Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 07.09.2013
Der Genfer Rechtsanwalt Enrico Monfrini spürt den
illegal zusammengerafften Geldern gestürzter
Diktatoren nach.
GENF. Für 50 Gramm
Belugakaviar zahlt man hier 472 Franken, umgerechnet 400 Euro. Ein
Füllfederhalter kostet 700, eine Uhr 10000 Euro. Edelboutiquen,
schicke Modegeschäfte und sündhaft teure Delikatessenläden säumen die
Place du Molard im Zentrum von Genf. Hier hat Enrico Monfrini sein
Büro. Das dunkle Holz der Wandregale, der antike Schreibtisch und die
schweren Vorhänge, die Licht und Lärm der Außenwelt zurückhalten,
verleihen der geräumigen Kanzlei des 69-jährigen
Rechtsanwalts eine düstere, unheimliche Note. Es ist das passende
Ambiente für den Mann, der den illegal erworbenen Vermögen gestürzter
Potentaten nachspürt.
Monfrini ist ein vornehmer, zuvorkommender
und charmanter Mann. Er wägt seine Worte genau, prüft die Wirkung, die
sie hinterlassen. Mit Mimik spart er nicht. Er zieht seine buschigen
Augenbrauen hoch, um Groll zu markieren, senkt die Mundwinkel,
um Verachtung auszudrücken, lächelt schalkhaft, wenn er etwas
verschweigen will. Und die Tränensäcke unter seinen Augen
verraten, dass er sich an keine 40-Stunden-Woche hält.
Ben Ali und sein Clan
Der neueste Auftrag beschäftigt Monfrini nun schon seit zwei Jahren.
Im September 2011, die Jasmin-Revolution in Tunesien lag gerade acht
Monate zurück, beauftragte ihn die dortige Regierung, die kriminell
erworbenen Vermögen des geflüchteten Diktators Zine el Abidine Ben Ali
und seines Familienclans ins Land zurückzubringen. "Mein Mandat
erstreckt sich auf die ganze Welt", sagt der Anwalt.
Zunächst
beschäftigte er sich mit Ben Alis Geldern in der Schweiz, "weil die
Schweiz das erste Land war, das die Vermögen des Diktators und seines
Clans blockiert hat - schon fünf Tage nach seiner Flucht". 60 Millionen
Franken von Ben Ali, seiner Frau Leila Trabelsi und von 46 weiteren
Personen, die dem Clan des illustren Paars zugerechnet werden, liegen
in der Schweiz auf gesperrten Konten geparkt. Es ist nur ein
Bruchteil ihres Fluchtkapitals. Ben Alis Vermögen wurde im Jahr 2008
von Forbes auf fünf Milliarden Dollar geschätzt. "Und auf
meiner Liste stehen nicht nur 48 Personen", sagt Monfrini, "sondern
300."
Fürs Erste wenigstens die 60Millionen Franken loszueisen,
ist nicht einfach. "Offiziell heißt es, man werde alles unternehmen,
damit das Geld schnell nach Tunesien zurückkommt. Aber man unternimmt
überhaupt nichts, man wirft mir nur Knüppel zwischen die Beine",
klagt Monfrini. "Ich darf zwar die Dossiers bei der
Bundesanwaltschaft einsehen, aber sie nicht kopieren. So muss ich
Blatt für Blatt abschreiben. Das ist extrem zeitaufwendig."
Trotz
solcher Widrigkeiten gilt die Schweiz weithin als Musterknabe, was die
Rückgabe illegal erworbener Vermögen betrifft. In den letzten 15 Jahren
wurden nach Angaben der Weltbank weltweit vier bis fünf
Milliarden Dollar zurückerstattet, 1,7 Milliarden davon allein durch
die Schweiz. Das hat wohl weniger mit Moral zu tun als mit handfesten
Interessen. "Schließlich sind Fragen der Reputation und der Integrität
mehr denn je Schlüsselfaktoren im globalen Wettbewerb unter
Finanzplätzen", argumentiert die Regierung in Bern, die an einem neuen
Bundesgesetz "über die Sperrung und die Rückerstattung
unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte politisch exponierter Personen"
arbeitet. Das Land habe "kein Interesse daran, dass sein
Finanzplatz missbraucht wird, um Gelder zu verbergen, die ... der
Bevölkerung im Herkunftsstaat zugutekommen sollten".
Dass die
Rückerstattung illegal erworbener Vermögen in der Schweiz heute
schneller vonstatten geht als früher, rechnet sich Monfrini als
eigenes Verdienst an. Sein größter Erfolg war der Fall Sani Abacha.
Abacha hatte Nigeria von 1993 bis zu seinem Tod 1998 regiert. Im Jahr
2005 gelang es dem Anwalt, der als Diplomatensohn seine
Jugend in Afrika verbrachte, insgesamt 1,3 Milliarden Franken, die
der Diktator gehortet hatte, an Nigeria zurückzuerstatten. Mit
einem Teil des Geldes wurden unter Aufsicht der Weltbank Krankenhäuser
und Straßen gebaut.
"Auf meine Initiative hin", sagt
Monfrini, "hatte der Bundesanwalt gegen Abacha eine Klage wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung eingereicht." Das Bundesgericht
urteilte im Sinne der Anklage. Es war das erste Mal, dass in der
Schweiz ein Staatschef - allerdings postum - und seine
Entourage als kriminelle Organisation eingestuft wurden. Damit war die
Umkehr der Beweislast gegeben: Nun mussten die Angeklagten beweisen,
dass sie das Geld legal erworben hatten, und nicht mehr der Ankläger,
dass es aus illegalen Quellen stammt.
Auch Ben Ali und sein
Clan wurden vom Schweizer Bundesgericht als kriminelle
Organisation eingestuft. Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam. "Als
ich von der spanischen Polizei informiert wurde, dass in Marbella
eine acht bis neun Millionen Dollar teure Yacht von Kais Ben Ali, dem
Neffen des Diktators, liege, hat es ein Jahr gedauert, bis wir die
Beschlagnahme durchsetzen konnten", klagt Monfrini. "Erst im April
dieses Jahres wurde sie an Tunesien zurückgegeben. Im Mai folgte dann
eine in Italien beschlagnahmte Yacht, die Belhassen Trabelsi gehörte,
dem Schwager Ben Alis."
Das 20 Millionen teure Privatflugzeug
von Sakher El Materi, Schwiegersohn der Präsidentengattin Leila
Trabelsi, wurde schon im vergangenen Jahr dem tunesischen Staat
übereignet. "Aber von den 60 Millionen Franken auf den Schweizer
Konten ist noch kein einziger Rappen zurückerstattet", resümiert
Monfrini. "Die Tunesier müssen noch Dokumente liefern. Dann wird man
wohl Ende des Jahres die blockierten Gelder konfiszieren. Die
Anwälte von Ben Ali und seinem Clans werden Rekurs beantragen,
zunächst beim Bundesstrafgericht, dann beim Bundesgericht, und im
nächsten Jahr wird das Geld nach Tunesien überwiesen werden."
Fensterblick auf Lenin
Abacha, der Haitianer Jean-Claude Duvalier alias "Baby Doc",
Mobutu Sese Seko aus dem früheren Zaire und nun also Ben Ali: Seit 14
Jahren ist der Anwalt den Geldern gestürzter Potentaten hinterher.
Andere in seinem Alter würden allmählich an die Pensionierung denken.
Nicht so Monfrini. Die Jagd nach den Millionen der Kleptokraten ist
seine Lebensaufgabe geworden.
Bevor seine Karriere mit der
Suche nach den Geldern Abachas eine neue Richtung nahm, hatte sich
Monfrini zwanzig Jahre lang oft um diejenigen gekümmert, die vor
dessen Diktatur in die Schweiz geflohen waren. "Ich werde Ihnen etwas
zeigen", sagt der Anwalt zum Abschied und schiebt den schweren Vorhang
zurück. Tageslicht durchflutet den düsteren Raum. Das Fenster gibt den
Blick frei auf die Place du Molard und einen Wehrturm aus dem 16.
Jahrhundert, in dessen Wand eine große Gedenktafel eingelassen ist.
Sie verkündet: "Genève, cité de refuge" - Genf, Stadt der Zuflucht.
Ein Relief in Überlebensgröße darunter zeigt einen
kahlköpfigen Mann, den eine gütige Hand beschützt. Es ist Lenin. Der
russische Revolutionär hatte hier in Genf an seinem Werk
"Materialismus und Empiriokritizismus" gearbeitet - als
Flüchtling, verfolgt von der Zaren-Herrschaft.
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