Thomas Schmid, Frankfurter Rundschau, 10.08.2015
Die Gläubiger bescheinigen den Schuldnern gute Zusammenarbeit.
Der deutsche Finanzminister aber meldet Skepsis an. Ob dies in der Sache
begründet ist oder ob Schäuble weiterhin auf ein Scheitern und einen Grexit
setzt, weiß wohl nur er selbst. In Brüssel wird man jedenfalls aufatmen, wenn
das dritte Memorandum of Understanding über Kredite in Höhe von 86 Milliarden
Euro in den nächsten zehn Tagen über die Bühne geht. Und auch in Athen. Bis zum
20. August muss Griechenland der Europäischen Zentralbank (EZB) 3,2 Milliarden
Euro überweisen, die es zur Zeit nicht hat. Andernfalls muss eben eine
Überbrückung gefunden werden. Doch auch wenn alles gut läuft, wenn Griechenland
Geld erhält und im Gegenzug seine Hausaufgabe erledigt, um im paternalistischen
Jargon der Gläubiger zu sprechen, ist ein Grexit keineswegs ausgeschlossen.
Denn selbst wenn Griechenland seine Verteidigungsausgaben
kürzt, wenn es die Subventionen für die Bauern schrittweise abbaut, wenn es die
Monopolstrukturen in den freien Berufen und im Dienstleistungsgewerbe
aufbricht, wenn es aus der Privatisierung von Staatsvermögen – wie vorgesehen,
aber völlig unrealistisch - 50 Milliarden Euro erwirtschaftet, wenn es
sämtliche andern Auflagen erfüllt, wird es in drei Jahren – nach Ablauf der
zeitlich gestaffelten Hilfe – noch tiefer im Schuldensumpf stecken als heute.
Die Schuldenquote, die schon jetzt schwindelerregende 175 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts beträgt, dürfte in zwei Jahren schon – laut Schätzungen
des Internationalen Währungsfonds (IWF) – auf 200 Prozent klettern. Dann wird
es um ein viertes Hilfspaket gehen. Oder eben Grexit. Oder doch
Schuldenschnitt?
Oft heißt es, Länder wie Portugal Irland oder Lettland
hätten es doch auch geschafft, sich über eine Austeritätspolitik wirtschaftlich
zu sanieren. Doch keinem dieser Länder wurde eine solch rabiate Kürzung
öffentlicher Ausgaben aufgezwungen wie Griechenland. Zudem haben jene Staaten,
die den Griechen nun als Musterknaben vorgehalten werden, eine relativ hohe
Exportquote. Die Sparpolitik erleichtert ihnen, sich über eine Exportoffensive
quasi gesundzustoßen. In Griechenland hingegen, das nur wenig exportiert,
schlägt eine Sparpolitik schnell als massiver Verlust an Massenkaufkraft zu
Buche und wirkt rezessionsfördernd.
Gewiss, Griechenlands faktischer Bankrott von 2010 war
selbst verschuldet. Aber das Hilfsprogramm, das die Troika von Europäischer
Kommission, EZB und IWF, dem Land oktroyiert hat, rettete eben vor allem die
deutschen und französischen Großbanken, Hellas hingegen führte es in eine
dramatische Rezession – eine so dramatische, dass in Griechenland inzwischen
Hilfsorganisationen tätig sind, die sonst nur in Ländern der Dritten Welt
Katastrophenhilfe betreiben. Dass die Austeritätspolitik nicht zielführend war,
hat der IWF schon vor zwei Jahren eingestanden. Und jetzt fordert er, was der
vor einem Monat zurückgetretene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis,
der Professor mit Lederjacke, Motorrad und Helm penetrant und völlig zurecht
immer eingeklagt hatte: einen Schuldenschnitt.
Ohne Schuldenschnitt beteiligt sich der IWF, wie seine
Präsidentin Christine Lagarde in aller Deutlichkeit gesagt hat, an keinem
dritten Hilfspaket. Er darf es nach seinen eigenen Statuten auch gar nicht,
solange die Schuldtragfähigkeit des Schuldners nicht gegeben ist. Bundeskanzlerin
Angela Merkel will von einem Schuldenschnitt nichts wissen. Will sie aber einen
Grexit tatsächlich ausschließen, wird sie nicht umhinkommen, das Unwort
auszusprechen und ihrer Fraktion, die ihr die Gefolgschaft in Sachen
Griechenland zu einem großen Teil verweigert, eine Diskussion über einen Schuldenschnitt
zuzumuten. Man wird ihn als Schuldenrestrukturierung tarnen. Man wird wohl die
Rückzahlungsfristen um Jahrzehnte verlängern, die Zinssätze gegen null drücken,
was dann im Resultat einem Schuldenschnitt weitgehend gleichkäme.
Auf dieser Basis könnte nach einer schnellen
Rekapitalisierung der Banken und über europäische Investitionsprogramme eine
Wiederbelebung der griechischen Realwirtschaft gelingen – sofern Griechenland
seinen Teil dazu beiträgt und dringend notwendige Strukturreformen durchsetzt.
Die von Tsipras geführte Linksregierung hat diesbezüglich in den ersten Monaten
vieles verschlampt, aber in den letzten Monaten dann doch mehr geleistet als
all ihre Vorgängerregierungen in den letzten fünf Jahren zusammen.
Ein beträchtlicher Teil der Parlamentsfraktion von Syriza,
der Regierungspartei, setzt auf eine Rückkehr zur Drachme und wird in den
kommenden Tagen Tsipras die Zustimmung zu einem dritten Hilfspaket verweigern.
Eine Parteispaltung ist absehbar – und auch Neuwahlen. Der in Griechenland
trotz seiner „Kapitulation“ vor den Gläubigern weiterhin populäre Tsipras wird
sie aller Voraussicht nach gewinnen, wenn nicht ein Grexit das Land vorher in
den Abgrund stürzt. Wer Tsipras nicht will, muss den Grexit wollen, könnte man
daraus im Umkehrschluss folgern.
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