Abgebranntes Land |
Thomas Schmid, 06.05.2010
GRIECHENLAND-KRISE - Mit einem Generalstreik wehren sich die Griechen gegen die dramatischen Kürzungen. Die Proteste eskalieren, drei Menschen sterben. Ökonomen warnen vor den Gefahren des Sanierungskurses.ATHEN. Zumindest an diesem Mittwoch scheint er der mächtigste Mann Griechenlands zu sein. Yiannis Panagopoulos sitzt in seinem Chefsessel. Er ist völlig ruhig, während Funktionäre herumwieseln, Telefone klingeln, Akten gereicht werden und der Lärm von Sprechchören in sein Büro dringt. Von seinem Balkon aus sieht man Tausende Menschen zum Sitz der GSEE strömen. Die GSEE ist der Dachverband der griechischen Gewerkschaften, und Panagopoulos ist ihr Boss. Seit Mitternacht streiken die Fluglotsen. In Piräus, der Hafenstadt bei Athen, liegen die Fähren zur griechischen Inselwelt vor Anker. In der Hauptstadt sind ab zehn Uhr die Zugänge zur U-Bahn zugesperrt. Die Taxi-Chauffeure sind für sechs Stunden in Streik getreten. Seit Dienstag schon sind staatliche Ämter geschlossen, Lehrer und Steuereintreiber im Ausstand, die Ärzte versehen nur einen Notdienst. Er wird diese Nacht mehr als üblich gebraucht werden. Mit Verletzten wird gerechnet. Noch kann Panagopoulos nicht wissen, dass der Generalstreik Menschenleben kosten wird. Drei Menschen verbrennen in einer von Randalierern angezündeten Bankfiliale.
Der Gewerkschaftsboss weiß wohl, dass die
Regierung die harten Sparmaßnahmen, ausgehandelt mit EU-Kommission,
Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank, trotz aller
Massenproteste nicht zurücknehmen wird. Er weiß, dass das Parlament, in
dem die regierende sozialdemokratische Pasok eine absolute Mehrheit hat,
morgen zustimmen wird. Gefragt nach dem Sinn des Generalstreiks sagt
der Mann, der mit einer randlosen Brille den Charme eines Buchhalters
ausstrahlt: "Diese Krise ist keine griechische Krise, sondern eine
europäische, deshalb muss eine europäische Lösung gefunden werden." Dann
warnt er vor Rezession, vorm rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit, vor
geschlossenen Läden. Dass es so kommt, daran besteht kein vernünftiger
Zweifel. Auch die europäischen Krisenmanager gehen davon aus, dass die
radikale Senkung der Löhne zum wirtschaftlichen Abschwung führt. Die
Pasok, der auch Panagopoulos angehört, heißt das Konzept gut. Der
Gewerkschaftsboss sagt dazu: "Die Partei muss nicht Angst haben, dass
ich austrete, sondern dass ihr Fußvolk austritt." Draußen sind
inzwischen Zehntausende auf die Straßen gegangen: Gewerkschaftler aller
Professionen, die gegen Lohnkürzungen protestieren, Studenten, denen der
Stellenstopp im öffentlichen Dienst die Zukunft verbaut, Rentner, die
den Gürtel noch enger werden schnallen müssen. Maoisten, Trotzkisten,
fein nach Grüppchen sortiert. Ein Anarchist, von oben bis unten schwarz
gekleidet, wie es sich für einen Anarchisten gehört, verteilt ein
Flugblatt mit dem Titel: "Nicht Griechenland steckt in der Krise,
sondern der Kapitalismus". Der 69-jährige Tatsis Padellis, Präsident der
kommunistischen Gewerkschaft für Rentner des Privatsektors, hält sich
an einem Spruchband fest, auf dem es heißt: "Nicht einen Euro für die
Kapitalisten". 45 Jahre hat er als Elektriker gearbeitet, jetzt
befürchtet er eine Rentenkürzung. "Die Regierung holt das Geld bei uns",
sagt er, "statt bei denen, die es gestohlen haben." Der Zorn ist groß. "Die
Wut ist riesig", sagt Michalis Psalidopoulos, "weil hier niemand je zur
Rechenschaft gezogen wird." Der Professor für Wirtschaftsethik an der
Universität Athen verweist nur auf Theodoros Tsoukatos. In Athen kennt
jeder den Fall, obwohl er schon elf Jahre zurück liegt. Der Abgeordnete
der Pasok hatte von einem Siemens-Mann nachweislich eine Million D-Mark
entgegengenommen. Der deutsche Konzern wollte sich den Auftrag für den
Aufbau eines Sicherheitssystems für die Olympischen Spiele 2004 sichern
und hatte eine stattliche Reihe von Parlamentariern beschenkt, auch
Tsoukatos. Er behauptete, das Geld an die Partei weitergeleitet zu
haben. Die will es nie erhalten haben. Tsoukatos ist bis heute ein
freier Mann. "Die Wut ist riesig", wiederholt der Professor, "aber
dieser Generalstreik ist revolutionäre Gymnastik, mehr nicht, viele
Griechen sind in ihrem Nationalstolz verletzt". Gerade in
Griechenland, wo die Europabegeisterung höher als in vielen andern
Ländern war, im Land der Griechen, wo Zeus in Europa einst so verliebt
war, dass er sich in einen Stier verwandelte, um die Tochter des
phönizischen Königs zu entführen, in diesem Land macht sich nun große
Verbitterung über Europa breit, gepaart mit Groll auf das wirtschaftlich
starke Deutschland und mit Spott über dessen Kanzlerin. Angela Merkel
hat mit Hilfszusagen gezögert, um bei der Landtagswahl in
Nordrhein-Westfalen nicht Stimmen zu verlieren. Da ist man sich hier
einig. Und auch darin, dass dies die Kosten für eine Überwindung der
Verschuldungskrise in die Höhe getrieben hat. "Aber die Deutschen
schenken uns ja gar nichts", sagt Despina Spanou, die unter einem roten
Transparent marschiert, "sie holen sich alles mit fünf Prozent Zinsen
zurück!" Die resolute Frau ist Vorstandsmitglied von Adedy, der
mächtigen Gewerkschaft der Staatsangestellten, die schon am Dienstag in
Streik getreten ist. "Besser wäre es gewesen", sagt Spanou, die auch der
im Parlament vertretenen Syriza, der Koalition der radikalen Linken,
angehört, "wir hätten uns Geld bei den Chinesen oder Russen geborgt." Adedy-Chef
Spiros Papaspiros macht eine einfachere Rechnung auf. "Wenn 8 000
Griechen die 20 Milliarden Euro, die sie dem Staat schulden,
herausrücken, hätten wir genug, um die aktuelle Krise zu überbrücken",
sagt der bullige Mann mit Dreitagebart, "wir müssten dann schnell, aber
eben nicht übereilt, dauerhafte Lösungen angehen." Die Lösung, die
Europa den Griechen anbiete, sei nur eine scheinbare, sagt der
Gewerkschaftler. Tatsächlich könnte Griechenland nach einem Einbruch der
Steuereinkünfte des Staates aufgrund einer Rezession wieder in der
alten Schuldenfalle landen. "Das Sparpaket trifft die Falschen, die
Unschuldigen", sagt Papaspiros, der auch Pasok-Funktionär ist. Die Pasok
sei weiterhin seine Partei, sie gehöre schließlich nicht Jorgos
Papandreou, dem Ministerpräsidenten. Dass Griechenlands große Parteien
aber autoritär geführt werden, bestreitet er nicht. Vermutlich werden
alle Pasok-Mitglieder im Parlament geschlossen für das Sparpaket
stimmen. Und was bringt der Protest, der Generalstreik? "Wir wollen
Druck machen, ein politisches Klima herbeiführen, in dem die Regierung
gezwungen wird, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, statt sich vom
Ausland alles diktieren zu lassen", sagt Papaspiros. Ratlosigkeit
in Exarchia "Man darf sich nicht täuschen lassen", hatte Professor
Psalidopoulos gewarnt, "viele Menschen gehen zwar heute auf die Straße,
noch mehr aber bleiben zu Hause. Sie sehen keinen Weg, wie sie das
Sparpaket verhindern können. Sie haben resigniert und sind gewissermaßen
in die innere Emigration gegangen." In der Zwischenzeit hat sich
die Massendemonstration im Zentrum von Athen aufgelöst. Wie erwartet,
kommt es zu Ausschreitungen. Gerüchte von Toten machen die Runde. Sie
werden schon bald von Polizei und Feuerwehr bestätigt. Im
Exarchia-Viertel herrscht eine bedrückte Stimmung. Als vor anderthalb
Jahren hier, in der Hochburg der radikalen Linken, ein 15-Jähriger von
der Polizei erschossen wurde, sorgten aufgebrachte Jugendliche tagelang
für Randale, setzten Autos in Brand und zerschepperten die Scheiben von
Geschäften. Diesmal aber ist nicht die Polizei, sondern eine Gruppe
vermummter Demonstranten schuld am Tod unbeteiligter Menschen. Es
herrscht nicht mehr Wut in Exarchia, sondern Ratlosigkeit. Man wird
morgen wenig über die Gewerkschaften sprechen und auch wenig über den
Generalstreik sprechen. Schlagzeilen werden die Toten machen. |