Kabale und Bohnen |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 11.08.2010
In Guatemala führt ein Schweizer den Verband der
Kaffeekooperativen an - mit Erfolg. Doch dann kommt ihm ein Mordfall in
die Quere
GUATEMALA-STADT. Nebel hängt in den Bergwäldern. Am Horizont
erheben sich majestätisch der rauchende Volcan de Fuego und sein längst
erloschener Zwillingsbruder Volcan de Agua, der Feuervulkan und der
Wasservulkan. Dunkle Kaffeesträucher klettern die Hänge hoch.
Acatenango, nur eine Autostunde von der guatemaltekischen Hauptstadt
entfernt, liegt in einer paradiesischen Landschaft. Doch der Alltag ist
mühsam. Männer mit den scharfkantigen Gesichtern der Nachfahren der Maya
schleppen schwere Bündel Brennholz durchs Dorf. Im Waschhaus schrubben
Frauen in traditioneller indianischer Tracht Bettlaken, Hemden, Röcke
und Hosen. Es ist eine Welt jenseits von Elektroherd und Waschmaschine. Im
unteren Teil des Dorfes aber ist die Moderne längst angekommen. Don
Florencio, Präsident der Kaffeekooperative von Acatenango, zeigt die
Verarbeitungsanlage, mit der die Kaffeekirschen geschält werden, die die
Familien der 301 Genossenschaftsmitglieder auf tausend Hektar Land von
Hand gepflückt haben, den Betonboden, auf dem sie an der Sonne
getrocknet werden, und die aus Brasilien importierten Maschinen, die für
die Trocknung sorgen, wenn die Sonne streikt. Die Schalen werden in
lange Tröge geworfen, in denen eine Tonne Würmer - Kilopreis 25 Dollar -
sie zu Kompost verdauen, mit dem danach die Kaffeesträucher gedüngt
werden. Don Florencio streift sich einen Handschuh über, greift in einen
Trog und hält dem Besucher eine Handvoll halbfertigen Kompost mit
einigen hundert roten oder kalifornischen Würmern unter die Nase.
Ziemlich unappetitlich, aber sehr gesund. "All dies haben wir Don Ulrich
zu verdanken", sagt er, "früher haben wir die Kaffeeschalen in den
Fluss geworfen und das Wasser verseucht." Bestechungsversuch mit
Folgen Ulrich Gurtner, 54 Jahre alt, hat sein Büro in
Guatemala-Stadt. Über seinem Schreibtisch hängen viele Fotos von
Verwandten und Freunden und auch eines von Jacobo Arbenz. Der war Sohn
eines Schweizers und 1951 zum Präsidenten Guatemalas gewählt worden. Er
hatte versucht, brachliegende Ländereien des mächtigen US-Konzerns
United Fruit Company zu verstaatlichen und wurde 1954 mit tatkräftiger
Hilfe der CIA gestürzt. Arbenz war kein Revolutionär. Er wollte bloß mit
einer Agrarreform das Elend der Campesinos mindern. Auch Ulrich
Gurtner ist Schweizer und kein Revolutionär. Nach Guatemala kam er 1982
als Repräsentant eines traditionsreichen Handelshauses mit Sitz in
Winterthur bei Zürich, das sich auf den Import von Kaffee und Kakao
spezialisiert hatte. Gurtner war damals 26 Jahre alt, hatte ein
Jurastudium und ein dreijähriges Praktikum bei einer Großbank hinter
sich. Gute Voraussetzungen für den neuen Job in Guatemala, dem Land, das
weltweit drittgrößter Exporteur von Kaffee ist. Es war sein erster
Arbeitsplatz im Ausland. Er gewöhnte sich an vieles. Andere Länder,
andere Sitten. Dennoch war Gurtner völlig überrascht, als ihm 1986
eines Tages die Exportlizenz entzogen wurde. Noch mehr erstaunte ihn,
dass kurz danach die Anacafe, der mächtige Verband der
Kaffeeproduzenten, ihn über Mittelsmänner aufforderte, 300 000 Dollar zu
entrichten. Es war pure Erpressung. Ihm war klar: Würde er bezahlen,
dürfte er wieder exportieren. Was tun? "Ich setzte mich mit meinem
Handelshaus in der Heimat in Verbindung", berichtet der Schweizer, "man
riet mir ziemlich unverblümt, die lokalen Sitten zu respektieren." Doch
Gurtner ließ sich von seinem moralischen Kompass leiten. Er zahlte
nicht. Sein Arbeitgeber dankte ihm die Standhaftigkeit mit einer
Kündigung. Schon kurz danach hagelte es Todesdrohungen. Gurtner verließ
das Land. Damit hätte die Geschichte ein Ende haben können. Doch
Ulrich Gurtner hatte eine kleine Tochter in Guatemala. Also kam er schon
bald zurück. Er fand eine Anstellung als Berater von Fedecocagua, deren
demokratisch gewählter Geschäftsführer er seit 1998 ist. Die
Fedecocagua ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in der sich
über hundert Kooperativen mit insgesamt mehr als 20 000 Familien von
Kaffeepflanzern zusammengeschlossen haben. Der Verband sorgt für den
Zugang zu Krediten, für technische Beratung, oft auch - wie in
Acatenango - für eine rudimentäre Gesundheitsversorgung und vor allem
für den Vertrieb der Produkte. Lastwagen von Fedecocagua transportieren
den Kaffee nach San José und Puerto Barrios, zu den Häfen Guatemalas am
Pazifik und am Atlantik. Jeder Lkw wird von zwei bewaffneten
Privatpolizisten begleitet. Nicht selten kommt es zu Raubüberfällen. Ulrich
Gurtner sieht die Armut und die Ungerechtigkeit im Land, er kennt die
Herrschaftsstrukturen, und er will etwas verändern, nicht als Politiker,
da mischt er sich nicht ein, und schon gar nicht als Bauernführer. "Ich
bin Unternehmer mit sozialer Verantwortung", sagt er, "der Kaffee
bringt keinen Gewinn mehr, die Verluste gleiche ich an der Börse aus.
Sie können es Spekulation nennen." Ein Spekulant mit sozialer Ader. "Ich
habe schon oft schlaflose Nächte gehabt", sagt Gurtner, der die
Fedecocagua geschickt durch schwierige Zeiten gesteuert hat, und man
glaubt es ihm. Die Fedecocagua ist eine Erfolgsgeschichte. Vor
über 40 Jahren gegründet, hat sie Diktatur und Krieg überlebt und ist zu
einem beachtlichen Wirtschaftsfaktor geworden. Sie verfügt über die
modernsten Kaffeeverarbeitungsanlagen. Obwohl der Staat die Coyotes, die
Hyänen, wie die Kaffeeaufkäufer genannt werden, steuerlich begünstigt,
ist es Fedecocagua gelungen, im harten Konkurrenzkampf mitzuhalten. Im
vergangenen Jahr hat sie für 55 Millionen Dollar Kaffee exportiert. Etwa
die Hälfte davon war zertifiziert: Starbuck's, Nespresso, Fair Trade.
Mit Zertifikaten erhält man höhere Preise, ist aber an strikte Auflagen
gebunden. "Bei Fair Trade sind es 61 Bestimmungen", erklärt Gurtner,
"wir müssen jetzt auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum Thema
machen." Der Erfolg von Fedecocagua schafft nicht überall Freude.
Bei Anacafe, dem von den Kaffeebaronen kontrollierten Verband der
Kaffeeproduzenten, dem auch Fedecocagua angehört, wittert Gurtner
Missgunst. Bis im vergangenen November wurde Anacafe von Christian Rasch
geleitet. Der schwerreiche Deutsche, Repräsentant der Besitzer großer
Plantagen, und der engagierte Schweizer, Vertreter der Kooperativen von
Kleinpflanzern, hatten das Heu nicht auf demselben Boden, wie man in
Gurtners Heimat sagt - es gab viel Zwist zwischen den beiden. Im
vergangenen Jahr dann beschlagnahmte die Polizei bei Fedecocagua
Computer und Dokumente. Dahinter steckte - so mutmaßt Gurtner - der
Anacafe-Präsident Rasch. Rasch war sehr eng mit Rodrigo Rosenberg
befreundet, einem Rechtsanwalt, der im Mai des vergangenen Jahres
erschossen wurde. Am Tag nach dem Mord tauchte ein aufsehenerregendes
Video auf. "Mein Name ist Rodrigo Rosenberg", sprach da der 48-jährige
Anwalt, "falls Sie diese Botschaft vernehmen, dann deshalb, weil ich vom
Privatsekretär des Präsidenten mit dessen Einverständnis ermordet
worden bin." Zehntausende zogen danach durch die Straßen der Hauptstadt
und forderten den Rücktritt von Präsident Álvaro Colom. Inzwischen
ist der Mordfall, der beinahe zu Coloms Sturz geführt hätte,
aufgeklärt. Rosenberg, offenbar nach der Ermordung seiner Geliebten von
einer schweren Depression heimgesucht, hatte zwei befreundete
Unternehmer gebeten, Killer anzuheuern, um einen Mann aus dem Weg zu
schaffen, der ihn erpresse. Die beiden Freunde taten ihm den Gefallen
und teilten dem Anwalt auch die Nummer eines gedungenen Killers mit.
Rosenberg telefoniert mit diesem, beschrieb ihm, wie der angebliche
Erpresser gekleidet sei - kurze blaue Hose, blaues T-Shirt, weiße Schuhe
- und zu welcher Zeit er in der Regel an einer bestimmten Straße der
Hauptstadt auftauchte. Dann setzte er sich in kurzer blauer Hose, in
blauem T-Shirt und weißen Schuhen zur richtigen Zeit an diesen Ort und
ließ sich erschießen. Es war gewissermaßen ein bestellter Selbstmord auf
Umwegen. Einer der Mörder packte aus. Die anderen fünf wurden im
vergangenen Monat in erster Instanz zu 38 Jahren Haft verurteilt. Rosenberg
wollte aus dem Leben scheiden und bei dieser Gelegenheit auch noch dem
Präsidenten eins auswischen. Sein Tod sollte nicht umsonst sein. In
seinem Video bezichtigte der Anwalt den gemäßigt linken Präsidenten,
seine Geliebte ermordet zu haben. Der Banrural, der drittgrößten Bank
des Landes, warf er Geldwäsche und Hinterziehung öffentlicher
Subventionen vor, und Gerardo de León, den Marketing-Chef von
Fedecocagua, bezeichnete er als Dieb und Mörder. Die Rede, abrufbar auf
Youtube, war eine Suada gegen alle, mit denen sein Intimus, der
Anacafe-Chef Rasch, über Kreuz lag. Die Beschuldigungen waren
völlig haltlos, zeitigten aber Folgen. Innerhalb einer Woche wurden von
der Banrural, die gemeinhin als einzige sauber wirtschaftende Großbank
gilt und die vor allem Kleinbauern und auch Fedecocagua Kredite gewährt,
umgerechnet 170 Millionen Euro, ein Zehntel der Bilanzsumme, abgezogen,
was sie an den Rand des Ruins trieb. Aufgrund des Videos
ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die Bank. Sie fand nichts
Belastendes und stellte die Untersuchungen ein. Bei Fedecocagua wurden
auf der Suche nach Indizien für Mordpläne und Geldwäsche Computer und
Geschäftsunterlagen beschlagnahmt - und all dies bloß, weil der
todessüchtige Rechtsanwalt den Marketing-Chef des Verbands im Video
zitiert hatte. "Dessen Namen hat ihm Rasch gesteckt", vermutet Gurtner,
"Rosenberg und de León kannten sich jedenfalls nicht." Empörter
Protest Der Schweizer protestierte bei der Cicig, der
UN-Sonderkommission, die in Guatemala vor allem die Verwicklung von
Sicherheitskräften in Verbrechen und Korruption untersucht und auch bei
der Durchsuchung des Büros von Fedecocagua zugegen war. "Weder die
Staatsanwaltschaft noch die Cicig haben uns mitgeteilt, was sie denn bei
Fedecocagua überhaupt suchen", schrieb Ulrich Gurtner empört und ließ
seinen Brief auch den zwei Dutzend Botschaften und Konsulaten im Land
zukommen. Gefruchtet hat der Protest nichts. Die Unterlagen des Verbands
der Kaffeekooperativen liegen noch immer irgendwo bei der
Staatsanwaltschaft. "Wie aber", sagt Ulrich Gurtner, "soll ich auf der
Jahresversammlung von Fedecocagua Rechenschaft abgeben, einen
Jahresbericht vorlegen, wenn ich keine Unterlagen habe?" Die
Kaffeepflanzer von Acatenango sehen da keine Probleme. "Don Ulrich hat
unser Vertrauen", sagt Don Florencio, der die Kooperative von Acatenango
mitgegründet hat, deren Präsident er nun ist, "der hat doch schon ganz
andere Probleme gemeistert." Auch in der zentralen
Kaffeeverarbeitungsanlage von Fedecocagua 20 Kilometer außerhalb der
Hauptstadt, wo die roten Kaffeekirschen gewaschen, maschinell geschält,
gehäutet, fermentiert, getrocknet und gelagert werden, hört man nur
Gutes über Don Ulrich. Der Chef ist sehr beliebt. Pedro, einer der 18
Agronomen und technischen Hilfskräfte, sagt, ohne ihn gäbe es
Fedecocagua wohl nicht mehr. Augusto, der in der größten Halle, wo auf 3
100 Quadratmeter 85 000 Zentner Kaffee gelagert werden, den
Gabelstapler fährt, meint nur: "Tiene huevos" - er hat Eier, was so viel
heißt wie: der Mann hat Mut und lässt sich so schnell schon nicht
unterkriegen. Vor drei Jahren hat die Fedecocagua die Fundación
Ulrich Gurtner gegründet, eine Stiftung, die den Kooperativen
Baumaterial für Schulen und Krankenstationen zur Verfügung stellt.
Gurtner selbst hat zumindest formell in der Stiftung nichts zu sagen. Er
sitzt weder im Vorstand noch im Beirat. Auf der Website der Stiftung
heißt es: "Aufgrund einer demokratisch gefällten Entscheidung nannte man
die Stiftung nach dem Geschäftsführer der Fedecocagua, als Anerkennung
für die Zeit und Energie, die Ulrich zugunsten der kleinen
Kaffeeproduzenten Guatemalas investiert hat." Und Ulrich Gurtner?
Hat er nicht ab und zu Lust, den ganzen Bettel hinzuschmeißen, sich
nicht weiter mit korrupten Behörden herumzuplagen, nicht ständig gegen
bürokratische Hürden anzurennen und sich in die Schweiz abzusetzen? "Ich
kann doch nicht einfach das Handtuch werfen", meint Gurtner, "ich muss
mich gegenüber 20 000 Familien von Kaffeepflanzern verantworten. Ich bin
ein Unternehmer mit sozialer Verantwortung." Er sagt es ohne jedes
Pathos. |