Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 26.01.2015
Für die einen ist er ein Scharlatan, ein wirtschaftspolitischer
Geisterfahrer, für die anderen ein Messias, der Griechenland, ja ganz
Europa retten kann: Alexis Tsipras, der 40-jährige charismatische Chef
der Linkspartei Syriza, der wie erwartet die Wahl am Sonntag gewonnen
hat. Der Mann, der manchmal die Ausstrahlung eines rotzfrechen Bengels
hat, manchmal aber wie Mamas liebster Schwiegersohn daherkommt, mischt
die europäische Politik auf. Er konnte die Griechen begeistern, Hoffnung
verbreiten. Neben ihm sahen alle alt aus.
Geboren wurde Tsipras vier Tage nach dem Sturz der Militärdiktatur im
Sommer 1974 in Athen. Schon als 15-Jähriger trat der im bürgerlichen
Milieu der Hauptstadt aufgewachsene Alexis der Kommunistischen Jugend
bei. Als 1990/1991 in Griechenland Schüler und Studenten gegen die
Zulassung privater Universitäten auf die Straßen gingen, hatte er seinen
ersten großen Auftritt. In einer Talkshow forderte er die Schüler auf,
die Schule zu schwänzen.
Der jugendliche Rebell schrieb sich an der Technischen Universität Athen
ein, studierte Ingenieurwesen und arbeitete danach in einer Baufirma.
Gleichzeitig strickte er an seiner politischen Karriere. 1999 wurde er
Jugendsekretär von Synaspismos, einer reformkommunistischen Partei, von
der sich die dogmatisch kommunistische KKE abgespalten hatte. 2004
bildete Synaspismos zusammen mit zahlreichen Grüppchen aus dem grünen,
trotzkistischen und maoistischen Spektrum das Bündnis Syriza.
2006 wurde Tsipras in den Stadtrat von Athen gewählt - sein erstes
öffentliches Amt. Bei der Direktwahl zum Oberbürgermeister der
Hauptstadt kam der damals 32-Jährige auf der Liste "Offene Stadt" mit
10,5 Prozent auf den dritten Platz.
Zwei Jahre später setzte sich Tsipras bei der Wahl des Vorsitzenden von
Synaspismos, der bei Weitem stärksten Kraft im Bündnis Syriza, gegen den
moderateren Fotis Kouvelis durch und war damit faktisch auch Chef von
Syriza. Ein Jahr danach, im Oktober 2009, wurde er ins Parlament gewählt
und führte schon bald deren Fraktion an. Damals hatte Syriza spärliche
4,6 Prozent der Stimmen erreicht. Die sozialdemokratische Pasok hingegen
hatte mit 44 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze gewonnen.
Ihren kometenhaften Aufstieg von einer linken Splitterpartei zur
stärksten politischen Kraft im Land hat Syriza der wirtschaftlichen
Krise zu verdanken. Pasok- und Regierungschef Giorgos Papandreou konnte
bereits im Frühling 2010 den Staatsbankrott nur noch mit Krediten der
Troika von EU, EZB und IWF abwenden. Diese drückte den Griechen ein
rigides Sparprogramm auf. Im November 2011 trat Papandreou zurück. Bis
zu den Wahlen im Mai 2012 leitete danach der unabhängige Loukas
Papadimos ein Übergangskabinett.
Von der Pasok, die das weithin verhasste "Diktat" der Troika akzeptiert
hatte, enttäuscht, liefen zahlreiche ihrer traditionellen Wähler zu
Syriza über. Vor allem aus der von den Sparmaßnahmen hart gebeutelten
Mittelschicht fanden viele bei ihr eine neue politische Heimat.
Tsipras wurde zum Senkrechtstarter, zum Hoffnungsträger, zum Politstar.
Im Mai 2012 erreichte seine Syriza 16,8 Prozent.
Als keine Regierung
gebildet werden konnte und im Juni noch einmal gewählt wurde, gewann
Tsipras' Partei sensationelle 26,9 Prozent und landete als zweitstärkste
Kraft nur knapp hinter der konservativen Nea Dimokratia, deren
Parteichef Antonis Samaras mit dem Wahlverlierer Pasok eine Koalition
einging und Regierungschef wurde. In der Opposition hatte Samaras bis zu
den Wahlen das "Diktat" der Troika zurückgewiesen. Nach den Wahlen aber
setzte er es durch. Das trieb dem zum Oppositionsführer avancierten
Tsipras weitere Anhänger zu. Bei den Wahlen zum Europaparlament im Mai
2014 wurde Syriza stärkste Partei des Landes.
Seit Jahren malen die alten Parteien, die die dramatische
Wirtschaftskrise zu verantworten haben, ein Schreckgespenst an die Wand:
Unter einer von Tsipras geführten Regierung würde Griechenland keine
Kredite mehr erhalten, würde bankrott gehen, müsste die Euro-Zone
verlassen und zur Drachme zurückkehren, würde in Chaos und Elend
versinken.
Die Griechen scheinen solche Kassandrarufe nicht übermäßig zu ängstigen,
zumal Tsipras in den letzten Monaten etwas moderatere Töne anschlägt.
Vor zwei Jahren noch versprach er, die Memoranden, in denen die
Griechenland "diktierte" Sparpolitik festgehalten sind, in der Luft zu
zerreißen und die Rückzahlung der Schulden sofort einzustellen. Jetzt
will er Bedingungen für eine Rückzahlung aushandeln, "die nicht dazu
führen, ein Land in der Rezession zu ersticken, und die die Menschen
nicht in die Verzweiflung und Armut treiben". Im Übrigen spricht sich
Tsipras seit Jahren unmissverständlich für den Verbleib Griechenlands in
der Eurozone aus.
Alexis Tsipras ist charmant und eloquent, ein äußerst begabter Redner.
Aber wenn es um sein Privatleben geht, ist er sehr verschwiegen. Er lebt
unverheiratet mit seiner Partnerin, einer IT-Ingenieurin, zusammen. Die
beiden haben zwei Söhne. Außerdem liebt er Motorräder und verabscheut
Krawatten. Viel mehr ist nicht bekannt.
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