In Stein gemeißelter Wahn |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.07.2010Eine Hinterlassenschaft der kommunistischen Diktatur
ist heute
die größte Touristenattraktion von Bukarest
BUKAREST. Atemberaubend, schwindelerregend, gigantisch,
monströs - es gibt kein Adjektiv, das den Dimensionen dieses steinernen
Ungetüms im Zentrum von Bukarest auch nur entfernt gerecht würde. Der
Palast zeugt vom Wahn des Diktators, von seiner Selbstverliebtheit und
seiner Unersättlichkeit. Die Rumänen froren und hungerten, die
Raumtemperatur durfte zwölf Grad nicht übersteigen, für Milch stand man
stundenlang an. Da baute Nicolae Ceausescu - "Titan der Titanen", "Genie
der Karpaten", "Schatzkammer der Weisheit", wie ihn seine Hofschranzen
nannten - sein "Haus des Volkes", den heutigen Parlamentspalast. Ein
schnurgerader breiter Boulevard führt auf den Palast zu - er ist ein
Meter länger als die Champs-Elysées in Paris. Darauf legte Ceausescu
Wert. Der "Boulevard des Sieges des Sozialismus" heißt heute "Boulevard
der Einheit". Für Palast und Boulevard ließ der Diktator ein Fünftel der
Altstadt Bukarests - zwölf Kirchen und eine Synagoge inklusive -
abreißen. 57 000 Familien wurden zwangsumgesiedelt. Im riesigen
Palast, nach dem Pentagon in Washington angeblich das zweitgrößte
Gebäude der Welt, wird der Mensch zum Zwerg, und wenn er den 115 Meter
langen, mit 44 Marmorsäulen flankierten Korridor entlangläuft, wird er
zur Schnecke. Die 18 Meter hohen Vorhänge im Treppenhaus, ein jeder 500
Kilogramm schwer, und die Teppiche, die sich insgesamt auf eine Fläche
von über fünf Hektar erstrecken, wurden im Palast gewebt, um die
logistischen Probleme eines Transports zu umgehen. Im 2 200 Quadratmeter
großen und 19 Meter hohen Ballsaal fände eine Dorfkirche samt
Glockenturm bequem Platz. Eine Million Kubikmeter Marmor und 900 000
Kubikmeter Holz verschluckte der Palast. Der Touristenführer
schnurrt die Superlative in Rekordtempo herunter. Auf eigene Faust darf
man das Gebäude nicht erkunden. Irgendwo in diesem Gewirr von Sälen,
Treppen und Korridoren hat noch immer Anca Petrescu ihr Büro. Im Jahr
1981 hatte sie als 32-jährige Architektin den Wettbewerb gewonnen. Sie
durfte den Palast bauen. Es war eine Überraschung, zumal sie auch unter
Architekten weithin unbekannt war. Vielleicht nährte deren Neid das
Gerücht, sie habe ihren Sieg einer nie bewiesenen Liaison mit Nicu, dem
jüngsten Spross des Diktators, zu verdanken. Jedenfalls war es für die
junge Architektin eine einzigartige Gelegenheit. Der Palast wurde zu
ihrer Lebensaufgabe. Er ist ihr Werk, ihre Schöpfung. "Ich habe
mit viel Leidenschaft gearbeitet, sieben Tage die Woche, ohne Urlaub.
Nur einmal nahm ich eine Woche frei, um meine Tochter zur Welt zu
bringen", berichtet Petrescu, eine resolute, selbstbewusste Frau, in
fließendem Deutsch. "Es gibt ein Foto, auf dem ich hochschwanger auf
einem Baugerüst jongliere." Die Architektin ist im siebenbürgischen
Schässburg (Sighisoara), einer Stadt mit deutscher Minderheit,
aufgewachsen und hat dort die deutsche Schule besucht. Ihre beiden
erwachsenen Töchter leben in München. Sie selbst arbeitet in Paris und
Bukarest. Die Arbeit am Palast ist zum Nebenjob geschrumpft. "Das Haus
ist zu 95 Prozent fertiggestellt", sagt sie, "nur im Untergeschoss
müssen noch einige Arbeiten erledigt werden." Importe unerwünscht War es wirklich ihr
eigener Traum, der da steinerne Wirklichkeit geworden ist? "Der
Präsident kam jeden Sonnabend auf die Baustelle", erinnert sich die
Chefarchitektin. "Oft diskutierten wir mehrere Stunden. Manchmal hat er
sich durchgesetzt, meistens ich. Er hat nie wie ein Diktator einfach
Befehle erteilt." Es gab nur eine Bedingung: Sämtliches Material musste
aus Rumänien stammen, nichts durfte importiert werden. "Als ich in ganz
Rumänien kein Glas in der fahlen, grünen Farbe auftreiben konnte, die
ich wünschte, ordnete der Industrieminister den Bau einer Fabrik für die
Produktion von Glas in fahler, grüner Farbe an." 1984 war der
erste Spatenstich. 1990 sollte der Bau fertiggestellt sein. Doch die
Weltgeschichte kam dazwischen. In Ungarn wurde der Grenzzaun
zerschnitten, in Berlin fiel die Mauer, und in Prag brach die "samtene
Revolution" aus. In Rumänien aber floss Blut. In Timisoara schossen die
Armee und der Geheimdienst auf Demonstranten. Als Ceausescu eine Woche
später im Hubschrauber vom Dach des Gebäudes des Zentralkomitees der
Kommunistischen Partei in Bukarest fliehen wollte, nahm die Armee ihn
fest. Ein Militärtribunal verurteilte ihn zum Tod, anschließend wurde
der Diktator sofort erschossen. "Es war ein grässliches
Verbrechen", urteilt Petrescu. "Vom Präsidenten ging ja keine Gefahr
mehr aus." Gewiss, der Prozess war eine juristische Farce. Doch ist
nicht von der Hand zu weisen, dass die Erschießung Ceausescus große
Teile der auf ihn eingeschworenen Geheimpolizei entmutigte und weiteres
Blutvergießen verhinderte. Für Politik habe sie sich nie
interessiert, behauptet die Architektin, auch sei sie nie in der Partei
gewesen. Man glaubt es ihr, wenn man sie vom Haus schwärmen hört, das
sie gebaut hat. Ihre Arbeit bedeutete ihr alles. Doch von 2004 bis 2008
saß sie im Parlament als Abgeordnete der Großrumänien-Partei. Deren Chef
Corneliu Vadim Tudor dichtete als Lyriker einst Oden auf Ceausescu.
Nach dem Kollaps des Regimes forderte er Ghettos für Roma und
Arbeitslager für Ungarn und schrieb antisemitische Artikel. Seine extrem
nationalistische Partei fordert ein Großrumänien, das Moldawien, Teile
Bulgariens und der Ukraine einschließt, und verherrlicht Ceausescu. "Ich
interessiere mich nicht für Politik", wiederholt Anca Petrescu. "Aber
diese Partei stand nun mal meiner Vorstellung von Patriotismus am
Nächsten." Für das Parlament habe sie nur kandidiert, um ein Gesetz
durchzubringen, das es dem Parlament erlaubte, im "Haus" legal zu tagen,
bevor dieses fertiggestellt und seine Nutzung baurechtlich abgesegnet
sein würde. "Das Parlament kam ja damals illegal im Haus zusammen",
begründet die unpolitische Architektin ihr politisches Engagement. Ganz
legal tagte dann 2008 auch der Nato-Gipfel im Palazzo prozzo von
Bukarest. "61 Staatschefs hatten ihr Büro im Palast", berichtet Petrescu
mit Stolz. "Zehntausend Personen waren im Haus, viertausend Medien
akkreditiert. Und der ganze Rummel hinderte das Abgeordnetenhaus und den
Senat nicht, wie gewohnt in ihren beiden Flügeln den Geschäften
nachzugehen." Die Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments haben je
ein Büro von über 400 Quadratmeter Fläche. Das eine war als
Arbeitszimmer von Präsident Nicolae Ceausescu vorgesehen, das andere für
seine Gattin Elena, "die liebende Mutter der Nation", die zusammen mit
ihm hingerichtet wurde. Auch hier sieht man überall schwere
Kristalllüster, dicke Teppiche mit rumänischen Motiven, mächtige
Marmorsäulen. Die schamlose Pracht und der Prunk im Palast des
Diktators, der es vom Schusterjungen zum Präsidenten mit vergoldetem
Zepter gebracht hat, hören erst an einem Ort auf: an den versteckten
stillen Örtchen. Die 800 Toilettengruppen wirken geradezu profan. Für
ihre Sauberkeit sorgen 400 Putzfrauen, die im Parlamentspalast
beschäftigt sind. |