Thomas Schmid, Frankfurter Rundschau, 22.05.2014
Die Bundesregierung hat recht, wenn sie in ihrem neuen Strategiepapier schreibt: „Afrika ist ein
Kontinent im Aufbruch.“ Was das
Wirtschaftswachstum betrifft, hat Afrika alle andern Erdteile abgehängt. In dem
Teil des Kontinents, der südlich der Sahara liegt und der gemeinhin
„Schwarzafrika“ genannt wird, wuchs das Bruttoinlandsprodukt in den meisten
Staaten jährlich um fünf bis zehn Prozent. Afrika hat riesige Rohstoffvorkommen.
Und der Appetit auf seine Bodenschätze, sein Erdöl, seine Diamanten, sein Kobalt
und Bauxit ist gewaltig. Viele afrikanische Staaten haben vom Boom der
Rohstoffpreise profitiert. „Afrika ist ein Kontinent der Zukunft und der
Chancen“, heißt es im Strategie-Papier. Gewiss. Bloß stellt sich die Frage, ob
es diese Chancen wahrnimmt, wahrnehmen kann, wahrnehmen will.
Das neue Afrika-Konzept der Bundesregierung soll künftig
frühzeitig helfen, bewaffnete Konflikte zu vermeiden. Nur wenige Stunden bevor
das Strategie-Papier im Kabinett verabschiedet wurde, töteten in Nigeria zwei
Autobomben 118 Menschen. Und die
nigerianische Terrororganisation Boko Haram, was so viel heißt wie „Bücher sind
Sünde“, hält noch immer 223 Mädchen fest, die sie vor über einem Monat aus einer Schule verschleppt hat. Auf einem
Antiterrorgipfel in Paris vereinbarten die Präsidenten fünf afrikanischer
Staaten am Samstag einen Aktionsplan gegen den Terror. Am Dienstag fand ein weiterer Gipfel statt.
Diesmal in Oslo. Auf einer Geberkonferenz wurden dem Südsudan zu den bereits zur Verfügung gestellten 536
Millionen Dollar zusätzliche 600 Millionen zugesagt – die Hälfte von dem, was
die Uno für nötig hält, um vier
Millionen Menschen mit Lebensmitteln, Medikamenten und Unterkünften zu
versorgen. Der Krieg hat schon über 10.000 Menschen das Leben gekostet. Jetzt
droht eine riesige Hungerkatastrophe, weil Millionen von Bauern nicht aussäen
konnten oder geflohen sind.
Zwischen dem Südsudan und Nigeria liegt die
Zentralafrikanische Republik, ein zerfallender Staat, wo christliche Milizen
trotz der Präsenz von 5.000 Soldaten der Afrikanischen Union und 1.600 französischen Soldaten systematisch
die muslimische Bevölkerung vertreiben. Selbst da, wo man meinte, die Europäer hätten für Ruhe gesorgt, meldet
sich der Krieg zurück: In Mali eroberte die Tuareg-Guerilla der MNLA am
Wochenende in Kidal, der wichtigsten Stadt im Nordosten des Landes, das Gebäude des Provinzgouverneurs und nahm –
vorübergehend – 28 Regierungsbeamte als Geiseln.
Vier Länder, vier Katastrophen. Alle weitgehend hausgemacht.
Nigeria ist dank riesiger Erdölvorkommen der Staat mit dem höchsten
Bruttoinlandsprodukt ganz Afrikas. Aber die meisten Menschen sind arm, weil
das Öl vor allem die Klientel schmiert,
die die Macht sichert. Im muslimisch geprägten Norden ist es Boko Haram
gelungen, ungebildete, frustrierte Männer zu rekrutieren und eine
antichristliche Miliz zu formen, die inzwischen auch im benachbarten Kamerun
Terror verbreitet und offenbar mit islamistischen Milizen in Mali kooperiert.
Im Südsudan wurde ein Konflikt zwischen dem Präsidenten und
seinem früheren Vize, bei dem es um die politische Macht ging, erfolgreich in
eine militärische Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Ethnien überführt.
Tausende Menschen wurden massakriert, Millionen vertrieben.
In der Zentralafrikanischen Republik, wo vor einem Jahr
muslimische Milizen den christlichen Präsidenten aus dem Amt putschten, üben
nun die christlichen Milizen grausame Rache. In Mali gelang es den Franzosen im
vergangenen Jahr, den zunächst von
Tuareg und dann von Islamisten kontrollierten Norden des Landes
zurückzuerobern. Aber die Islamisten, die sich aus dem Drogengeschäft - der Transit des südamerikanischen Kokains
nach Europa verläuft über Westafrika - und über Lösegelder für die Freilassung
entführter Personen finanzieren, haben sich nur in ihre Verstecke in den Weiten
der Wüste zurückgezogen.
Zerfallende Staaten erleichtern das kriminelle Geschäft
islamistischer Terroristen. Sie produzieren zudem Flüchtlingsströme. Auch
Europa hat deshalb ein Interesse an einer Stabilisierung der Sahelzone. Die
Länder brauchen Hilfe von außen – humanitäre Hilfe zur Verhinderung von
Hungersnöten. Und auch militärische: Nur französischen Soldaten hat die die
Bevölkerung Nordmalis ihre Befreiung von der Herrschaft islamistischer
Terroristen zu verdanken. In Zentralafrika können ausländische Soldaten ein
zweites Ruanda verhindern. Dass sich auch deutsche Soldaten an der Ausbildung
der malischen Streitkräfte und an der EU-Militärmission in der
Zentralafrikanischen Republik beteiligen, ist deshalb zu begrüßen.
Denn ein Ende von Terror ist die wichtigste Voraussetzung für eine Befriedung der Gesellschaften. Die
Aussöhnung der nach Krieg und Massaker verfeindeten ethnischen oder religiösen
Gemeinschaften aber kann nicht von außen aufoktroyiert werden. Die Lösung muss in diesen Ländern selbst
heranwachsen. Sie wird viel Zeit in Anspruch nehmen - eher Jahrzehnte als
Jahre.
Copyright: Berliner Zeitung
|