Sechs Wörter, die die Schweiz erschüttern |
Die Eidgenossen stimmen am Sonntag darüber ab, ob der Bau von Minaretten künftig verboten wirdThomas Schmid, Berliner Zeitung, 28.11.2009ALTNAU.
Auch in Altnau ist der Kulturkampf angekommen. Das Dorf mit seinen 2
000 Einwohnern liegt in einer friedlichen Landschaft, inmitten von
Obstplantagen, am schweizerischen Südufer des Bodensees. Im
schmucklosen Martinssaal der katholischen Kirchgemeinde haben sich
knapp 50 Personen versammelt, um dem Streit beizuwohnen. Es geht um
sechs Wörter. Sechs Wörter, die die Schweiz erschüttern: "Der Bau von
Minaretten ist verboten." Am Sonntag wird das Volk darüber abstimmen,
ob der Satz in die Verfassung aufgenommen wird. Am Saaleingang wird ein
Plakat verteilt. Es zeigt eine Schweizer Fahne, auf der sieben schwarze
Minarette wie Raketen in den Himmel ragen, daneben eine völlig
verschleierte Frau, die durch einen Sehschlitz blickt - nicht züchtig
zu Boden, sondern herausfordernd dem Betrachter direkt ins Gesicht. Zwei
prominente Politiker sind nach Altnau gekommen: Walter Wobmann, 52,
Präsident der Volksinitiative "Für ein Verbot von Minaretten" und
Mitglied des Nationalrats, der großen Kammer des Schweizer Parlaments.
Er gehört der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP)
an. Sein Kontrahent ist der Sozialdemokrat Andreas Gross, 57, ebenfalls
Mitglied des Nationalrats, zudem auch Mitglied der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates, einer der profiliertesten Politiker der
Schweiz. Das Gespenst der Scharia Nur die SVP, stärkste
Partei des Landes, und die kleine Eidgenössische Demokratische Union,
in der sich Fundamentalisten tummeln, die die biblische Schöpfungslehre
wörtlich nehmen, stehen hinter der Initiative, die der "schleichenden
Islamisierung" der Schweiz Einhalt gebieten will. Sämtliche andere
Parteien haben sich - wie auch die Regierung, die beiden Landeskirchen,
die Jüdische Gemeinde, Gewerkschaften und Unternehmerverbände - gegen
das Ansinnen ausgesprochen. Trotzdem könnte es knapp werden. In der
Schweiz, wo 21 Prozent der Einwohner Ausländer sind - ein Viertel unter
ihnen Muslime -, ist latente Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet und
die Rechtspopulisten wissen die Angst vor dem Anderen virtuos zu
bedienen. "Mit dem Bau von Minaretten formuliert der Islam seinen
Machtanspruch", eröffnet Wobmann die Debatte, "steht einmal das
Minarett, kommt danach der Muezzin mit dem Gebetsruf und am Schluss
haben wir hier die Scharia, das islamische Recht mit Zwangsehen,
Ehrenmord und Genitalverstümmelungen. Wir müssen den Prozess jetzt
stoppen, solange noch Zeit ist, bevor Tausende in der Burka
herumlaufen." Der gelernte Automechaniker, der heute als Verkaufsleiter
arbeitet - in der Schweiz tagt das Parlament nur zwölf Wochen im Jahr
-, spricht vielen der Anwesenden aus der Seele. "Die wollen sich doch
gar nicht anpassen", meint einer. "Weshalb sollen wir Moscheen
zulassen, solange die in ihren Ländern Kirchen verbieten?", fragt ein
anderer in die Runde. Da hat es der Politologe Gross nicht
einfach. Er ist offenbar ein anderes Niveau gewohnt. Vergeblich
versucht er, den Zuhörern den Unterschied zwischen Assimilation, die
tendenziell immer die Aufgabe der eigenen Identität bedeutet, und
Integration, die auch den Einheimischen etwas abfordert, zu erklären.
Soll es für den bosnischen Muslim in der Schweiz keine Moschee geben,
bloß weil ein Potentat am Golf keine Kirche zulässt? Dann würden doch
Diktatoren im Ausland letztlich bestimmen, wie die demokratische
Schweiz mit ihren Muslimen umgeht? Gross hat einen wunden Punkt
getroffen. Von Ausländern lässt man sich hier nicht gern reinreden.
Schweizer Politik wird in der Schweiz gemacht - nicht in Brüssel, schon
gar nicht am Golf. "Es gibt in der islamischen Welt viele
Moscheen ohne Minarette", wirft Wobmann in die Debatte, "und im Koran
steht ja überhaupt nichts von Minaretten, die kommen dort gar nicht
vor." Aber steht in der Bibel denn irgendetwas von Kirchtürmen? Weiß
Wobmann, dass in Saudi Arabien just extrem fundamentalistische Muslime,
vor denen er unablässig warnt, den Bau von Minaretten ablehnen, weil
sie streng nach dem Koran leben wollen, der von Minaretten tatsächlich
nichts wusste? Weiß er, dass in Lausanne, der zweitgrößten Stadt der
französischen Schweiz, die erste katholische Kirche erst 1830 gebaut
wurde - ohne Turm, weil der Bau eines solchen den calvinistischen
Platzhirschen zu weit gegangen wäre? In der Schweiz leben heute
ungefähr 350 000 Muslime. Es gibt etwa 200 Moscheen, in der Regel sind
es Gebetsräume in Privatgebäuden, Lagerhallen oder Garagen. Nur vier
Moscheen haben Minarette: Die älteste von ihnen steht seit 1963 in
Zürich, eine weitere wurde 1978 in Petit-Saconnex bei Genf eingeweiht.
Ein drittes Minarett steht seit 2005 in der Industriestadt Winterthur,
und seit Januar gibt es ein viertes Minarett im 5 000-Einwohner-Dorf
Wangen: ein mit goldfarbenen Ornamenten und hellblauem Helm
geschmücktes weißes Türmchen, das auf das Ziegeldach eines ehemaligen
Gewerbegebäudes gepflanzt wurde. Ob nun ein fünftes Minarett in
Langenthal im Kanton Bern gebaut wird, steht in den Sternen. Die
Islamische Gemeinschaft des Städtchens reichte bereits 2006 ein
Baugesuch ein. Doch dann sammelten rechtsgerichtete Kreise 3 500
Unterschriften, um den Bau zu verhindern. Noch ist nichts entschieden.
Mutalip Karaademi, Präsident der Islamischen Gemeinschaft Langenthal,
ist empört: "Als vor drei Jahren die indischen Sikh hier im Ort einen
Tempel bauten, gab es überhaupt keine Diskussion. Wenn wir Muslime aber
." In der Tat: der unübersehbare blütenweiße Sikh-Tempel im
Stadtzentrum scheint niemanden zu stören. Der Wunsch nach einem kleinen
nur sechs Meter hohen Minarettchen in der Industriezone aber führt zu
hitzigen Debatten. Karaademi stammt aus Gostivar, einer
vorwiegend von Albanern bewohnten Stadt im Westen Mazedoniens. Die
Islamische Gemeinschaft, der er vorsteht, besteht vor allem aus
Albanern aus Mazedonien und aus dem Kosovo. Fast zwei Drittel der in
der Schweiz wohnhaften Muslime stammen vom Balkan, wo der Islam auf
eine lange Tradition der Toleranz zurückblicken kann. Weitere 20
Prozent kommen aus der Türkei, einem säkularisierten Staat. Eine kleine
Minderheit stammt aus dem Maghreb und dem Nahen Osten, und unter dieser
kleinen Minderheit mag es auch eine kleine Minderheit von
Fundamentalisten geben. "Sind wir Albaner der Schweiz aber
verantwortlich für ein Selbstmordattentat in Gaza, Pakistan oder
Afghanistan?" Der Gebetsraum der Islamischen Gemeinschaft
befindet sich im ersten Stock der ehemaligen Lagerhalle. Er ist in Grün
gestrichen, der Farbe des Propheten, hat wie jede Moschee einen Minbar
(Kanzel) und einen Mihrab (Gebetsnische), der den Gläubigen zeigt, in
welcher Richtung die Kaaba von Mekka liegt. "Einen eigenen Imam haben
wir nicht", sagt Karaademi, "wir können uns keinen leisten. Nur fürs
Freitagsgebet kommt einer von auswärts. Wir bezahlen ihm einen
Stundenlohn." "Die wollen bleiben" Der Vorwurf, das
Minarett sei "die Speerspitze der Scharia", wie die Rechtspopulisten
behaupten, nötigt dem Albaner nur ein müdes Lächeln ab. "Meine Kinder
kennen nicht einmal das Wort Scharia. Und weshalb soll meine Frau einen
Schleier tragen?" Das wirkliche Motiv der Initiative, die den Bau von
Minaretten verbieten will, steht wohl auf ihrer Website. "Wer Minarette
baut", heißt es dort, "will hier bleiben." So ist es. Die allermeisten eingewanderten Muslime wollen tatsächlich bleiben. Dass die Schweiz die Einwanderer benötigt, um die Wirtschaft am Laufen zu halten und die Renten zu sichern, steht unter Experten außer Frage. Der große Schweizer Schriftsteller Max Frisch stellte einst fest: "Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen" - Menschen, mit einem andern kulturellen Hintergrund, Menschen, die zu ihrem Gott beten wollen oder auch nicht. "Ein Minarett ist nicht Ausdruck einer versuchten Landnahme, wie die Wortführer der Initiative unterstellen", sagt Karadeemis, "sondern ein kulturelles, religiöses Symbol mit einer einfachen Botschaft: ,Wir sind bei euch angekommen.'."
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