Das Erbe der Diktatoren |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 10./11.04.2010
In einer kleinen Straße im Zentrum von Bukarest, versteckt
zwischen grauen Häusern und Plattenbauten, steht eine alte Villa, gebaut
um die vorletzte Jahrhundertwende. Von außen ist es ein unscheinbares
Gebäude. Doch in der großen Eingangshalle künden Marmor, Glasfresken und
Holztäfelung vom Reichtum des einstigen Besitzers, eines
Privatbankiers, dem das Haus als Bordell für betuchte Kunden diente. Die
Kommunisten verboten Prostitution wie Privatbanken und nahmen das
Gebäude in Beschlag, und nun, 20 Jahre nachdem die kommunistische Partei
abdanken musste, sitzt im Chefsessel hinter dem alten Schreibtisch ein
hagerer Mann mit grauem, eingefallenem Gesicht. Er zieht seine ärmellose
gepolsterte Jacke, den darunterliegenden schwarzen Pullover und das
Hemd hoch und zeigt seinen ausgemergelten Oberkörper. Teodor Maries ist -
nach eigenen Angaben - seit 70 Tagen im Hungerstreik, wiegt trotz
seiner beachtlichen Körpergröße von 1,85 Meter noch 55 Kilo und hat eine
Körpertemperatur um die 35 Grad. Maries ist Präsident der
"Vereinigung des 21. Dezember 1989", einer Organisation, die sich nach
jenem Tag benannt hat, an dem Nicolae Ceausescu eine Massenkundgebung
vor dem Gebäude des Zentralkomitees der Partei angeordnet hatte.
Zehntausende von Arbeitern, Studenten und Angestellten wurden
herbeigekarrt, die die Ereignisse von Timisoara verurteilen sollten. In
der rumänischen Stadt hatten sich am Vortag nach mehrtägigen Unruhen
Armeeeinheiten und Demonstranten verbrüdert und ein "Provisorisches
Komitee der Revolution" gegründet. Nun wollte der Diktator in Bukarest
zum Gegenangriff blasen. Vor einer riesigen Menge trat Ceausescu
ans Mikrofon und schimpfte auf die "reaktionären, imperialistischen und
chauvinistischen Kreise", die hinter dem Aufstand in Timisoara stünden.
Aber schon nach wenigen Minuten buhte und pfiff ihn das Publikum aus.
Der "Conducator", der Führer, wie er sich selber nannte, der nur
Ergebenheit und Gehorsam gewohnt war, konnte seine Überraschung nicht
verbergen. Und da die Kundgebung im Fernsehen live übertragen wurde, sah
ganz Rumänien, wie das Gesicht des allmächtigen Übervaters der Nation
zur Maske erstarrte. Der Bann war gebrochen. Teodor Maries gehörte
zu den ersten, die am Tag danach das ZK-Gebäude stürmten. Er war damals
Profifußballer und spielte in der dritten Liga. "Ich bin durchs Fenster
eingestiegen, nahm mir eines der Gewehre, die die Präsidialgarde
zurückgelassen hatte, stürmte in den obersten Stock, um Ceausescu zu
erschießen", berichtet er mit einer Verve und Detailversessenheit, als
hätte es sich gestern zugetragen. "Als ich im sechsten, dem obersten
Stock, ankam, war Ceausescu gerade im Hubschrauber von der Dachterrasse
abgeflogen." Um 12.08 Uhr flüchtete Ceausescu. Der Jubel war
unbeschreiblich. Doch um 18 Uhr eröffneten Unbekannte das Feuer auf die
Menge, die Armee schoss zurück. In den fünf Tagen nach der Flucht des
Diktators wurden bei Schusswechseln an die tausend Menschen getötet.
Rumänien war das einzige Land des Ostblocks, in dem der Zusammenbruch
der kommunistischen Diktatur 1989 mit einem Blutbad einherging. Doch ist
bis heute ungeklärt, wer damals geschossen hat. Das staatliche
Fernsehen sprach von Terroristen. Waren es Spezialeinheiten der
Securitate, des gefürchteten Geheimdienstes? Oder hat die Armee die
Schießereien inszeniert, um die Demonstrationen zu stoppen und die
Machtübernahme der Wendehälse in Ruhe über die Bühne zu bringen? Waren
ferngesteuerte Provokateure am Werk? Und wenn ja, von wem waren sie
ferngesteuert? "Unsere Freiheit dauerte gerade sechs Stunden",
sagt Teodor Maries, "die Revolution wurde uns gestohlen". Er möchte
wissen, von wem. Seit einem Jahr schon verlangt er die Herausgabe
sämtlicher Dokumente aus den Archiven von Armee und Geheimdienst, um zu
rekonstruieren, wer in den Dezembertagen die Strippen gezogen hat. Seit
zwei Monaten hungert er dafür. Unter dem Druck eines Urteils des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gab Ministerpräsident Emil
Boc am 10. März schließlich bekannt, man werde nun alle bislang noch
geheim gehaltenen Akten im Zusammenhang mit der antikommunistischen
Revolution freigeben. Inzwischen sind Kopien fast sämtlicher Dokumente
am Sitz der "Vereinigung 21. Dezember 1989" eingetroffen. Sechs hohe
antike Schränke in dunklem Holz stehen im Chefbüro. Maries öffnet stolz
einen nach dem anderen. Alle sechs sind von oben bis unten mit Akten
vollgestopft. Es sei nur noch eine Frage von Tagen, meint er, bis die
letzten Dossiers eintreffen würden und er seinen Hungerstreik abbrechen
könne. Maries will die Verantwortlichen für tausendfachen Tod vor
Gericht bringen. Dan Voinea wird ihm dabei zur Seite stehen. Der
59-jährige Jurist schaut öfter mal in der Villa, dem einstigen Edelpuff,
vorbei. Neben dem abgemagerten Maries strahlt er mit seiner Leibesfülle
den Charme eines Bonvivants aus. Worte wie "Verfassungsschutz" und
"Bundesnachrichtendienst" gehen ihm akzentfrei über die Lippen, seit er
in den Neunzigerjahren den deutschen Behörden bei der Aufklärung einiger
Attentate half, die die Securitate in Westdeutschland verübt hatte. In
den letzten sechs Jahren der Ceausescu-Diktatur, als das Volk nur noch
selten Butter hatte, war Voinea Militärstaatsanwalt - und blieb es auch
nach der Wende. Voineas große Stunde schlug am Weihnachtstag 1989.
Da verlas er in der Armeekaserne von Târgoviste, einer Stadt siebzig
Kilometer nordwestlich von Bukarest, die Anklage gegen Nicolae Ceausescu
und seine Frau Elena, die beim Volk noch mehr verhasst war als ihr
Gemahl. Drei Tage zuvor hatte der weitsichtige Militärstaatsanwalt beim
Sturm auf das ZK Ceausescus Innenminister verhaftet, der fünf Tage zuvor
in Timisoara den Schießbefehl erteilt hatte. Erst damit habe er sich
selbst, so sagt Voinea, für den Prozess gegen das Herrscherpaar
qualifiziert. Er hatte weniger als 48 Stunden Zeit, die Anklage
vorzubereiten. Doch es reichte, um das Herrscherpaar der Untergrabung
der Staatsgewalt und der nationalen Wirtschaft, der Sabotage und des
Völkermords zu bezichtigen. "Für die schwerwiegenden Verbrechen, die von
den beiden Angeklagten im Namen des rumänischen Volkes begangen
wurden", so schloss Voinea damals sein Plädoyer, "fordere ich, Herr
Vorsitzender, die Verurteilung dieser Tyrannen zum Tode." Das Gericht
verkündete das Todesurteil. Nicolae und Elena Ceausescu wurden umgehend
erschossen. Der ganze Prozess hatte etwa eine Stunde gedauert. Es war
eine juristische Farce. Dass das Todesurteil bereits vor dem
Prozess feststand, habe er erst später erfahren, sagt Voinea. Er hätte
gerne einen richtigen Prozess mit Zeugenbefragung und
Appellationsmöglichkeit gehabt. "Doch Ceausescu betonte wiederholt, er
erkenne die Zuständigkeit des Gerichts nicht an und werde sich nur vor
dem Parlament verantworten, außerdem dürstete die Straße nach Blut. Es
waren eben keine normalen Tage, und deshalb war ein normaler Prozess
nicht möglich." Vermutlich schien ein regulärer Prozess den neuen
Machthabern zu riskant zu sein. Nach der Erschießung des
Präsidentenpaars, das einen bizarren Personenkult um sich betrieben
hatte, waren dessen bewaffnete Anhänger entmutigt. Vielleicht
verhinderte die Hinrichtung in der Kaserne von Târgoviste weiteres
Blutvergießen. Wie so viele rumänische Offiziere und Politiker hat
auch Voinea vor 20 Jahren - im Dezember 1989 - die Seite gewechselt.
Heute liegt ihm daran, zu klären, was damals, 1989, in Rumänien
geschehen ist. "Niemand ist wegen der Toten zur Rechenschaft gezogen
worden", ereifert er sich. 34 Ermittlungsverfahren hat er eingeleitet.
Was aus den Fällen geworden ist, weiß Voinea nicht. Vor einem Jahr wurde
er als Militärstaatsanwalt abgesetzt. Haben Seilschaften früherer
Securitate-Offziere seine Ablösung durchgesetzt, wie viele vermuten?
Wurde er zu unbequem? Voinea, der heute in Bukarest an einer
Privatuniversität Strafrecht und Kriminalistik unterrichtet, will sich
dazu nicht äußern. Er sagt nur: "Es fehlt am politischen Willen zur
strafrechtlichen Aufarbeitung." Fehlt dieser Wille tatsächlich?
Just darüber wird in Rumänien heute heftig gestritten. Die Opfer
beteuern es. Die Regierung bestreitet es. Einigkeit herrscht darüber,
dass während der ersten Amtszeit von Präsident Ion Iliescu, von 1990 bis
1996, keine ernsthaften Bemühungen gemacht wurden, die Verantwortlichen
für die Verbrechen der Securitate, des wohl schlimmsten Geheimdienstes
des Ostblocks, zur Rechenschaft zu ziehen. Zwar wurden 87
Spitzenfunktionäre des entmachteten Regimes 1990 zu Gefängnisstrafen
verurteilt - zum Teil sogar zu lebenslanger Haft. Doch schon 1993 kamen
die letzten von ihnen wieder frei. Die Securitate wurde nach dem Sturz
Ceausescus aufgelöst. Aber der neue Geheimdienst SRI übernahm nach
eigenen Angaben 40 Prozent des Personals des offiziell verschwundenen
Dienstes. Und noch 2006 beteuerte Präsident Traian Basescu, ein
erklärter Gegner der Wendehälse: "Nur sechs Prozent der jetzigen
SRI-Offiziere kommen aus dem früheren Geheimdienst." Nur? Man stelle
sich vor, "nur" sechs Prozent der heutigen BND-Beamten wären früher
Stasi-Offiziere gewesen. Während in Ost-Berlin im Januar 1990 die
Stasi-Zentrale gestürmt wurde und zwei Jahre nach dem Fall der Mauer das
Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft trat, dauerte es nach Ceausescus Sturz
zehn Jahre, bis im Jahr 2000 der Nationale Rat zum Studium der
Securitate-Archive (CNSAS) gegründet wurde, ein rumänisches Pendant zur
Birthler-Behörde. "Im Jahr 2005 hatten wir erst rund 10 000 Akten", sagt
dessen Leiter Dragos Petrescu, ein 47-jähriger Historiker, "heute sind
es zwei Millionen." Dass unter Iliescus Präsidentschaft Armee und
Geheimdienst die Herausgabe der Akten nach Kräften blockierten, scheint
Petrescu offensichtlich. Da hätten die alten Seilschaften gespielt. Und
natürlich sei vieles geschreddert worden. Im Übrigen ist das Interesse
am eigenen Dossier bislang recht beschränkt. Während in Deutschland
bereits rund 2,6 Millionen Bürger einen Antrag auf Akteneinsicht
gestellt haben, sind es in Rumänien erst einige zehntausend. Die
rumänisch-deutsche Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin
Herta Müller, die 1987 in den Westen ausgereist ist und heute in Berlin
lebt, schrieb im vergangenen Jahr über ihre eigene Akte, diese sei "ein
Machwerk des SRI im Namen der alten Securitate", der zehn Jahre Zeit
gehabt habe, um daran zu arbeiten. Ihre Akte sei "regelrecht entkernt".
Darin stehe kein Wort über die beiden misslungenen Anwerbeversuche der
Securitate und auch keines über deren infame Strategie, sie danach in
der Öffentlichkeit als Spitzel des gefürchteten Geheimdienstes zu
diffamieren. Und natürlich auch kein Wort über die körperlichen
Misshandlungen bei den zahlreichen Verhören. Anders als in der DDR
gab es in Rumänien unter der Herrschaft Ceausescus bis zuletzt keine
organisierte Opposition. Aktionen des Widerstands gab es nur vereinzelt,
und im Ausland erfuhr man nur selten davon. Mit Hunderttausenden
Spitzeln hatte die Securitate ein enges Netz von Einschüchterung, Angst
und Misstrauen gewebt, das die Gesellschaft lähmte. Es war zudem eine
Gesellschaft, die traumatisiert war. Ceausescus Vorgänger Gheorghe
Gheorghiu-Dej, der von 1947 bis 1965 über Rumänien herrschte, hatte
vermeintliche oder tatsächliche Oppositionelle zu Tausenden erschießen
lassen und Hunderttausende deportiert und in Lagern zur Zwangsarbeit
verpflichtet. In Rumänien herrschte ein Massenterror wie in keinem
anderen Satellitenstaat der Sowjetunion. Der Terror begann nicht mit
Ceausescu. Licht in diese dunkelsten Jahre der Nachkriegszeit zu
bringen, darum bemüht sich hartnäckig seit Jahren Marius Oprea. Der Weg
zu ihm macht den Besucher mit einer der sonderbarsten
Hinterlassenschaften der Diktatur bekannt. Er führt über zwei Plätze,
auf denen Dutzende herrenloser Hunde streunen. Seit Ceausescu Ende der
Siebzigerjahre einen Großteil der Altstadt von Bukarest abreißen ließ,
um das monströse "Haus des Volkes", nach dem Pentagon das zweitgrößte
Gebäude der Welt, zu bauen, plagt sich die Stadt mit dem Hundeproblem.
Zehntausende Bukarester mussten damals ihre Einfamilienhäuser verlassen.
Die meisten hatten einen Wachhund. Als die Vertriebenen in die eiligst
hochgezogenen Plattenbauten einquartiert wurden, ließen viele die Tiere
zurück, manch einer auch, um die neu eingeführte Hundesteuer
einzusparen. Heute gibt es trotz wiederholter Tötungskampagnen wohl
mindestens 30 000 herrenlose Hunde in der Stadt. Jährlich werden
Zehntausende Bukarester mit Wadenbissen verarztet. Opreas Wohnung
steht voller Kisten. Alles ist verpackt. Er muss die drei Zimmer bis
Monatsende räumen. Es war eine Dienstwohnung, und Oprea wurde gekündigt.
Vier Jahre lang leitete der Historiker das von ihm gegründete
halbstaatliche "Institut für die Erforschung der Verbrechen des
Kommunismus". Zur Begrüßung steckt er eine DVD in seinen Laptop. Es ist
ein Achtminutenfilm über die Ausgrabungen, die er leitet, Bilder von
Totenschädeln, halben Skeletten, isolierten Oberschenkelknochen, Bilder
des Grauens. "Diese beiden hier wurden füsiliert, dann ans Kreuz
geschlagen und an den Straßenrand gestellt", kommentiert er, "hier ein
16-jähriges Mädchen, erschossen von der Securitate . ein 15-jähriger
Junge, seine neunjährige Schwester hat gesehen, wie er hingerichtet und
verscharrt wurde ." Oprea geht von bis zu 10 000 Personen aus, die
von der Securitate ohne jeden Prozess umgebracht wurden. Immer wieder
reist er in die Karpaten, spricht mit den Bauern über die alten
Geschichten, sucht anonyme Gräber. Über 50 Leichen hat er bislang
ausgegraben und mehr als 400 Securitate-Mitglieder als Folterer und
Mörder identifiziert. Offiziere des früheren Geheimdienstes brachten ihn
mehrfach vor Gericht. "812 Jahre Gefängnis wurden zusammengerechnet
gegen mich beantragt", sagt Oprea selbstbewusst, "aber bislang habe ich
alle Prozesse gewonnen." Er sieht sich als rumänischen Wiesenthal, als
Securitate-Jäger. Weshalb Oprea entlassen wurde, ist unklar. Der
neue Chef des Instituts, Ioan Stanomir, ein zurückhaltender, vorsichtig
formulierender Verfassungsjurist, sieht keine politischen Absichten
hinter der Entscheidung, eher einen üblichen Personalwechsel. Immerhin
war Oprea Sicherheitsberater des früheren Premierministers, und dessen
Partei, der auch Oprea angehört, ist nun in der Opposition. Aber
die neue Regierungskoalition hatte sich schon vor zwei Jahren gebildet.
Weshalb hat man ihn nicht schon damals entlassen? Oprea will nicht
schlecht über seinen Nachfolger reden. Er sagt nur: "Ich wurde unbequem
für die Staatsanwälte. Ich machte denen viel Arbeit", und dann fügt er
hinzu, was man in Bukarest immer wieder hört: "Die alten Seilschaften
funktionieren noch, der Staat wird von den alten Kräften kontrolliert."
Ähnlich drückte sich der frühere Militärstaatsanwalt Voinea aus. Oprea
gibt nicht auf. Er wird weiter nach Leichen suchen, um "diejenigen als
Helden zu begraben, die als Hunde verscharrt wurden". Es sind nicht
Opfer der Diktatur Ceausescus, sondern seines kommunistischen
Vorgängers. Rund 80 000 Bauern, die sich der Kollektivierung
widersetzten, wurden von der Securitate verhaftet. Folter und
Misshandlungen standen auf der Tagesordnung, und im berüchtigtsten
Gefängnis des Landes wurden die Häftlinge sogar gezwungen, sich
gegenseitig zu foltern. Vorsichtigen Schätzungen zufolge kamen 200 000
Menschen im "rumänischen GULag" zu Tode, vielleicht auch doppelt oder
dreimal so viele. Zehntausende sind nach der Machtübernahme der
Kommunisten in die Gebirgswälder der Karpaten geflüchtet, um den
Zwangskollektivierungen und Enteignungen zu entgehen. Bis 1962 gab es
sogar bewaffnete Partisanen. Dem antikommunistischen Widerstand ist im
siebenbürgischen Brasov ein Museum gewidmet. Die Fahrt nach Kronstadt,
wie die verbliebene kleine deutsche Minderheit die Stadt nennt, führt
über den verschneiten Kamm der Südkarpaten, wo noch heute große
Populationen von Bären und Wölfen leben. Geleitet wird das Museum
von Octav Bjoza, einem hageren, knorrigen Mann, der schon vor über einem
halben Jahrhundert gegen den Kommunismus kämpfte. Als 18-Jähriger trat
er der "Rumänischen Jugendgarde" bei, einem Trupp von 15 Studenten und
Schülern, der 1958, zwei Jahre nach seiner Gründung, zerschlagen wurde.
Vier Jahre lang saß Bjoza im Gefängnis. "Man hat mich mit
Stacheldrahtpeitschen geschlagen", berichtet er, "aber andere haben mehr
gelitten, hatten kaputte Knochen, zerschmetterte Seelen." Es habe in
den Karpaten nicht einen Berg ohne Partisanen gegeben. "Unsere Gruppe
hatte einen Revolver und ein Bajonett", sagt er lachend, "nicht viel
gegen die Panzer der Russen, die ja noch im Land standen, aber wir
wollten uns bewaffnen." Dann zeigt Bjoza die Schaukästen des
Museums. In einem liegt Erde vom Grab des 2006 verstorbenen ehemaligen
Partisanenführers Ion Gavrila Ogoranu. Daneben ist das Radio
ausgestellt, das dieser in den Wäldern benutzt hat, und in einem
weiteren Reliquienschrein ist ein Testament, das er in einer Höhle
schrieb. "Seine letzten sechs Partisanen wurden von 1 200 Soldaten
gejagt", erzählt Bjosa. Gavrila Ogoranu kämpfte bis 1959 und hielt sich
danach 17 Jahre lang versteckt. Erst 1976 wurde er festgenommen und,
obwohl in Abwesenheit einst zum Tod verurteilt, bald wieder
freigelassen. Was Bjoza nicht sagt und was die Schüler, die das
Museum besuchen, nicht erfahren: Gavrila Ogoranu war während des Zweiten
Weltkrieges Chef der "Kreuzbruderschaften", der Jugendorganisation der
rechtsextremen "Eisernen Garde", die zusammen mit dem antisemitischen
General Ion Antonescu, einem Verbündeten Hitlers, 1940 in Rumänien eine
Diktatur errichtete. Legionäre der Eisernen Garde richteten danach unter
den Bukarester Juden ein fürchterliches Massaker an. Ihr Viertel wurde
zerstört. Nach einem 2004 veröffentlichten Bericht des Bukarester
Elie-Wiesel-Instituts für Holocaust-Forschung wurden auf damaligem
rumänischen Territorium unter der Diktatur Antonescus mindestens 280 000
Juden umgebracht - mehr als unter jedem anderen mit Hitler verbündeten
Regime. Bjoza, der Leiter des Museums, ist ein Opfer des
Kommunismus. Vielleicht sieht er deshalb auf dem einen Auge schärfer als
auf dem anderen. Vielleicht hat es auch mit seiner eigenen
Familiengeschichte zu tun. Sein Onkel mütterlicherseits, so erzählt er,
habe als General Antonescus die Rückeroberung Bessarabiens befohlen,
sein Onkel väterlicherseits habe sich zur Wehrmacht gemeldet und sei in
Frankreich gefallen. Der Leiter des Museums hat das Grab aufgesucht, ein
Schäufelchen Erde genommen und es zur letzten Ruhestätte seiner
Großmutter gebracht, so wie sie es sich gewünscht hatte. "Unter
Antonescu war nicht alles schlecht", sagt er zum Abschied. Die
Sehnsucht nach Helden ist groß in Rumänien, das von einer Diktatur in
die nächste taumelte und in dem es nie eine nüchterne Auseinandersetzung
mit der eigenen Geschichte gab. Das Interesse daran hält sich in
Grenzen. Das Land leidet unter Armut und Korruption, viele wenden sich
enttäuscht von der Politik ab, großrumänischer Nationalismus und
latenter Antisemitismus sind noch immer sehr virulent und werden bei
Bedarf von populistischen Politikern bedient. Aber langsam geht es
voran. Seit dem vergangenen Jahr gibt es in Bukarest neben den
zahlreichen Stätten der Erinnerung an die Opfer der kommunistischen
Diktatur, nun auch ein Holocaust-Denkmal. Es ist ein Anfang, immerhin. Teodor
Maries hat seinen Hungerstreik inzwischen abgebrochen. Er hat all die
Dokumente, die er verlangt hat, bekommen. Nun beginnt für ihn die
Arbeit. Eine schwierige Arbeit. Denn anders als Antonescus Generäle
leben die meisten derjenigen noch, die sich für die Toten von 1989 zu
verantworten haben. |