Flieger, grüß mir die Sonne |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 14.05.2011
Psychiater, Abenteurer, Visionär - der Schweizer Bertrand
Piccard schickt sein Solarflugzeug auf eine Reise in die Zukunft. Erste
Station ist Brüssel
PAYERNE. Langer, schlanker Rumpf, zarte, zerbrechliche Flügel, federleicht. Wie eine riesige Libelle steht die silbergraue "Solar Impulse" in einem Hangar bei Payerne, der wichtigsten Basis der Schweizer Luftwaffe. Und vor dem Flugzeug, das mit einer Spannweite von 63,4 Metern so ausgreifend wie ein Airbus A-340 ist, hält der Mann eine Rede, der als erster ohne Kerosin, nur mit der Energie, die die Sonne so reichlich spendet, die Erde umrunden will: Bertrand Piccard. Publikum
um sich herum hat er keines, als er vor ein paar Tagen in dieser
grauen, schmucklosen Halle auftritt, ebenso wenig wie sein Testpilot
André Borschberg neben ihm. Die beiden diskutieren mit einer
Schulklasse, die im hundert Kilometer entfernten Genf sitzt und ihre
Fragen per Videokonferenz stellt. Piccard, 52 Jahre alt, ist ein
Mann, der schon rein äußerlich Erfolg ausstrahlt: durchtrainierter
Körper, kein Gramm Fett zu viel, stechend blaue Augen, der Blick eines
Forschers, der sich kühn dem Unbekannten stellt, oder der eines Arztes,
der tief in die Seelen der Menschen schaut. Er ist beides. Aber hier und
heute ist er Lehrer. "Es geht nicht darum, Rekorde zu brechen", doziert
er im Dress eines Sportpiloten, "sondern darum, unabhängig vom Öl zu
werden. Die fossilen Energien werden eines absehbaren Tages zur Neige
gehen. Wir müssen umdenken. Pioniergeist ist gefragt. Wagt etwas! Ihr
seid die Zukunft." Piccard, von Beruf Psychiater, gehört zu jenen
Menschen, die anderen Mut machen wollen. Borschberg ist da schon
etwas nüchterner. Er erzählt, wie er einmal ganz allein einen Tag und
eine Nacht, 26 Stunden lang, in der Solarmaschine geflogen ist. "Unten
vor dem Start war es 35 Grad heiß im engen Cockpit, oben - auf 8000
Meter Höhe - herrschte eine Innentemperatur von minus 20 Grad. Ich habe
von Sandwiches und Wasser gelebt, geschlafen habe ich nicht eine
Minute", sagt er und gerät dann doch ins Schwärmen, "es war wie ein
Traum, ein langer, langer Traum." Rekorde im Blut Etwas
kürzer sollte der Traum des Piloten gestern ausfallen, als André
Borschberg die "Solar Impulse" auf ihrem ersten internationalen Flug
steuerte, der sie von Payerne aus über Westdeutschland und Luxemburg
nonstop bis nach Brüssel führte. Mit einer Durchschnittsleistung von
etwa acht PS ist das mit 12000 Solarzellen bestückte Flugzeug ungefähr
so antriebsstark wie die Maschine der Gebrüder Wright vor mehr als
hundert Jahren beim ersten Motorflug der Geschichte. Nach 13-stündigem
Flug landete die "Solar Impulse" am Freitagabend in der belgischen
Hauptstadt. Das Ziel war mit Bedacht gewählt, hat doch die Europäische
Kommission die Patenschaft des Projekts inne. Ehrenwert ist sein
ökologischer Ansatz, aber natürlich will Bertrand Piccard mit der "Solar
Impulse" auch Rekorde brechen. Er hat es im Blut. Er entstammt einer
Pionier-Dynastie. Sein Großvater Auguste Piccard (1884-1962), befreundet
mit Albert Einstein, Marie Curie, Max Planck und Niels Bohr, hat als
Erster die Erdkrümmung mit eigenen Augen gesehen. Er stieg 1931 mit
einem Ballon in die Stratosphäre auf, in eine Höhe von 15785 Metern über
dem Meeresspiegel. Diesen Rekord brach er selbst später noch zweimal.
Jacques Piccard (1922-2008), Sohn von Auguste und Vater von Bertrand
Piccard, begab sich 1960 in einem Tauchgerät im Pazifischen Ozean auf
den Meeresgrund im Marianengraben, wo er eine Tiefe von 10916 Metern
erreichte, eine Weltbestmarke, die bis heute nicht unterboten wurde, und
die nur 118 Meter über der tiefsten bekannten Stelle des Weltmeers
überhaupt liegt. Inzwischen hat auch Bertrand Piccard selbst
einige Weltrekorde aufgestellt. Sein wohl wichtigster: Zusammen mit dem
Briten Brian Jones als Kopilot umrundete er 1999 im Ballon ohne
Zwischenlandung die Erde. Die beiden Pioniere starteten in der Schweiz
und landeten nach zwanzig Tagen und 45755 Kilometern in der ägyptischen
Wüste. So lange hatte noch niemand zuvor in der Luft geschwebt, so weit
hatte sich noch niemand treiben lassen. Zu zweit zwanzig Tage in
einer Kapsel, nicht viel größer als eine Telefonzelle, die an einem
Ballon hängt, Tag und Nacht, wie hält man das aus? "Wir hatten uns
darauf vorbereitet, unsere Differenzen zu akzeptieren", sagt Bertrand
Piccard, "Kommunikationsprobleme gibt es ja oft, wenn man versucht,
Ideen zu teilen. Es ging uns aber überhaupt nicht darum, den andern von
der eigenen Idee zu überzeugen und festzustellen, wer recht und wer
unrecht hat, sondern darum zu verstehen, weshalb der andere so denkt,
wie er denkt." Es ist einer der typischen Piccard-Sätze. Empathie, die
Fähigkeit, sich in die Lage des anderen zu versetzen, schreibt er groß. Bertrand
Piccard gehört zu denjenigen, die auf die Butterseite des Lebens
gefallen sind. Das sieht er auch selbst so. Wer hat schon das Glück, als
Kind zwei Jahre in der Nähe von Cape Canaveral zu wohnen und gemeinsam
mit Persönlichkeiten aus aller Welt von der VIP-Tribüne aus den Start
der Apollo-Raumschiffe zu verfolgen? Expedition ins Innere Auch
Wernher von Braun lernte er damals kennen. Der deutsche
Raketeningenieur, der zur Nazizeit in der Waffenschmiede Peenemünde die
berüchtigte V2 mitentwickelte und später Vater des Mondfahrtprogramms
der Nasa war, kam sogar in sein Kinderzimmer, sah auf dem Spieltisch die
"Weltgeschichte der Raumfahrt" liegen und schrieb eine Widmung ins
Buch: "Für Bertrand Piccard, der, wie ich hoffe, die Familientradition
der Piccards fortsetzen wird, sowohl den inneren als auch den äußeren
Raum zu erforschen". "Da gab es natürlich Druck von allen Seiten",
sagt Piccard, "ich musste besser sein als andere Kinder, das war oft
schwer. Als Träger eines solchen Namens erwartete man viel von mir." Der
junge Bertrand trat tatsächlich in die Fußstapfen des Vaters. Er begann
zu fliegen, zunächst nicht im Ballon, sondern mit Hängegleitern. Mit 16
Jahren durfte er sich bereits zu den Pionieren des Drachenfliegens
zählen. Später wurde er Europameister im Kunstflug. Mit seinem
Deltasegler flog er in den Alpen atemberaubende Loopings, Spins und
Wingovers. Doch anders als Vater und Großvater entschied sich
Bertrand Piccard nicht für den Beruf eines Physikers oder Ingenieurs. Er
begann ein Medizinstudium. "Sowohl den inneren als auch den äußeren
Raum zu erforschen", hatte ihn Wernher von Braun aufgefordert. Piccard
nahm sich den Ratschlag zu Herzen. Noch heute arbeitet er als
Seelendoktor in Lausanne. Doch das Solarprojekt und die vielen Vorträge,
die er weltweit hält, lassen ihm nur noch wenig Zeit für seine Praxis. Innenwelt
und Außenwelt gehören für Piccard, der sich jahrelang mit Taoismus und
auch mit chinesischer Kosmologie beschäftigt hat, bis heute zusammen.
"Meine Abenteuer haben mir als Arzt geholfen", sagt er, "und meine
ärztliche Kunst hat mir bei den Abenteuern geholfen. Das war immer
komplementär." Und das ist wieder einer seiner typischen Sätze. "Meine
Abenteuer haben mich gelehrt, das Unbekannte zu akzeptieren, die Zweifel
und die Fragezeichen zuzulassen", präzisiert er, "die meisten
Patienten, die mich aufsuchen, haben Angst vor dem Unbekannten, Angst
vor Veränderung, Angst vor Zweifeln. Diese Angst ist eine der größten
Quellen des menschlichen Leidens." Besser als sich mit Gewohnheiten
Gewissheiten verschaffen zu wollen, sei es, die Zone der Bequemlichkeit
zu verlassen. Das Risiko liebe er nicht, sagt der Mann der das
Risiko eingegangen ist, sich im Ballon über Ozeane treiben zu lassen.
Das Risiko sei der Preis, den man entrichten müsse, um aus den
Gewohnheiten auszubrechen. Fehlt ihm das Abenteuer nun, da er seine
Projekte vom Boden aus vorantreibt? "Manchmal träume ich davon, zur
Luftakrobatik zurückzukehren", sagt er, "aber das wäre egoistisch,
amüsant für mich, nutzlos für die anderen." Nützlich hingegen ist "Solar
Impulse", das Projekt, das er den Schülern über die Videokonferenz
vorstellt. Über Sponsoring hat Piccard zehn Millionen Schweizer
Franken - rund acht Millionen Euro - zusammengebracht. Hauptfinanziers
sind der belgische Chemiemulti Solvay, die Schweizer Firmen Omega und
Schindler sowie die Deutsche Bank. Das Geld muss für zehn Jahre reichen.
Zusätzliche Mittel spielt ihm die Idee ein, alle Solarzellen des
Flugzeuges einzeln zur Adoption anzubieten. Der Adoptivvater oder die
Adoptivmutter bekommt nicht einfach eine Zelle zugeteilt, sondern kann
sich seine/ihre persönliche Zelle im Internet aussuchen. Kostet 135
Euro. Über 2500 Zellen sind bereits vergeben. Wer höher einsteigen
möchte, kann seinen Namen auf dem Rumpf des Fliegers festhalten lassen.
Kostet 6650 Euro. Es geht auch anders In die Diskussion, die
zwischen dem Hangar von Payerne und der Schulklasse in Genf läuft, und
die im Internet verfolgt werden kann, schaltet sich über E-Mail ein
Schüler aus dem französischen Département Loire zu. Er teilt mit, vor
ein paar Tagen habe seine Klasse eine Solarzelle adoptiert. Nun will er
wissen, ob denn das Solarflugzeug tatsächlich im Jahr 2012 die Erde
umrunden wird. "Wir wollen da nicht allzu genaue Termine setzen", gibt
Bertrand Piccard Auskunft, "wir versuchen, 2012 einzuhalten, vielleicht
wird es auch 2013." Aus Casablanca in Marokko fragt jemand, ob denn
eines Tages Solarflugzeuge die Linienflugzeuge ersetzen würden. Der
Testflieger André Borschberg kann sich das Lächeln nicht verkneifen. Er
hat bei seinem 26-Stunden-Flug eine Höchstgeschwindigkeit von 129
Kilometern pro Stunde erreicht, im Durchschnitt war er mit 38 km/h
unterwegs. Mehr geben die vier Elektromotoren, gespeist allein von
Sonnenenergie, nicht her. Auf dem Weg zu seinem neuen Weltrekord
ist Bertrand Piccard am Freitag ein Stück vorangekommen. Er will der
Erste sein, der die Erde in einem solarenergiegetriebenen Flugzeug
umrundet, ohne Treibstoff, ohne Schadstoffemission. Selbst wenn er am
Ende nicht am Steuerknüppel sitzt, wird dieser Rekord mit seinem Namen
verbunden sein. Piccard will ein neues Kapitel der Luftfahrtgeschichte
schreiben. Aber dem Enkel des Ballonfahrers, dem Sohn des
Tiefseeforschers geht es um mehr. Auf Hunderten Vorträgen hat er für
einen schonenden Umgang mit den Energieressourcen des Planeten plädiert.
Mit seinem Solarflugzeug setzt er eine Botschaft in die Welt: Es geht
auch anders. "Das Unmögliche bleibt noch zu erreichen", schrieb einst
Jules Verne, ein Fantast, ein Träumer, ein Prophet, ein Realist
letztlich. |