Sieben Morde und ein Rätsel |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 18.12.2010
Der Film "Von Menschen und Göttern" berichtet vom Leben der
sieben französischen Mönche, die 1996 in Algerien umgebracht wurden. Wer
aber waren die Mörder? Wer gab den Auftrag?
Der französische Präsident war erschüttert. Der Fall Tibhirine
werde nun Chefsache, versprach Nicolas Sarkozy Anfang Oktober. Zusammen
mit seiner Frau Carla Bruni hatte er sich im Elysée-Palast Xavier
Beauvois' preisgekrönten Film "Von Menschen und Göttern" angeschaut, der
das Drama der Entführung und Ermordung von sieben französischen Mönchen
in Algerien aufgreift und in dieser Woche in Deutschland angelaufen
ist. Es ist ein Spielfilm. Aber der Drehbuchautor orientierte sich an
der realen Geschichte: Im Kloster in Tibhirine, zwei Autostunden von der
algerischen Hauptstadt entfernt, lebten 1996 sieben französische
Trappistenmönche ein friedliches, asketisches Leben, in Eintracht mit
der muslimischen Bevölkerung des Ortes, bis sie vom Krieg eingeholt
wurden. Im Abspann des Filmes heißt es knapp: "Die Identität ihrer
Mörder und die Umstände ihres Todes bleiben ein Rätsel."
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Messias und Despot |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 11.12.201
Vor 20 Jahren wählte Haiti den Armenpriester Jean-Bertrand
Aristide zum Präsidenten. Er wurde von der Macht geputscht und wieder
gewählt. Doch das Regime des linken Befreiungstheologen endete in Chaos
und Gewalt
Erdbeben, Cholera, Wirbelstürme, Überschwemmungen - und nun die
Unruhen nach den manipulierten Wahlen. Auf Haiti scheint ein Fluch zu
lasten. Kein Lichtstreifen am Horizont, keine Hoffnung. Das war nicht
immer so. Vor 20 Jahren herrschte im Karibikstaat eine Aufbruchstimmung,
die sich Haitianer heute kaum noch vorstellen können. Die meisten
Haitianer glaubten, endlich dem Teufelskreis von Gewalt und Elend zu
entkommen. Nach 30 Jahren Diktatur von François und Jean-Claude Duvalier
- "Papa Doc" und "Baby Doc", während der mindestens 30000 Menschen
ermordet wurden, und nach fünf weiteren Jahren Militärherrschaft war der
Armenpriester Jean-Bertrand Aristide bei den ersten freien und fairen
Wahlen des Landes am 16. Dezember 1990 mit mehr als 67 Prozent der
Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Es war eine Zäsur in der
Geschichte Haitis. Nach der Herrschaft blutrünstiger Diktatoren, die das
Land gnadenlos ausgeplündert und immer nur in die eigene Tasche
gewirtschaftet hatten, versprach sich das Volk vom schmächtigen
Salesianerpater so etwas wie blühende Landschaften.
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Das Bild der Mutter |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 13.11.2010
Ein jüdischer Junge überlebt den Krieg im Versteck. Mit acht
erfährt er, dass seine Eltern tot sind. Mit 69 will er wissen, wer sie
waren.
Die Schrift ist trotz der Patina, die dem Stein eine moosgrüne
Farbe verleiht, gut lesbar. "Hier ruht in Gott mein theurer Gatte, unser
geliebter Vater Sigmund Sternau, geb. den 2. März 1847, gest. den 30.
Oktober 1895. Friede seiner Asche". Daneben das Grab von Meta Sternau,
geborene Lövenstein, geboren 1861, gestorben 1899. Vor der letzten
Ruhestätte des Ehepaars auf dem jüdischen Friedhof von Berlin-Weißensee,
steht ein Mann, das Haupt bedeckt mit einer Kippa. Mit den Füßen
scharrt er das Gestrüpp beiseite, vielleicht, um die Gefühle zu
verbergen, die ihn überwältigen. Schließlich beugt er sich vor, um mit
einem angefeuchteten Taschentuch den Vogeldreck vom Grabstein zu
entfernen. "Laisse ça, c'est la nature", sagt die Frau neben ihm leise.
"Lass das, es ist die Natur." Der Mann legt Kieselsteine auf die
Grabsteine. Es ist das Zeichen dafür, dass die Gräber noch besucht
werden, dass die Toten nicht vergessen sind.
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Wer erschoss Roque Dalton? |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 16.10.2010
Der bekannteste Schriftsteller El Salvadors wurde 1975 von der
Guerilla hingerichtet. Sein Sohn fordert Aufklärung und die Entlassung
eines der mutmaßlichen Mörder aus einem hohen Regierungsamt
Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen.
So dozierte der deutsche Philosoph Karl Marx, und zu dieser Erkenntnis
kam eines Tages auch Roque Dalton. Der größte Schriftsteller El
Salvadors schrieb 18 Bände Gedichte und Prosa sowie einen einzigen Roman
("Armer kleiner Dichter, der ich war"), sein Leben aber beendete er als
Guerillero. 1975, vier Tage vor seinem 40. Geburtstag, wurde er
erschossen - von seinen eigenen Genossen.
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Schatten und Zweifel |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 31.07.2010
Vor 30 Jahren forderte ein Bombenanschlag im Bahnhof von Bologna
85 Tote. Wer ihn verübt hat, ist trotz rechtskräftiger Urteile höchst
umstritten
Es ist Ferienzeit. Am Hauptbahnhof von Bologna, einem der
wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Italiens, herrscht reges Treiben, als
am Samstag, dem 2. August 1980, morgens um 10.25 Uhr, ein im Wartesaal
zweiter Klasse abgestellter Koffer explodiert. 23 Kilogramm Sprengstoff.
Ein Flügel des Bahnhofsgebäudes stürzt über dem Ancona-Chiasso-Express
auf Gleis 1 und einem Taxiparkplatz zusammen. 85 Tote und 200 Verletzte
werden gezählt. Ärzte und Krankenschwestern eilen aus dem Urlaub zu
Hilfe. Ein öffentlicher Bus wird für den Transport der Leichen
eingesetzt. Staatspräsident Sandro Pertini fliegt umgehend im
Hubschrauber an den Ort der Katastrophe und besucht die Verwundeten in
den Krankenhäusern. 30 Jahre nach dem blutigsten Attentat der
italienischen Nachkriegsgeschichte wird am Montag ganz Italien erneut
der Toten gedenken.
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Gründonnerstag in Caracas |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 17.04.2010
Mit einer Revolte in Venezuela begann vor 200 Jahren der Kampf
um ein freies Lateinamerika
Es war Gründonnerstag, der 19. April 1810, und der Gouverneur
von Caracas, Feldmarschall Vicente de Amparan, hatte um sieben Uhr früh
vor der Kathedrale den Stadtrat versammelt. Wie es die Sitte erforderte,
wollte man gemeinsam der Heiligen Messe beiwohnen. Doch da kam ein Bote
an und raunte dem Gouverneur zu, er werde im Rathaus erwartet, es sei
dringend. Amparan schritt also über den großen Platz, auf dem schon
außergewöhnlich viel Menschen aufgeregt diskutierten, zurück Richtung
Rathaus.
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