Thomas Schmid, Berliner Zeitung,17.03.2012
Im Fürstentum Liechtenstein will eine Initiative die Macht des Monarchen
beschneiden - der droht beleidigt, sein Volk zu verlassen.
VADUZ. Das Schloss steht auf einer Felsterrasse, fast senkrecht über
dem Städtchen, das sich, über hundert Meter weiter unten, an
den steilen Berghang schmiegt. Die Verhältnisse sind klar. Oben der
Fürst, unten das Volk. Kein europäischer Monarch hat so viel Macht
wie Seine Durchlaucht Johannes Adam Ferdinand Alois Josef Maria
Marko d'Aviano Pius von und zu Liechtenstein, kurz Fürst Hans-Adam II., geboren 1945, oder sein erst 43-jähriger
Sohn, Seine Durchlaucht Erbprinz Alois, den er 2004 mit der
Ausübung der fürstlichen Hoheitsrechte betraut hat. Doch nun
will ein Initiativkomitee Unterschriften sammeln, um eine
Volksabstimmung zu erzwingen. Es will durchsetzen, dass
Volksentscheide künftig auch ohne das Plazet des Fürstenhauses
Gesetzeskraft erhalten.
"Ich werde unterschreiben", sagt der
Wirt eines Gasthauses in einer der nur elf Gemeinden des Landes.
Seinen Namen will er nicht nennen. Seine Frau eilt herbei und besteht
darauf, dass alles anonym bleibt: "Auch der Name unseres Dorfes darf
nicht in Ihrer Zeitung stehen. Da googelt einer im Internet, stößt auf
Ihren Artikel, auf unseren Namen, und dann können wir den Laden dicht
machen." Hier kennt jeder jeden, spricht sich alles schnell herum. Und
wer die Initiative für die Durchführung einer Volksabstimmung
unterschreibt, gilt schnell als Feind des Fürsten. 1500
Unterschriften braucht es. Nicht viel. Und doch ziemlich viel bei nur
19000 Stimmberechtigten. Wenn es klappt, wird das Volk im Sommer an
die Urnen gerufen.
"Ohne Fürst sind wir nichts"
Der Fürst
grollt. Und der Erbprinz droht. "Man wird sich mit der Tatsache abfinden
müssen, dass das Fürstenhaus das Staatsoberhaupt nur unter gewissen
Bedingungen stellt", machte Hans-Adam II. schon vor vier Wochen in
seinem traditionellen "Geburtstagsinterview" klar, "schließlich
kostet dies dem Fürstenhaus Zeit und Geld." Und Alois kündete an, das
Fürstenhaus werde sich bei einem Erfolg der Initiative "mit einem
klaren Schnitt gänzlich aus dem politischen Leben in Liechtenstein zurückziehen". Vater
und Sohn drohen dem Volk an, es zu verlassen. Was aber wäre Liechtenstein ohne das Fürstenhaus,
nach dem der Staat benannt ist? "Ohne Fürst sind wir nichts",
jammert der Volksmund.
"Wir leben in einer Mischung von
Demokratie und Monarchie", sagt Wilfried Marxer, "es ist eine Art
Zwangsehe." Marxer ist Leiter der politologischen Abteilung am Liechtenstein-Institut, einer
privaten Forschungsstätte, die ihren Sitz auf dem Kirchhügel von
Bendern hat, da wo vor über 300 Jahren die Männer aus dem
Unterland erstmals dem Fürsten von Liechtenstein die Treue schworen. "Das Fürstentum ist eine konstitutionelle
Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer
Grundlage", zitiert Marxer die Verfassung, "die Staatsgewalt ist im
Fürsten und im Volke verankert." In der Politologie spricht man von
einem dualistischen Staatsaufbau. Der Liechtensteiner ist Bürger und
Untertan zugleich.
Vor neun Jahren haben die
Liechtensteiner in einer Volksabstimmung einer
Verfassungsrevision zugestimmt, die die Machtbefugnisse des Fürsten
ausweitete. Der Monarch kann nun jederzeit die Regierung entlassen und
- wenn "erhebliche Gründe" vorliegen - den 25-köpfigen Landtag, das
Parlament, auflösen. Auch entscheidet über die Besetzung von
Richterposten letztlich er. Jedes Gesetz und jede
Verfassungsänderung, ob vom Landtag oder in einer Volksabstimmung
beschlossen, bedarf der Zustimmung des Fürsten. Nur eine Ausnahme
sieht die neue Verfassung aus dem Jahr 2003 vor: Wenn die
Liechtensteiner über eine Volksabstimmung die Monarchie abschaffen
wollen, hat der Fürst kein Vetorecht.
Das Fürstenhaus hat
unmissverständlich klar gemacht, dass es sein Veto gegen das
Gesetz einlegen wird, mit dem die Initiative sein Vetorecht
abschaffen will. Und ziemlich nassforsch hat Hans-Adam II. in seinem
"Geburtstagsinterview" die Initiative dazu aufgefordert, den
einzig rechtsstaatlichen Weg anzupeilen: eine Volksabstimmung über die
Abschaffung der Monarchie. Eine solche aber, da ist sich Marxer
sicher, hätte nicht die geringste Chance. "Die Liechtensteiner sind
eine konservative, bäuerliche Gesellschaft, ein starkes
Bürgertum hat sich hier nie entwickelt", sagt der Politologe, "dank
dem Fürstentum, so die vorherrschende Meinung, sei man von zwei
Weltkriegen verschont geblieben, dank dem Fürstentum geht es den
Liechtensteinern wirtschaftlich gut. Noch immer ist der Fürst auch der
Schutzherr."
Konservativ ist nicht nur die Gesellschaft
des Ländchens, das so groß ist wie der Berliner Bezirk Treptow-Köpenick
und 36000 Einwohner zählt, sondern auch sein Parlament. 24 der 25
Abgeordneten gehören zwei Parteien an, die beide - am europäischen
Maßstab gemessen - rechts von der Mitte angesiedelt sind, sich in ihren
politischen Positionen kaum unterscheiden und gemeinsam die Regierung
stellen. Der einzige oppositionelle Parlamentarier ist Pepo Frick. Der
60-jährige Arzt gehört der "Freien Liste" an, die sich in ihrem
Untertitel "sozial, demokratisch, ökologisch" nennt.
Frick
ist ein fortschrittlicher Zeitgenosse. Trotz des absehbaren Vetos des
Fürsten hat er einen Gesetzesvorschlag zur Legalisierung
der Abtreibung eingebracht. Anders als die beiden Regierungsparteien
begrüßt er die Volksinitiative zur Begrenzung des Vetorechts des
Fürsten. Vier Jahre lang hat der Arzt in Afrika gearbeitet. Das hat
seinen Horizont erweitert und auch den Blick auf das kleine Land
geschärft, das zwischen dem Rhein und den Vorarlberger Alpen
eingeklemmt ist. Für viele Liechtensteiner ist der einzige
Oppositionspolitiker im Parlament ein schwarzes Schaf, ein
Nestbeschmutzer. Doch nichts liegt ihm ferner als ein Sturm auf das
Schloss Vaduz. "Die Monarchie hat eine identitätsstiftende
Klammerfunktion", sagt er, "ich will sie nicht abschaffen, ich will
nur die demokratische Komponente in unserem Machtsystem
stärken. Wir müssen die Monarchie den Erfordernissen des 21.
Jahrhunderts anpassen."
Hans-Adam II. will alles oder nichts
"Wir hoffen, das Fürstenhaus wird das Votum des Volkes
akzeptieren", sagt Sigvard Wohlwend, Sprecher des Initiativkomitees, das
in einem offenen Brief die Landtagsabgeordneten auffordert, den
Abstimmungsgegenstand "nicht zu dramatisieren, um eine
unnötige Emotionalisierung zu vermeiden". Vehement
wendet es sich gegen die Unterstellung, es wolle die
Monarchie abschaffen. Ziel sei bloß, einen Beitrag zu einer maßvollen
Demokratisierung Liechtensteins beizutragen. Damit - so heißt es im
offenen Brief schon fast devot - stehe man doch im Einklang mit den
Absichten und Wünschen des Fürsten. "Hoffentlich wird die Demokratie
das dritte Jahrtausend und die weitere Zukunft der
Menschheitsgeschichte prägen", hatte Hans-Adam II. in seinem Buch
"Der Staat im dritten Jahrtausend" geschrieben.
Das Fürstenhaus
hingegen schreckt vor einer Emotionalisierung der Debatte nicht
zurück. Es polarisiert und droht, sich aus der Politik zurückzuziehen.
Es fordert das Initiativkomitee auf, eine Abstimmung über die Monarchie
als Staatsform zu erzwingen, wenn es das Vetorecht des Fürsten
nicht akzeptieren wolle. Es ist die Strategie des Alles oder Nichts.
Hans-Adam II. und Alois wissen, dass das Kalkül aufgeht, solange
sich die Liechtensteiner ihr Land ohne das Fürstenhaus, dem es seinen
Namen verdankt, nicht vorstellen können. Solange viele Bürger und
Untertanen befürchten, der Fürst könnte aus dem Schloss von Vaduz,
das hoch über dem Residenzstädtchen thront, einfach ausziehen und sie
alleine lassen.
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