sure des Koran. Wieder setzt Fadel Barro sein schelmisches
Lächeln auf. "Der Geist ist eine integrierende, laizistische und
gewaltfreie Organisation", heißt es im ersten Gebot. "Das geforderte
Frauenquorum nehmen allerdings die meisten Geister nicht sonderlich
ernst", gibt er freimütig zu.
"Wir sind keine Politiker", sagt
Fadel Barro, "und wir wollen auch keine werden. Wir unterstützen bei
den Wahlen vom Sonntag keine Kandidaten, aber Wade muss weg." Dass Wade
gehen muss, findet auch Senegals bekanntester Bürger: Youssou
N'Dour. Der in einfachen Verhältnissen aufgewachsene Grammy-Gewinner von
2005, für die Jugend Afrikas eine Ikone, hat den westafrikanischen
Mbalax-Musikstil mit Elementen von Samba, Rap und Soul
vermischt. Weltweit füllt er Konzerthallen. In Senegal ist er auch wegen seines sozialen und politischen Engagements äußerst
populär. Schon 1985 organisierte er ein Konzert für Nelson Mandela,
damals Afrikas berühmtester Häftling. Er unterstützt den Kampf gegen
Malaria und die Gründung von Internet-Cafés. Heute besitzt Youssou
N'Dour in Senegal den Fernsehsender mit der wohl höchsten Einschaltquote, den am meisten
gehörten Rundfunksender und die Tageszeitung mit der höchsten Auflage.
Im Dezember kündigte Youssou N'Dour seine Bewerbung für die
Präsidentschaft Senegals an. Ende Januar ließen die "fünf
Weisen" seine Kandidatur nicht zu, weil er die nötigen
Unterschriften nicht eingereicht habe. "Wir haben ihn nicht
unterstützt", bekräftigt Fadel Barro, "wir stehen zwar alle auf seine
Musik, aber aus dem Wahlkampf halten wir uns heraus." Das hindert
Youssou, 52 Jahre alt, nicht, die Rapper und Jugendlichen von "Y en a
marre" bei jeder Gelegenheit öffentlich in Schutz zu nehmen. Und der
Weltstar ist sich auch nicht zu schade, für ihr und sein Anliegen -
Wade muss weg - auf die Straße zu gehen. Er hat seine eigene
Bewegung gegründet. Sie heißt "Fekke ma ci bolle" ("Ich mische mich
ein").
Es ist Dienstagabend. Noch fünf Tage bis zu den Wahlen. Die
Behörden haben im Stadtzentrum von Dakar sämtliche Demonstrationen
verboten. Trotzdem zieht über die Avenue Georges Pompidou ein Zug
von einigen tausend Demonstranten. Erklärtes Ziel ist es,
eine Versammlung auf dem Unabhängigkeitsplatz im
Herzen der Stadt abzuhalten. Vorneweg fährt ein Kleinlaster,
auf dessen Ladefläche Youssou N' Dour steht - in Anzug, weißem
Hemd, ohne Krawatte. Um seinen Hals baumelt vorsorglich eine
Gesichtsmaske, wie sie in Operationssälen üblich ist, als Schutz vor
dem Tränengas. "Youssou! Youssou!", skandieren seine Anhänger,
Mbalax-Rhythmen dröhnen aus Lautsprechern, einige tanzen auf der Straße,
helmbewehrte Journalisten stehen beidseits der Front. orange
gekleidete Ärzte warten auf ihren Einsatz.
Auch drei
Präsidentschaftskandidaten der Opposition sind zur Demonstration
gekommen: Cheikh Bamba Dièye, der jüngste der 17 Bewerber um das
höchste Amt, Idrissa Seck, der Wade zwei Jahre lang als
Premierminister gedient und sich mit ihm dann überworfen hat, und
Ibrahima Fall, Verfassungsrechtler und einst Dekan der
Juristischen Fakultät der Universität von Dakar. Aber die Blicke richten
sich auf Youssou. Er hält eine Rede, halb auf Wolof, halb auf
Französisch. "Ich kenne eure Probleme", sagt er in väterlichem Ton,
"aber die Zukunft gehört euch." Noch steht sein Wagen fünf Meter vor dem
ersten Polizeiwagen entfernt.
Die Stimmung ist nicht
aggressiv, aber angespannt: Wie soll es weitergehen? Die Polizei
kann den Weg nicht freigeben. Sie hat keine Order. Die Demonstranten
können nicht einfach wieder abziehen. Es wäre ein Gesichtsverlust. Da
fliegt der erste Stein, Sekunden später fallen Schüsse. Dutzende. Es ist
keine scharfe Munition, nur Tränengasgranaten. Tausende rennen
durch die Straßen, versuchen, dem beißenden Nebel zu entrinnen. Ein
Feuerwerkskörper trifft Youssou am linken Bein. Ein Arzt eilt herbei.
"Da mache ich keine Staatsaffäre draus", sagt der Musiker und lacht.
Schon bald werden vom Markt Holztische herbeigebracht, Barrikaden
errichtet, in Brand gesteckt. Wie zwei Tage zuvor, nachdem die
Polizei eine Tränengasgranate in eine Moschee gefeuert hatte; wie drei
Tage zuvor, als zwei Rapper von "Y en a marre" festgenommen worden
waren. Wie inzwischen eigentlich jeden Tag. Weil es jeden Tag
einen guten Grund zum Protest gibt.
Der Hauptgrund aber ist immer
derselbe: Wade. Tatsächlich droht der 85-jährige Präsident mit seiner
Mischung aus Halsstarrigkeit und Machtversessenheit, Senegal, den einzigen Staat Westafrikas, der nie einen Putsch kannte, ins Chaos
zu stürzen. Drei Präsidenten hatte das Land bisher. Der Sozialist
Leopold Senghor führte es von der Unabhängigkeit 1960 bis 1980 und
trat, was man in Afrika damals kaum kannte, aus Altersgründen zurück.
Ihm folgte Abdou Diouf, ebenfalls Sozialist. Er verlor im Jahr 2000 die
Wahlen und übergab den Stab an den liberalen Oppositionsführer
Abdoulaye Wade. Der "Alte" aber will einfach weitermachen, das Ruder
nicht abgeben.
Wenn Pierre Sané, 62, aus dem Fenster seiner
geräumigen Wohnung schaut, liegt ihm der
Unabhängigkeitsplatz, den die Polizei gerade erfolgreich verteidigt hat,
zu Füßen. Sané ist vor anderthalb Jahren wieder in seine Heimat
zurückgekehrt. Mit seinem ergrauten Bart und der schwarzen Brille
strahlt er eine Ruhe aus, die in scharfem Kontrast zur allgemeinen
Aufregung in der Stadt steht. Zehn Jahre lang war er Generalsekretär
von Amnesty International, danach zehn Jahre lang Assistierender
Generaldirektor der Unesco. Heute leitet er das Imagine Africa
Institute, einen Think Tank, der sich vor allem mit Süd-Süd-Kooperation,
regionaler Integration und Dezentralisierung befasst.
"Wenn es korrekt zugeht, kann Wade die Wahlen nicht gewinnen",
behauptet er. Vor zwei Jahren hat die Partei des Präsidenten die
Kommunalwahlen landesweit verloren. Und seither hat Wade noch mehr an
Zustimmung eingebüßt. Einen Wahlbetrug will Sané nicht ausschließen.
Die Resultate der Wahlen unter Soldaten, Polizisten, Gendarmen und
Feuerwehrleuten, die bereits am vergangenen Wochenende stattfanden,
werden bis zum Sonntag unter Verschluss gehalten, können also
manipuliert werden. Über 100000 wahlberechtigte Bürger haben noch
keine Wahlunterlagen erhalten. Wo sind diese? Werden sie in den Händen
von Wades Anhängern landen? Das Votum der Diaspora wird von den
Botschaften kontrolliert. Auch eine Manipulation an der Software der
Wahlcomputer will Sané nicht ausschließen.
"Wenn Wade sich
bereits nach dem ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit zum Sieger
erklärt, wird die Opposition dies nicht anerkennen", prophezeit Sané,
"und wenn er in einem zweiten Wahlgang gegen den bestplatzierten
Kandidaten der Opposition antritt, wird er verlieren, da die gesamte
Opposition sich gegen Wade stellt." Sämtliche Oppositionsparteien und
zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft haben sich zur
"Bewegung des 23. Juni" zusammengeschlossen. Damals, vor acht Monaten,
hat Wade unter dem Druck der Straße sein Projekt einer
Verfassungsänderung, die seinem Sohn den Weg an die Macht bahnen
sollte, zurückgezogen. Wird er jetzt im letzten Moment unter dem
wachsenden Druck der Straße seine Kandidatur zurückziehen?
Wird man die Wahlen verschieben, damit seine Partei einen neuen
Kandidaten aufstellen kann? Viele hoffen es. Wenige wagen, es zu
glauben.
Der neue Typ des Senegalesen
"Wade muss gehen",
sagt Fadel Barro, der Mitgründer von "Y en a marre", der Bewegung,
in der Tausende Jugendliche organisiert sind und die ebenfalls
der "Bewegung des 23. Juni" angehört. Aber seine Ziele hat der
streitbare Journalist weiter gesteckt: "Wir müssen die
demokratischen Errungenschaften und die Republik bewahren und die Werte
des Nts fördern." Wie bitte? "Der Nts ist die Abkürzung für den neuen
Typ des Senegalesen." So steht es im dritten Gebot der Charta
von "Y en a marre". Und wieder lacht er schelmisch. Will er
tatsächlich - wie einst Che Guevara - den "neuen Menschen" schaffen?
Ja, doch, er meint es ernst. "Jenseits meiner Bemühungen, ein
guter Nts zu sein", schreibt er dort, "informiere ich den Bürger,
überwache die Regierenden, belebe die demokratische Debatte,
sensibilisiere für die Notwendigkeit eines Mentalitätswechsels, um
unser Land aus seiner schwierigen Lage herauszuholen. (...) Unser
Engagement ist unerschütterlich. Weder Todesdrohungen noch
Korruptionsangebote noch Gefängnis können uns aufhalten."
Es sind
vielleicht etwas pathetische Worte. Aber Todesdrohungen erhält
Fadel Barro quasi täglich, und im vergangenen Jahr, so sagt er,
wurde er aufs Polizeikommissariat zitiert. Und dort habe ihm ein
Regierungsbeamter zu seiner großen Verblüffung einen Ministerposten
angeboten. Jetzt wartet er auf den Sonntag. Auf das Wahlergebnis.
Seine Hoffnung ist ungebrochen.
© Berliner Zeitung
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