Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 26.07.2012
Die Rumänen stimmen am Sonntag darüber ab, ob ihr Präsident
Traian Basescu wieder in sein Amt gesetzt wird. Premier
Victor Ponta hat ihn vor drei Wochen kaltgestellt. Seitdem
tobt ein Machtkampf, in dem demokratische Regeln nichts
mehr gelten.
BUKAREST. Selbst
die Hunde liegen träge in den Schatten der Hausmauern und dösen vor sich
hin. Über 200000 sollen es sein, sie streifen herrenlos durch die
Stadt, manchmal tauchen sie in Rudeln auf und werden gefährlich. Aber
nun haben auch sie kapituliert. Es sind 38 Grad Celsius in Bukarest,
die Sonne brennt erbarmungslos. Die Menschen stöhnen. Doch
einem kommt die Hitze wohl gelegen: Traian Basescu, dem vor drei
Wochen vom Parlament abgesetzten Staatspräsidenten. Am Sonntag
entscheiden die Rumänen in einer Volksabstimmung, ob er wieder in sein
Amt gesetzt wird oder endgültig abtreten muss. Viele sind vor der
Hitze in die Berge geflüchtet oder ans Schwarze Meer, viele werden in
ihren kühlen Häusern bleiben und noch mehr haben ohnehin genug von
Politik und Politikern. Wenn weniger als die Hälfte der
Wahlberechtigten zu den Urnen geht, gilt das Referendum als
gescheitert. Basescu, einst Schiffskapitän der rumänischen
Handelsflotte, darf dann wieder ins Schloss Cotroceni ziehen, in die
Residenz des Präsidenten. Genau das strebt die Opposition an, deshalb
ruft sie zum Boykott des Referendums auf.
"Was sich in Rumänien
abgespielt hat", sagt Monica Macovei, "war ein echter
Staatsstreich." Macovei, 53, ist Europaparlamentarierin. Sie
trägt einen Ponyhaarschnitt und hat eine zierliche Figur, sie wirkt
auf den ersten Blick etwas unscheinbar, entpuppt sich aber schnell
als ausgesprochen resolute Person mit scharfer Zunge. Von den einen wird
sie geradezu verehrt, von den anderen gefürchtet, und oft schlägt die
Furcht ihrer Gegner in Hass um. Dann werden ihr böse, oft obszöne
Ausdrücke entgegengeschleudert, die man in keiner Zeitung
lesen möchte. Bis 1997 arbeitete Monica Macovei als
Staatsanwältin, danach war sie in der
Menschenrechtsbewegung aktiv, machte sich für die Rechte der Roma stark,
forschte über Gewalt gegen Frauen, trat gegen die
Diskriminierung Homosexueller auf. Sie arbeitete in Bosnien und im
Kosovo, den kriegsversehrten Regionen des auseinandergebrochenen
Jugoslawiens. "Als mich eines Tages Basescu fragte, ob ich
Justizministerin werden wollte, fiel ich aus allen Wolken", sagt sie,
"ich war ja nicht mal in einer Partei."
Das war im Dezember 2004.
Basescu hatte gerade die Präsidentschaftswahlen gewonnen und Macovei
nahm das Angebot an. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen löste sie den
Geheimdienst des Justizministeriums auf, der sich als
"Generaldirektorat für Korruptionsbekämpfung"
ausgab. Weil er von Inoffiziellen Mitarbeitern der alten Securitate,
dem gefürchteten Geheimdienst, durchseucht war? "Ach was", sagt
Macovei, "in einer Demokratie braucht das Justizministerium keinen
eigenen Geheimdienst. Punktum."
Schon kurz nach Amtsübernahme
ließ sie gegen den Vizepremier wegen Steuerflucht ermitteln. Ihr
Chef, der damalige Ministerpräsident Popescu-Tareceanu,
sei empört gewesen: "Kollegin, Sie gehören doch nicht der Opposition
an", habe er gesagt und sie aufgefordert, ihn in solch heiklen Fällen
künftig vorab zu informieren. Das habe sie natürlich nicht getan, sagt
Macovei.
Mit ihrer geradlinigen Art schaffte sie sich jedenfalls
viele Feinde. Bei einer Kabinettsumbildung 2007 wurde die parteilose
Ministerin entlassen. Kurz vor den Wahlen zum
Europaparlament trat sie dann 2009 doch in eine Partei ein. Für die
Liberaldemokraten (PDL), in Straßburg Schwesterpartei der
CDU, gewann sie einen Sitz. Nun ist sie aus Brüssel in den
Heimaturlaub nach Rumänien gekommen. Aber eine Frau wie Macovei macht
natürlich keinen Urlaub. Sie kämpft. Gestern in Brüssel, heute in
Bukarest, am Freitag in Berlin, eingeladen von der
Konrad-Adenauer-Stiftung. Ihre Botschaft ist immer dieselbe: In
Bukarest hat ein kalter Staatsstreich stattgefunden.
Sie hat
überzeugende Argumente dafür. Im Februar verlor die PDL unter
Ministerpräsident Emil Boc ihre Regierungsmehrheit. Dank einiger
Überläufer konnte der 39-jährige Victor Ponta Anfang Mai ein Kabinett
bilden. Seither herrscht Krieg zwischen Basescu, der als Staatschef
nominell parteilos war, faktisch aber der PDL angehört, und
Ponta, Mitglied der sozialdemokratischen PSD.
Am 3. Juli
ersetzte die neue Parlamentsmehrheit den Ombudsmann, der
verfassungsgemäß als Einziger gegen Eildekrete der Regierung
einschreiten kann, durch einen Mann aus den eigenen Reihen. Am 4. Juli
entzog die Regierung per Eildekret dem Verfassungsgericht das
Recht, Beschlüsse des Parlaments zu begutachten. Am 6. Juli
beschloss das Parlament, den Präsidenten "wegen ernsthafter Verletzung
der Verfassung" abzusetzen. Es gab faktisch keine Kontrollinstanz mehr. "Man muss sich das mal vorstellen", sagt Macovei, "die ganze
Prozedur zur Absetzung des Staatschefs dauerte drei Tage!"
Jetzt
hat Rumänien einen Interimsstaatspräsidenten: Crin
Antonescu. Er rückte - ganz verfassungsgemäß - als Präsident des
Senats, der kleineren der beiden Parlamentskammern, an die
Staatsspitze nach. Zum Senatspräsidenten war er allerdings erst am 3.
Juli von der neuen Parlamentsmehrheit gewählt worden. Kein Wunder
also, dass kaum ein Rumäne seinen Namen je gehört hat. Basescu nennt
seinen Nachfolger schlicht einen "Hampelmann von Ponta". Und der
wiederum bezeichnete seinen Vorgänger als "politisches Wrack".
Mit
Unverfrorenheit
Frech kommt weiter, so scheint es. Dies
zeigte sich bereits Ende Juni. Da brach ein Streit aus, ob es nun
Basescu, dem noch amtierenden Staatschef, oder Ponta, dem
Regierungschef, zukomme, zum Europagipfel am 28. Juni nach Brüssel zu
reisen. Das Verfassungsgericht hatte am 27. Juni
befunden, dass der Präsident Rumänien in Brüssel zu vertreten habe.
Am selben Tag hatte die Regierung per Eildekret das Amtsblatt, für das
bislang das Abgeordnetenhaus zuständig war, sich selbst
unterstellt. "Das Urteil des Verfassungsgerichts wurde nicht
veröffentlicht", sagt Macovei, "trat also nicht in Kraft." Nach
Brüssel reiste schließlich Ponta, der Regierungschef.
Auch Marian
Popescu, 60, kann viel über Pontas Unverfrorenheit erzählen.
Der Hochschullehrer für Kommunikationswissenschaft, ein drahtiger
Mann, der seine Worte genau abwägt, ist Präsident der
regierungsunabhängigen Ethischen Kommission der Universität Bukarest.
Diese sollte untersuchen, ob die Dissertation des Regierungschefs,
abgeliefert 2003, ein Plagiat ist oder nicht. Parallel zu Popescus
Kommission war der Nationale Rat für die Zertifizierung universitärer
akademischer Grade, eine dem Bildungsministerium
unterstellte Behörde, der Sache nachgegangen. Am 29. Juni stellte der
Rat fest, dass 85 von 305 Seiten der Dissertation über den
Internationalen Strafgerichtshof plagiiert sind. Das Gremium wurde von
der Regierung noch am selben Tag aufgelöst und neu besetzt. "Wir hatten bereits angekündigt, die Ergebnisse unserer Untersuchung am
20. Juli vorzustellen", sagt Popescu, "als am 19. Juli der Nationale
Ethikrat, also die dem aufgelösten und wieder neu zusammengesetzten
Gremium übergeordnete Behörde, völlig überraschend verkündete, es
handele sich um kein Plagiat. Ohne jede weitere Erklärung. Ohne jedes
Argument. Unglaublich!"
Popescus Kommission, bestehend aus neun
Professoren, wies am folgenden Tag auf einer Pressekonferenz nach,
dass nicht nur 85, sondern sogar 115 Seiten plagiiert sind. "Wir
legten die Textpassagen vor. Jeder konnte nachlesen, überprüfen. An
einer Stelle hat Ponta einen Textblock von 15 Seiten kopiert."
Die Dissertation hat auch nur 16 Fußnoten. "Erstaunlich für eine
wissenschaftliche Arbeit", sagt Popescu. Den Doktortitel aber kann die
Universität dem unverfrorenen Premier ohne die Einwilligung des
Bildungsministeriums nicht aberkennen.
Das Vorwort zur Dissertation
schrieb übrigens Pontas Doktorvater: Adrian Nastase. Der war von 2000
bis 2004 Regierungschef und sitzt heute wegen illegaler
Parteienfinanzierung zu zwei Jahren Haft verurteilt im Gefängnis. Ponta hat sich offenbar mit Vorliebe Leute seines Schlages gesucht:
Die von ihm kurz vor seiner Regierungsübernahme bereits designierte
Bildungsministerin trat den Job nicht an, nachdem
herausgekommen war, dass sie ihren Lebenslauf schlicht gefälscht hatte.
Sie hatte angegeben, an der Stanford University studiert zu haben,
was diese vehement bestreitet. Der erste amtierende
Bildungsminister der neuen Regierung musste schon nach einer Woche
zurücktreten, weil er eine Reihe wissenschaftlicher
Beiträge zu großen Teilen plagiiert hatte. Irrenhaus Rumänien.
"Dieser Mangel an Ernsthaftigkeit ist ein Grundproblem unseres
Landes", sagt Popescu, "wir Rumänen machen uns lächerlich."
Horia-Roman Patapievici nennt Ponta schlicht einen Lügner. "Der sagt
heute dies und morgen das genaue Gegenteil - und setzt dabei immer
dieselbe Miene auf." Patapievici, 55, ist Essayist und einer der
bekanntesten Intellektuellen des Landes. Sein Büro ist ein dunkler
Raum. Hier brütet er zwischen Büchern und Bildern seine Ideen aus.
Er leitet das Rumänische Kulturinstitut. Noch. Denn es wurde am 13.
Juni - wieder per Eildekret - der Obhut der Präsidentschaft, also
Basescus, entzogen und der des von Ponta kontrollierten Parlaments
unterstellt.
Weshalb diese Eile?
Patapievici ist ein
unbequemer Zeitgenosse. Als Präsident des Instituts, das dem
deutschen Goethe-Institut vergleichbar ist, schlug er ganz neue Wege
ein. Weg von amtlicher Propaganda rumänischer Kultur, hin zum offenen
Kulturaustausch. Weltweit waren Patapievici Filialen in 17
Ländern unterstellt. Patapievici suchte überall Partnerschaften mit
kulturpolitischen Initiativen, war in der internationalen Szene
gut vernetzt. Unter Pontas Regierung wird das nun rückgängig
gemacht. Fortan soll, wie es aus einem Schreiben des neuen
Kulturministers hervorgeht, das Institut vor allem die nationale
Identität der Rumänen im Ausland stärken. Doch Patapievici will sich
nicht beugen. "Es ist nur noch eine Frage von Wochen, bis ich gefeuert
werde", sagt er.
Was Patapievici bevorsteht, hat der Leiter der
Nationalen Archive bereits hinter sich. Er wurde am 15. Juni ohne jede
Begründung gefeuert, vermutlich, weil er den Zugang zu den Akten
der Kommunistischen Partei öffentlich gemacht hatte. Drei
Wochen zuvor war der parteilose Direktor des Instituts zur
Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus entlassen worden.
Überall wird aufgeräumt. Weshalb aber diese Eile? Weshalb schickte Ponta
seinen Widersacher Basescu unter Bruch der Verfassung innerhalb von
drei Tagen in die Wüste?
Monica Macovei, die frühere
Justizministerin, ist sich sicher: "Die Regierung will die Prozesse
stoppen", sagt sie. Man mag Basescu vieles vorwerfen, seinen
autoritären Stil, seine Selbstherrlichkeit. Gewiss, der
abgesetzte Staatschef hat das Neutralitätsgebot seines Amtes verletzt,
sich in Regierungsgeschäfte eingemischt und auch schon die Presse
eingeschüchtert. Und schließlich haben auch Pontas Vorgänger mit
Eildekreten regiert und Spitzenbeamten ausgewechselt - wenn
auch nicht in diesem atemlosen Rhythmus, wie es Ponta nun tat. Basescu
hat dies nie gestört. Schon immer hat die siegreiche Partei in
Rumänien den Staat als Beute begriffen. Doch muss man Basescu ein
Verdienst zugestehen: Er hat die Justiz ihres Amtes walten lassen.
Macovei setzte als frisch gekürte Justizministerin eine Ausweitung
der Kompetenzen der Nationalen Antikorruptionsbehörde durch und schuf
die Nationale Integritätsagentur, bei der seither über
300000 Angestellte des Öffentlichen Dienstes ihre Einkommen,
Vermögen und Besitztümer deklarieren mussten. "Heute sind fünf
Parlamentarier rechtskräftig zu Gefängnisstrafen verurteilt, drei von
ihnen gehören den Parteien der Regierungskoalition an, zwei meiner
eigenen Partei", sagt Macovei. Ihr Lächeln signalisiert späte
Genugtuung. Gegen dreizehn weitere Parlamentarier aus allen Parteien
laufen Strafverfahren - in der Regel wegen Korruption, Unterschlagung
öffentlicher Gelder und illegaler Geschäfte.
Das Mandat des
Leiters der Antikorruptionsbehörde läuft im August ab, das des
Generalstaatsanwalts im Oktober. Beide wurden vom Präsidenten noch auf
Vorschlag Macoveis eingesetzt. Nun befürchtet sie, dass ein neuer
Präsident die beiden tüchtigen Ermittler, die ohne Rücksicht auf
Parteizugehörigkeit die politische Klasse aufgemischt haben, bald
durch handzahme Beamte ersetzt.
Oder kommt Basescu doch wieder in
den Präsidentenpalast zurück, weil beim Referendum am Sonntag
das Quorum einer Beteiligung von 50 Prozent verpasst wird? Vor fünf
Jahren wurde er schon einmal vom Parlament abgesetzt und vom Volk
wieder eingesetzt. Damals war er allerdings ein durchaus beliebter
Politiker. Doch nachdem er vor zwei Jahren im Rahmen eines
Sparprogramms eine Kürzung der mageren Durchschnittslöhne von 370 Euro
monatlich um 25 Prozent verfügte, ist seine Popularität dahin. Nun
kann nur noch massive Wahlabstinenz Basescu retten. Mehr als der
Boykottaufruf der Opposition werden dazu die Müdigkeit der Wähler und
die Hitze beitragen, die über Rumänien gerade rechtzeitig
hereingebrochen ist. Wie ein Geschenk des Himmels.
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