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Bosnien-Herzegowina bleibt eine Ethnokratie PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 05.10.2010


Bosnien-Herzegowina ist wohl der einzige Staat Europas, in dem ein Jude nicht Präsident werden kann. Auch Roma haben keinen Zutritt zum höchsten Staatsamt. Das dreiköpfige Präsidium muss mit einem (muslimischen) Bosniaken, einem Serben und einem Kroaten besetzt werden. So sieht es die Verfassung vor. In der bosnischen Ethnokratie hat keine Chance, wer keiner der drei herrschenden Ethnien angehört oder sich ethnisch nicht einordnen will.



Es ist erfreulich, dass infolge der Wahl vom Sonntag im Präsidium künftig nicht mehr der Hardliner Haris Silajdzic, sondern der gemäßigte Bakir Izetbegovic die Muslime vertritt. Gewonnen ist damit noch nicht viel. Bosnien-Herzegowina wird erst EU-tauglich, wenn es die gültige Verfassung auf den Müllhaufen der Geschichte wirft. Es ist eine Verfassung, die das Land in zwei ethnisch definierte Bestandteile - die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska - trennt und somit die von Kriegsverbrechern mit ethnischen Säuberungen erzwungenen Grenzen festschreibt.


Milorad Dodik, als Präsident der Republika Srpska wiedergewählt, fordert offen die Abspaltung seines Landesteils, Silajdzic hingegen die Aufhebung der Zweiteilung und einen Zentralstaat, in dem faktisch die Muslime dann den Rest der Bevölkerung majorisieren könnten. Was nottut, ist aber eine Verfassung, die die Bundesebene mit mehr Macht ausstattet, als sie heute hat, und zugleich einen föderalen Staat mit Kantonen oder Regionen schafft, deren Grenzen nicht die militärisch erzwungenen und schon gar nicht ethnisch definierten sind.


Erst dies würde eine von der EU schon lang eingeklagte Polizei- und Justizreform ermöglichen, die Voraussetzung für die Bekämpfung des größten Übels des Staates ist: der Korruption, die jede wirtschaftliche Entwicklung behindert. Dann endlich hätten multiethnische Parteien eine Chance, die ethnischen Parteien, die behaupten, es gebe serbische, muslimische und kroatische Interessen, nachhaltig zu verdrängen.


Dann wird der Weg Bosnien-Herzegowinas in die EU frei. Die Alternative bedeutet Stillstand, Verarmung, Hoffnungslosigkeit - Nährboden für neuen Nationalismus. Die EU ihrerseits hat an einem schwarzen Loch Bosnien-Serbien-Albanien in einem geeinten Europa kein Interesse. Es würde Korruption und organisierte Kriminalität begünstigen und Mafiosi aller Couleur anziehen.

© Berliner Zeitung

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid