Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 25.02.2012
Senegals Präsident Abdoulaye Wade möchte
wiedergewählt werden. Dafür braucht er die mächtigste
religiöse Bruderschaft.
TOUBA. Die
Zigaretten gibt der Besucher an der Stadtgrenze ab. Beim Verlassen
des Ortes werden sie ihm wieder ausgehändigt. In Touba herrscht striktes
Tabakverbot. Ein kühles Bier gibt es - bei 35 Grad im Schatten -
nirgends. Der Genuss von Alkohol ist strengstens untersagt. Touba, in
der westafrikanischen Savanne gelegen, ist die zweitgrößte Stadt des Senegal und zählt über eine halbe Million Einwohner. Aber nach einem Hotel sucht man vergeblich. Es gibt keins.
1963 noch war Touba ein kleiner Ort mit weniger als 5 000 Einwohnern.
In jenem Jahr aber wurde die Große Moschee eingeweiht, ein Prachtbau
mit fünf Minaretten, grünen und blauen Kuppeln, Marmor aus Carrara
und Granit aus Spanien. Es ist einer der größten Sakralbauten
Afrikas. Touba ist das Mekka des schwarzen Kontinents. Jedes Jahr
pilgern zum Magal, einem dreitägigen Fest, über eine Million Wallfahrer
nach Touba. Sie schlafen draußen oder kommen bei Einheimischen
unter. "Touba ist eine heilige Stadt", sagt Saliou Gueye
feierlich, der sich als offizieller Führer für die Große Moschee
vorstellt, "die Macht der Regierung in Dakar endet an den Grenzen von
Touba. Hier gelten andere Gesetze, und Steuern bezahlt keiner." In der
Tat, in Touba hat nur einer das Sagen: der Kalif. Statt Steuern gibt
es religiöse Abgaben der Reichen, von denen auch die Armen profitieren,
Überweisungen aus der Diaspora, Zuwendungen.
Touba ist das
Zentrum der Muridiyya, einer Bruderschaft, die erst Ende 19.
Jahrhundert vom islamischen Mystiker Amadou Bamba gegründet wurde, einem
Sufi oder Marabout, wie man in Afrika sagt. Amadou Bamba, geboren
1853, wurde von den französischen Kolonialherren acht Jahre inhaftiert,
bevor er ins Exil ins heutige Gabun ausreisen durfte. Als er
heimlich in seine Heimat zurückkehrte, nahmen ihn die Franzosen
erneut fest und inhaftierten ihn vier Jahre lang in ihrer Kolonie
Mauretanien. Spät erst merkten sie, dass jedes Jahr Haft seine
Reputation vergrößerte, fortan förderten sie ihn.
1927 starb Amadou
Bamba, sechs Jahre, bevor der Bau der Großen Moschee zu seinen Ehren
in Angriff genommen wurde. Die Arbeiten sollten drei Jahrzehnte
beanspruchen. Das Bild des Mystikers ist heute in ganz Senegal auf Busse und Hausmauern gemalt, es hängt an den Rückspiegeln von Autos, in Marktständen, Frisierstuben, Privatwohnungen.
Die meisten Senegalesen gehören einer religiösen Bruderschaft an. Die
Muriden, denen sich etwa 30 Prozent der Bevölkerung zurechnen, bilden
zwar nur die zweitgrößte, aber die wirtschaftlich stärkste und
politisch einflussreichste Bruderschaft. Amadou Bamba hatte gelehrt,
dass man nur durch harte körperliche Feldarbeit näher zu Gott komme.
"Sei wie der kleine, mit Hirse beladene Esel, der seine eigene Last
nicht frisst", hatte er den Gläubigen empfohlen. Heute werden der
Erdnusshandel und das Transportwesen vorwiegend von Muriden
kontrolliert. Auch Wahlkampf ist in der heiligen Stadt untersagt.
So traf sich Präsident Abdoulaye Wade, der - obwohl 85 Jahre alt - am
Sonntag zum dritten Mal Präsident werden will, mit Sidi Al
Mouktar Mbacké, dem Generalkalifen der Muriden, zum
Auftakt seiner Wahlkampagne vor drei Wochen wenige Kilometer
außerhalb der Stadt. "Ich komme, um meinem Marabout einen Besuch
abzustatten", hatte er angekündigt, "und ihn zu bitten, für mich zu
beten."
Über das Gespräch wurden keine Details bekannt. Aber Wade
hat die Fürbitte dringend nötig. Die Opposition tobt und die Jugend
rebelliert. Die Verfassung lässt nur zwei Amtszeiten zu. Aber die
von Wade selbst eingesetzten und von ihm mit einer saftigen
Gehaltserhöhung gnädig gestimmten "fünf Weisen" des Verfassungsrats
befanden, dass Wade ein drittes Mal antreten dürfe. Die Begrenzung
der Amtszeit sei ja erst ein Jahr nach Beginn seines ersten Mandats in
Kraft getreten. Wade selbst hatte im Übrigen nach Antritt seiner
zweiten Amtszeit öffentlich verkündet, dass er kein drittes Mal
kandidieren könne, weil dies eine von ihm selbst durchgesetzte
Verfassungsänderung ja verbiete. Daraufhin angesprochen, meinte
er jüngst lapidar, nur Dummköpfe würden ihre Meinung nicht ändern.
Wade ist selbst ein bekennender Muride. "Die ganze Nation hat
gesehen, wie der Präsident einst demütig vor dem Generalkalifen, der
vor ihm auf einem Stuhl Platz genommen hatte, auf dem Boden saß", sagt
Ibrahima Niang, Sozialanthropologe an der Universität von Dakar, "alle
Fernsehsender haben die Bilder ausgestrahlt. Jetzt will Wade wieder
im großen Wählerreservoir der Muriden fischen." Dass der
Präsident der Bruderschaft wiederholt große Geldsummen zukommen ließ,
wird in der Hauptstadt als offenes Geheimnis gehandelt. Er
werde sich immer für die Muriden einsetzen, sagte Wade auch jüngst
wieder. Was für Nichtmuriden nach Bestechung riecht, hält mancher Muride
für selbstverständlich. Schließlich ist der Präsident ja selbst
Muride. Also ist es seine religiöse Pflicht, der Bruderschaft zu
helfen.
Doch den von der Opposition befürchteten "Ndiguel",
eine direkte Wahlempfehlung, hat Sidi Al Mouktar Mbacké nicht
gegeben. Er ist seit dem Tod des Gründers der Bruderschaft der siebte
Kalif, das Amt wird vererbt. Immerhin aber erklärte Mbacké
öffentlich, man müsse den Urteilsspruch der "fünf Weisen" akzeptieren.
Ein Schlag für die Opposition. "Im Unterschied zu den Tidschani,
der größten Bruderschaft des Landes, der etwa die Hälfte der
Senegalesen angehören, sind die Muriden streng hierarchisch organisiert.
Disziplin wird groß geschrieben, Autorität nicht in Frage
gestellt", sagt der Sozialanthropologe Niang, ein Kenner der
Bruderschaften, "auch wenn der Kalif keinen ,Ndiguel' gibt, können
bei Bedarf doch einige wenige Marabouts Hunderttausende für seinen
Kandidaten mobilisieren."
Cheikhouna Mbacké, Enkel des Gründers
der Muridiyya und Bruder des Kalifen, sitzt auf seinem Sofa, kaut
auf einem Zahnstocher und empfängt Besucher. Auch er ist
Marabout. Seine "Talibé", seine "Schüler" berichten ihm von
ihren Alltagssorgen und suchen bei ihm Rat. Der eine hat
Eheprobleme, der andere kein Geld und ein dritter hat einen Sohn, der
Ärger bereitet. Und gibt er auch eine Empfehlung an "Schüler", die
nicht wissen, wen sie am Sonntag wählen sollen? "Der Marabout
übersetzt die Gedanken des Propheten für die Gläubigen", sagt er
lächelnd, "wir nehmen nicht Partei - weder für die Regierung noch für
die Opposition. Wir sind strikt neutral."
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