Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 22.07.2013
Vor 70 Jahren wurde Mussolini vom Großen
Faschistischen Rat abgesetzt und am selben Tag verhaftet.
Für die allermeisten
Italiener kam die Botschaft wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Am
25. Juli 1943 verlas der Rundfunksprecher zwei Proklamationen. In der
ersten gab König Viktor Emanuel III. bekannt, er habe den Rücktritt von
Benito Mussolini angenommen. In der zweiten ließ Marschall Pietro
Badoglio verlauten, dass er "auf Befehl Seiner Majestät des Königs und
Kaisers" die Regierung übernommen habe. Und dann sagte er noch:
"Der Krieg geht weiter." Er meinte: Der Krieg gegen die Alliierten wird
weitergeführt.
Aber dies schien schon zweitrangig. Noch in
der Nacht zogen in Rom und anderen Städten Gruppen von
Demonstranten durch die Straßen, um den Sturz des Duce und das Ende von
21 Jahren Tyrannei zu feiern. Badoglio gestand den Italienern 24
Stunden Freiheit zu. In Rom stürmte die Menge den Palazzo Venezia,
Mussolinis Amtssitz. Überall in Italien wurden Büsten des Diktators
zerstört und politische Gefangene befreit.
Am folgenden Tag
ordnete Badoglio dann wieder Normalität an. In allen Kasernen des
Landes wurde sein Befehl verlesen: "Jede auch nur geringste Störung
der öffentlichen Ordnung, von welcher Seite sie auch immer komme,
bedeutet Verrat (...) Wenig Blut, das am Anfang vergossen wird, erspart
später Ströme von Blut." Und schon bald gab es die ersten Toten: neun
in Reggio, 23 in Bari.
Wie aber kam es zur spektakulären Sturz
des Duce? Italien befand sich im Sommer 1943 in einer schwierigen Lage.
Im Mai hatte die "Heeresgruppe Afrika" kapituliert - 250000 deutsche und
italienische Soldaten waren in Gefangenschaft geraten. Am 10. Juli
waren die Alliierten in Sizilien gelandet.
Flugblätter und Bomben
Am 19. Juli treffen sich Mussolini und Hitler bei Feltre in
Venetien. Der Deutsche lässt sich in seinem Redeschwall kaum bremsen.
Der Italiener merkt bald, dass seine Wünsche nach militärischer
Unterstützung auf taube Ohren stoßen. Hitler braucht seine Panzer und
Flugzeuge selbst an der Ostfront, wo die Sowjets nach ihrem Sieg
in Stalingrad überall gegen den Westen vorstoßen. Die Begegnung
zwischen Führer und Duce endet ohne Ergebnis.
Noch während der
Gespräche in Feltre wird Rom zum erstenmal massiv bombardiert. Auf
seinem Rückflug in die Hauptstadt sieht Mussolini die dicken
Rauchschwaden von Dutzenden brennender Eisenbahnwaggons und
Lokomotiven. Kaum gelandet, macht er sich zur Villa Torlonia auf,
seiner Privatresidenz. "Auf der Straße begegnete ich einer
Unzahl von Menschen, die sich zu Fuß oder mit irgendeinem Gefährt
aufs Land flüchteten", schreibt er einen Monat später, als er schon
inhaftiert ist, "die Stadt bot einen trostlosen Anblick. Lange
Schlangen von Leuten standen vor den Brunnen, weil die
Wasserleitungen zerstört waren." Schon zwei Tage zuvor sind
alliierte Flugzeuge über Rom aufgetaucht. Doch sie haben nur
Flugblätter abgeworfen. "Mussolini riss euch in den Krieg, als er
glaubte, Hitler habe ihn bereits gewonnen", hieß es in der Botschaft von
Roosevelt und Churchill, die mit den Worten schließt: "Die Zeit
ist gekommen, da ihr entscheiden müsst, ob Italiener für Mussolini und
Hitler sterben oder für Italien und die Zivilisation leben wollen." Ähnliche Gedanken macht man sich auch in der Armeeführung, am Hof
und in den obersten Kreisen der faschistischen Nomenklatura.
In zahlreichen Geheimgesprächen werden Kontakte geknüpft, Lösungen
sondiert. Absetzbewegungen zeichnen sich ab. Die
entscheidende Initiative ergreift Dino Grandi, Präsident der großen
Kammer des Parlaments. Grandi, ein Faschist der ersten Stunde,
zeitweilig Außenminister, dann Botschafter in London, später
Erziehungsminister, bildete in der Partei oft den Gegenpol zum Duce. Nun
drängt er auf die Einberufung des Großen Faschistischen
Rates, eines Gremiums, das sowohl Partei- wie Staatsorgan ist und geheim
zu tagen pflegt. Mussolini, der weiß, dass Grandi seine Absetzung
betreibt, schlägt die Warnungen seiner Freunde in den Wind und beruft
für Sonnabend, den 24. Juli, eine Sitzung des Großen
Faschistischen Rates ein. Offenbar ist er überzeugt, aus ihr
gestärkt hervorzugehen. Um 17 Uhr treffen sich sämtliche 28
Mitglieder des Gremiums - alle in schwarzen Uniformen - im Palazzo
Venezia. Der Duce eröffnet die Sitzung mit einer
anderthalbstündigen ausschweifenden Rede, wobei er noch mehr als
gewöhnlich mit den Händen fuchtelt. Schließlich kommt er zum Punkt.
"Dieser Krieg", sagt er, "ist nicht populär, aber das trifft auf alle
Kriege zu. Der Verlust einer Provinz bedeutet nicht die
Niederlage. Wenn nötig, wird die Hauptstadt in die Po-Ebene verlegt.
Die Treue zu den Deutschen steht nicht zur Debatte."
Abschließend warnt er davor, der Eingabe Grandis zuzustimmen. Dies könne
das Ende des Regimes bedeuten. Grandi schlägt vor, dem König
das Oberkommando, das er bei Italiens Kriegseintritt an Mussolini
abgegeben hat, wieder zu übertragen und ihm auch die oberste
politische Entscheidungsgewalt zuzubilligen. Faktisch, das wissen alle
im Saal, bedeutet dies die Entmachtung Mussolinis. Um Mitternacht
schlägt Parteichef Carlo Scorza eine Verschiebung der Sitzung vor.
Grandi: "Diesen Saal dürfen wir nicht ohne Entscheidung verlassen,
selbst wenn wir eine ganze Woche hier bleiben müssen. Es geht um die
Zukunft des Landes, und während wir hier diskutieren, sterben im Kampf
italienische Soldaten." Auch Mussolini will eine Entscheidung. Als
nach zehn Stunden am 25. Juli um drei Uhr früh schließlich abgestimmt
wird, fällt das Resultat überraschend eindeutig aus. 19 der
Ratsmitglieder sprechen sich für die Eingabe Grandis aus, sieben
dagegen, zwei enthalten sich. Auch Galeazzo Ciano, Mussolinis
Schwiegersohn, unterstützt Grandi. Ein halbes Jahr zuvor war er
noch Außenminister. Doch als er auf einen Separatfrieden mit den
Alliierten hinarbeitete, wurde er vom Duce auf den Posten eines
Botschafters beim Vatikan abgeschoben. Wegen seines Votums wird er
später auf Betreiben Mussolinis zum Tod verurteilt werden. "Die
Sitzung ist geschlossen", verkündet der Duce, geht ins Büro und ruft
von dort seine Geliebte, Clara Petacci, an. Er teilt ihr mit, dass
sein Stern im Sinken begriffen sei. Zu Hause trifft er seine
Frau Rachele, die auf dem Balkon auf ihn gewartet hat. "Sie wollen ihre
Haut auf meine Kosten retten", sagte er ihr, "sie werden alles
versuchen, aber noch lebe ich." Um acht Uhr früh geht er, wie
gewohnt, in sein Büro. Es ist Sonntag. Am Mittag bittet er König Viktor
Emanuel III. um Vorverlegung der üblichen Montagsaudienz. Er möchte ihn
noch am Sonntag treffen, um 17 Uhr. Der König willigt ein und beordert
ihn zu seiner Privatresidenz, der Villa Savoia. Die letzte Audienz Dort trifft Mussolini in blauem Anzug und mit Schlapphut
pünktlich ein. Er glaubt, den König überzeugen zu können, dass das
nächtliche Votum nur konsultativen, nicht bindenden Charakter
habe. Doch die Vorbereitungen seiner Festnahme haben Militärs
und Carabinieri bereits getroffen.
Was sich der Monarch und der
Duce bei ihrer letzten Begegnung gesagt haben, ist nur in der durchaus
glaubhaften Version überliefert, die Mussolini im Sommer 1944
unter Pseudonym in der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera
veröffentlichte. "Mein lieber Duce", habe der König das Gespräch
eröffnet, "es hat alles keinen Sinn mehr. Italien zerfällt. Die
Moral der Armee ist am Boden. Die Soldaten wollen nicht mehr kämpfen
(...). Zur Zeit seid Ihr der am meisten gehasste Mann Italiens. Ein
einziger Freund ist Euch geblieben: ich (...). Ihr braucht Euch um Eure
körperliche Unversehrtheit nicht zu sorgen. Meiner Meinung nach ist
Marschall Badoglio für die Stunde der richtige Mann. Er wird eine
Regierung zusammenstellen und den Krieg fortsetzen." Er selbst,
berichtet Mussolini, habe dem König geantwortet: "Eine
Regierungskrise in diesem Moment würde das Volk glauben machen,
der Friede sei in Sichtweite, sobald der Mann, der den Krieg erklärt
hat, entlassen wird. Es wird für die Moral der Truppe ein schwerer
Schlag sein (...). Die Krise wird als Triumph des Gespanns
Churchill-Stalin begriffen werden, vor allem des letztgenannten,
der den Rückzug eines Gegners sieht, der 20 Jahre gegen ihn gekämpft
hat. Ich bin mir über den Hass des Volkes im Klaren (...) Auf jeden
Fall wünsche ich dem Mann, der diese Lage meistern will, viel Glück." Das Gespräch dauerte höchstens eine Viertelstunde. Dann begleitete
der König den Duce, dem er 21 Jahre zuvor die Regierung anvertraut
hatte, bis zur Türschwelle, reichte ihm die Hand und verschwand in
seinem Palast.
Als Mussolini zu seinem Auto gehen wollte, kam ihm
ein Hauptmann der Carabinieri entgegen. "Duce, im Namen Seiner
Majestät des Königs, bitten wir Euch, uns zu folgen, um Euch vor
allfälligen Gewaltausbrüchen der Menge zu schützen." - "Ist nicht
nötig", antwortete Mussolini. "Duce, ich habe einen Befehl auszuführen",
erwiderte der Hauptmann, ergriff ihn sachte am Ellbogen und half ihm,
in einen Rettungswagen einzusteigen. Dann setzten sich noch ein
halbes Dutzend Carabinieri ins Auto, das mit hoher
Geschwindigkeit davonfuhr. Epilog Mussolini wurde in eine
Kaserne gebracht, zwei Tage später auf der Insel Ponza vor Gaeta
interniert, danach auf die Insel La Maddalena vor Sardinien überführt
und schließlich aus Angst vor einer Befreiungsaktion der Deutschen in
einer Berghütte auf dem Gran Sasso d'Italia, dem höchsten Berg
Mittelitaliens, untergebracht. Wenige Tage, nachdem sein
Nachfolger Badoglio, der erst den Krieg gegen die Alliierten fortgesetzt
hatte, in einen Waffenstillstand einwilligte, befreite ihn am 12.
September ein SS-Kommando. Nun wurde Mussolini Chef der
Italienischen Sozialrepublik, eines Vasallenstaats von Hitlers Gnaden
mit Sitz in Salo am Gardasee. Ende April 1945, in den letzten
Kriegstagen, wurde der Duce auf der Flucht in die Schweiz von
italienischen Partisanen gefasst und am folgenden Tag erschossen.
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