Allein unter Ladys |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 19.02.2011Der Schweizer Unternehmer René Mägli stellt in seiner Reederei ausschließlich Frauen ein. Er habe keine Mission, sagt er. Es gehe ihm nur um den ProfitBASEL. Den Rahmen steckt er gleich zu Beginn des Gesprächs ab. "Aus meinem Privatleben werde ich Ihnen nichts erzählen", sagt René Mägli entschieden, aber in durchaus freundlichem Ton, "für eine Homestory bin ich nicht zu haben, da sind Sie an der falschen Adresse." Einladungen zu Talkshows lehnt der heiß begehrte Mann grundsätzlich ab. Man kann sich Mägli, der seine Worte sorgfältig abwägt und geduldig zuhören kann, in einer Fernsehrunde, wo jeder jedem ins Wort fällt, in der Tat schlecht vorstellen. Auch für Konferenzen wird er oft angefragt. "Das schlage ich immer aus", sagt er trocken, "mein Job ist ein anderer, ich bin Geschäftsführer." Aber eben kein gewöhnlicher
Geschäftsführer. Bei René Mägli war schon das russische Fernsehen, und
auch die Heidelberger Universität hat sich für seine Firma interessiert.
Mägli leitet die Schweizer Niederlassung der Mediterranean Shipping
Company (MSC), der mit rund 50000 Mitarbeitern zweitgrößten
Frachtreederei der Welt. Da gäbe es vieles zu berichten - über
Welthandel, Transportrouten, Piraterie auf hoher See. Zu Mägli nach
Basel aber kommen sie alle nur wegen der Frauen. Denn Mägli beschäftigt
seit über zehn Jahren ausschließlich weibliches Personal, zurzeit sind
es genau 90 Mitarbeiterinnen, mehr denn je zuvor. Ein Mann und 90
Frauen - das beflügelt manche Männerfantasie. Aber René Mägli, 60 Jahre
alt, Stirnglatze, offenes Hemd, schlank und mit einer Lesebrille, die
an einer vergoldeten Kette vor der Brust baumelt, hat eher die
Ausstrahlung eines Asketen als die eines Paschas. Und seine
Mitarbeiterinnen sind gewiss kein Harem, sondern ein hochmotivierter
Trupp von Frauen, die in modernen Büros arbeiten. Er zahlt
Männerlöhne René Mägli ist kein Lohndrücker, der auf billige
Arbeitskräfte setzt. Die Frauen seiner Firma verdienen branchenübliche
Männerlöhne. Der Geschäftsführer hat es sich von der Gewerkschaft
bestätigen lassen. Wer ihn verdächtigt, Frauen einzustellen, weil sie
sich mehr gefallen ließen als Männer, liegt ebenfalls falsch. Mägli geht
es auch nicht um Quote oder um Frauenemanzipation. Er hat keine
Mission, fühlt sich nicht als Avantgardist. Es geht ihm bloß ums
Geschäft. Wie jeder Unternehmer will er Profit machen und zwar möglichst
viel. "Ich bin Unternehmer", sagt René Mägli, "und wenn ich Stellen
zwar geschlechtsneutral ausschreibe - alles andere wäre diskriminierend
-, aber dann doch nur mit Frauen besetze, dann aus absolut kommerziellen
Gründen." Im Dienstleistungssektor, so behauptet er, seien Frauen nun
mal einfach besser. Der Geschäftsführer spricht aus Erfahrung:
"Frauen sind teamfähiger als Männer, die einen großen Teil ihrer Kräfte
in Machtkämpfen verpuffen lassen. Frauen sind emotionaler und
kommunikativer, sie finden schneller den Draht zu den Kunden, können
besser auf deren Wünsche eingehen. Frauen handeln sachorientierter,
Männer hingegen schauen eher auf ihren eigenen Vorteil." Und noch etwas
hat Mägli festgestellt: "Frauen verstehen es besser, Prioritäten zu
setzen. Das ist in unserem Geschäft wichtig. Wir sind ein
Dienstleistungsunternehmen, in dem es hektisch zugeht, in dem schnell
entschieden werden muss, was vorrangig und was nachrangig ist." Von
Hektik ist in der Schweizer Niederlassung der MSC in Basel wenig zu
spüren, aber auf den drei Etagen eines unauffälligen Gebäudes in der
Baseler Altstadt wird emsig gearbeitet. Die Frauen verschieben auf dem
Papier und im Computer Tonnen von Kohle und Baumwolle und allerlei
Gebrauchswaren quer über die Meere und Kontinente, berechnen Preise,
machen Angebote, schließen Verträge ab. Im vordigitalen Zeitalter ging
es in Reedereien wohl wie auf Börsen zu: schreiende Männer mit zwei
Telefonhörern in der Hand und zwei weiteren unter den Arm geklemmt. "Das
Shipping ist noch immer eine Männerdomäne", erklärt René Mägli, der nur
mit Frauen arbeitet. "Frauen sind besser", sagt der Mann, "aber
man muss es ihnen immer wieder sagen. Männer hingegen meinen stets, dass
sie ohnehin die Besten seien." Gibt es denn unter Frauen keine
Konkurrenz? "Meine Ladys" - Mägli nennt seine Mitarbeiterinnen mit
Vorliebe so, ohne dass sich dies herablassend anhört, eher schwingt
Stolz in seiner Stimme mit - "sind bestimmt keine Heiligen, aber
Zickenkrieg gibt es nicht." Ob er das denn überhaupt mitkriegen würde?
Das läuft doch eher versteckt ab. "Natürlich würde ich das merken",
behauptet Mägli, "ich arbeite mit ihnen, im Großraumbüro." In der Tat,
der Chef hat kein Chefbüro und auch keine Chefsekretärin. Er hat
überhaupt keine Sekretärin. "Alles nur Machtgehabe", sagt er, "ich kann
doch meine Mails selber schreiben, ich habe zehn Finger." Das Telefon
nimmt er selbst ab, und auch seinen Terminkalender führt er selber. Das
Interview findet im großen Sitzungszimmer mit dem langen Konferenztisch
statt. An der Wand ist das Modell eines Containerfrachtschiffes
ausgestellt. Daneben hängt Claude Monets "Veduta di Venezia" und bringt
etwas mediterranes Ambiente ins Büro der Mediterranean Shipping Company
im Binnenstaat Schweiz. Hier führt der Chef auch ab und zu
Einstellungsgespräche. Ansonsten arbeitet er bei seinen Ladys, nicht,
weil er sie unter Kontrolle haben will - "aber die Kommunikation läuft
halt schneller, man tauscht sich aus, gibt sich einen Hinweis, ich kann
meine Erfahrung herüberbringen." In der Betriebswirtschaftslehre heißt
das flache Hierarchie. Flacher als hier geht es kaum. "Mir ist
wichtig, dass die Frauen zu mir kommen, wenn sie ein Problem haben",
sagt René Mägli in ziemlich väterlichem Ton, "bei mir muss niemand Angst
haben, wenn er einen Fehler gemacht hat. Aus Fehlern lernen wir. Wer
einen Fehler gemacht hat, muss ein Fehlerprotokoll erstellen und einen
Verbesserungsvorschlag vorbringen. Diese Fehlerprotokolle benutzen wir
dann für die interne Schulung." Alle Mitarbeiterinnen werden wöchentlich
zwei bis drei Stunden geschult - da geht es um Frachtpapiere, Führung
von Kundengesprächen, aber auch allgemeines Wissen über Reedereien und
Schifffahrt wird vermittelt. "Wussten Sie, dass 75 Prozent des gesamten
Weltkaffeehandels über die Schweiz laufen?" René Mägli hat an
keiner Universität Betriebswirtschaft studiert, an keiner Managerschule
Personalführung gelernt. Er ist Sohn eines "Büezers", wie er sagt. So
nennt man in der Schweiz respektvoll die einfachen Arbeiter. Er hat eine
Speditionslehre gemacht und daneben eine Kaufmännische Berufsschule
besucht. Nach der Lehre ging er ins Ausland und fand in Rotterdam bei
der Holland-Amerika-Linie, die damals noch weltweit Frachtschiffe
betrieb, inzwischen aber auf Kreuzfahrten spezialisiert ist, eine
Anstellung. Mit 23 Jahren wurde er bereits Geschäftsleiter einer
Reederei in Basel. "Meine Ladys mahne ich immer wieder: Ihr habt einen
Nachteil, ihr seid Frauen, ihr müsst besser als Männer sein", sagt
Mägli, der mit drei Schwestern aufgewachsen ist, "als junger
Geschäftsführer musste ich besser sein, als es meinem Alter entsprach.
Wenn ich nicht gut war, nannte man mich einen Grünschnabel; wenn die
Frau nicht gut ist, heißt es: typisch Frau." Ob da vielleicht eine
Frauenquote von Vorteil wäre? In die deutsche Debatte mag sich der
Schweizer nicht einmischen. Aber in seinem Land wünscht er sich keine
Quote: "Der Staat braucht nicht alles zu regeln." Im übrigen ist in der
Schweiz, die erst 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt hat, die Mehrheit
des Regierungskabinetts weiblich. Drei Ministern stehen vier
Ministerinnen gegenüber. "Aber dadurch wird die Politik nicht besser",
meint René Mägli, "die sind doch Sklavinnen ihrer Parteien." Nein,
Frauen seien nicht die besseren Menschen, wirklich nicht. Er habe
auch gar nichts gegen die Männer, beteuert der Baseler Unternehmer,
wirklich nichts, er sehe das ganz pragmatisch. Aus rein wirtschaftlichen
Gründen arbeite er ausschließlich mit Frauen. Eine US-Studie habe
gezeigt, dass im Dienstleistungsbereich mit dem steigenden Anteil von
Frauen in der Belegschaft auch der Umsatz steige. Mäglis
Betriebsergebnisse können sich jedenfalls sehen lassen: 20bis 25 Prozent
Umsatzsteigerung hat der Mann, der mit 90 Frauen arbeitet, in den
letzen Jahren erzielt. Erst die Weltfinanzkrise hat zu einem Einbruch
geführt. Aber seit vergangenem Jahr geht es schon wieder aufwärts - dank
der Frauen, sagt der Baseler. Im Übrigen hoffe er, meint er
augenzwinkernd, dass sein Beispiel nicht Schule mache. "Sonst verliere
ich ja meinen Konkurrenzvorteil." Patrizia Di Geronimo kennt die
Zahlen auswendig. Sie ist Finanzchefin. Mägli lässt sie nicht
herbeirufen. Er geht sie selbst holen und zieht sich danach in sein
Großraumbüro zurück. Di Geronimo ist 24 Jahre alt und hätte wohl bei
jedem Model-Casting gute Chancen: schlank, blondes langes Haar,
selbstbewusstes Auftreten. Sie ist halb Italienerin, halb Deutsche, aber
in der Schweiz aufgewachsen - eine Seconda eben, wie man in der
Eidgenossenschaft eine Migrantin der zweiten Generation bezeichnet. Ein
Migrationshintergrund ist auch in der Schweiz nicht unbedingt
karrierefördernd. "Doch unsere Ladys", sagt Di Geronimo, der der
Ausdruck mühelos über die Lippen geht, "sind zu 80 Prozent
Ausländerinnen oder haben mindestens einen ausländischen Elternteil. In
der Verkaufsabteilung haben wir Ladys aus Israel, Russland, Spanien,
Italien, Frankreich und Deutschland." Die Finanzchefin weiß dies
durchaus zu schätzen: "Wir arbeiten weltweit. Da ist doch
Vielsprachigkeit wichtig." Di Geronimo kam als 15-Jährige zu
Mägli. Sie absolvierte eine kaufmännische Lehre in seiner Firma, blieb
nach dem Abschluss drei weitere Jahre bei ihm, ging dann aber weg, um
anderswo Erfahrungen zu sammeln. Noch sehr jung, erhielt sie bei einer
Tochterfirma von Dr. Oetker eine Leitungsfunktion. "In der Führungsetage
war ich immer allein unter Männern", erinnert sie sich, "und oft wurde
ich wegen meines Alters nicht ernst genommen." Sie stieß an die berühmte
gläserne Decke. Ende der Fahnenstange. Für viele Frauen kommt das
Ende der Karriere mit der Schwangerschaft. Vielleicht will auch Di
Geronimo eines Tages Kinder haben. Bei Mägli kein Problem. Nach dem
Mutterschaftsurlaub kann jede Frau selbst entscheiden, zu wie viel
Prozent sie arbeiten will. Das gilt selbst für Kader, wie hier die Ladys
in Leitungsfunktionen genannt werden. Im Übrigen, sagt die Finanzchefin
der Firma, die eine Frauenquote von 99 Prozent hat, sei sie natürlich
für die Frauenquote. Absolut. Erst im September kam Patrizia Di
Geronimo zur Schweizer Niederlassung von MSC zurück und wurde gleich
Finanzchefin. Einige, die schon Jahre oder Jahrzehnte in der Firma
arbeiten, mag das gewurmt haben. "Es ist hier nicht alles Paradies,
nicht alles rosarot, es gibt auch unter uns Ladys mal Konflikte", gibt
sie zu und meint dann etwas kryptisch verschmitzt: "Aber das ist dann
oft schnell erledigt - auch weil man nicht alles in Männersprache
übersetzen muss." Aber wäre es nicht angenehmer, einige Männer am
Arbeitsplatz zu sehen, eine gemischte Belegschaft zu haben, in der es
auch mal erotisch knistert? Ein Lied als Geschenk Eine
Umfrage vor drei Jahren ergab zweierlei. Einerseits empfänden immerhin
43 Prozent der Ladys die Präsenz einiger Männer durchaus als
Abwechslung. Andererseits: Je länger die Frauen hier arbeiten, desto
weniger vermissen sie die Männer. Ausgerechnet der einzige Mann im
Betrieb hier ist der Chef. Hat Patrizia Di Geronimo da kein Problem?
"Er ist für mich wie ein Vater", sagt sie versonnen, "wenn ich Fragen
habe, kann ich zu ihm gehen, und er steht immer zu mir." Dann fügt sie
lachend hinzu: "Wenn Herr Mägli eine Frau wäre, fände ich das auch
okay." Aber René Mägli ist nun mal ein Mann. Ein ungewöhnlicher
Mann, der weiß, was er an seinen Frauen hat. "Sie sind mein wichtigstes
Kapital", sagt er, "und einmal im Jahr, an Weihnachten, denke ich mir
etwas Besonderes aus, um ihnen ein Dankeschön zu sagen." Das zweifellos
originellste Weihnachtsgeschenk hat der Boss seinen Ladys vor zwei
Jahren gemacht. Er engagierte den Schweizer Musiker Bo Katzmann, der
einen Gospel-Chor leitet, für die Produktion einer CD. Gemeinsam übten
die Frauen verschiedene Lieder ein. Eines trägt den Titel "The Ladies of
MSC". Die letzte Strophe lautet übersetzt: "Wir arbeiten mit unseren
Händen/ Wir kommunizieren mit unserem Verstand/ Wir können das gut ganz
ohne Männer/ Yes we can." Getextet hat den Song René Mägli. |