JOUMANA HADDAD - Die Mörderin Scheherazades |
![]() |
![]() |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 14.11.2013 Beirut – Die
libanesische Journalistin und Schriftstellerin Joumana Haddad bricht
Tabus der arabischen Welt. Sie schreibt offen über Sexualität und
erklärt sich zur Atheistin. Im Libanon gilt sie als Skandalnudel. Aber der
Skandal ist nicht sie, Joumana Haddad, 42, Lyrikerin, Journalistin,
Feministin. Der Skandal sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die
Heuchelei und Verlogenheit fördern, die Unterwerfung zur Tugend erklären
und Selbstverachtung produzieren. Gesellschaftliche Verhältnisse, in
denen Macht, Sex und Religion eine unheilige Allianz eingehen und in
denen ein Häutchen zwischen den Schenkeln der Frau über ihre Ehre
entscheidet. Joumana Haddad nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um
Grundsätzliches geht. Haddad leitet das Feuilleton
von an-Nahar, der größten und wichtigsten Zeitung des Libanons, die
Redaktionsräume liegen im Herzen von Beirut. Im Büro der
Feuilletonchefin stapeln sich Manuskripte, Zeitschriften, Bücher, einige
davon hat sie selbst geschrieben. Nebenbei lehrt sie Italienisch und
Spanisch an der Universität. Haddad ist ein
Energiebündel, sie strahlt Optimismus und Selbstgewissheit aus. Sie ist
schlank, modisch gekleidet, trägt ihr langes Haar offen – und ist
vermutlich die Traumfrau vieler libanesischer Männer. Solange sie den
Mund nicht aufmacht. Denn sie kann sich über die Arroganz von Männern
aufregen und über ihre Dummheit lachen, verschont allerdings auch ihre
Geschlechtsgenossinnen nicht. Obsession und Heuchelei Bekannt
wurde Joumana Haddad weit über die Landesgrenzen hinaus, als sie vor
fünf Jahren Jasad gründete, das erste erotische Kulturmagazin im
arabischen Raum. Der Name war Programm, Jasad heißt zu deutsch: Körper.
Da wurden Texte über Sexualität mit Aquarellen von Kamasutra-Stellungen
illustriert, Phallus-Skulpturen verschiedener Epochen gezeigt, auch
gelebte Homosexualität war ein Thema. „Man schalt mich unmoralisch,
zügellos, sittenwidrig, sündhaft, verdorben, gemeingefährlich“, rattert
sie genüsslich die Attribute hinunter, die ihr um den Kopf flogen, „aber
ich erhielt auch viel Zuspruch, vor allem von Frauen, gerade weil ich
an Tabus rührte.“ „Es war ein publizistischer
Erfolg“, sagt Haddad, „wir verkauften 4500 Exemplare pro Ausgabe, aber
nach zweieinhalb Jahren und neun Nummern war Schluss. Ich dachte, ich
könnte das Magazin über Werbung finanzieren, die Agenturen hatten jedoch
Angst, Klienten aus den konservativen reichen Golfstaaten zu
verlieren.“ Jetzt plant die sie eine digitale Version – mit Apps für
Smartphones und Tablets. „Das ist deutlich billiger.“ Aufgewachsen
ist Haddad in bescheidenen Verhältnissen. Der Vater arbeitete in einer
Druckerei, die Mutter kümmerte sich um den Haushalt und die beiden
Kinder und ging täglich zur Messe. „Noch immer benetzt mich die Mutter
mit Weihwasser und segnet mich, wenn ich sie besuche“, sagt die
Journalistin, „in der Hoffnung, dass ich den Weg zu Gott wieder finde.“ Man
kann sich vorstellen, wie es der tief gläubigen Frau ergangen sein
muss, als sie das Buch „Wie ich Scheherazade tötete“ las, verfasst von
ihrer eigenen Tochter. Über ihre Kindheit schreibt diese: „In den frühen
Phasen meines Lebens gab es nur zwei Dinge, die ich zu tun für wert
befand, wann immer ich Gelegenheit hatte, allein zu sein: Lesen und
Masturbieren. Beide Genüsse bedurften der Einsamkeit, um voll
ausgekostet zu werden.“ Das Buch, das Haddad auf Englisch geschrieben
hat, erschien vor zwei Jahren auch auf Arabisch. „Meine Mutter war sehr
besorgt“, erzählt Joumana Haddad, „sie sagte: ‚Was werden wohl meine
Freundinnen in der Kirche sagen, wenn sie merken, dass du solche Texte
schreibst?‘“ „Die Araber“, sagt die Tochter heute,
„haben ein verklemmtes Verhältnis zu ihrem Körper, Sexualität ist bei
uns eben doch noch sehr tabuisiert.“ Und Tabus bricht Joumana Haddad mit
Lust. Als erstes und bisher einziges Buch in ihrem eigenen Verlag hat
sie „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ herausgegeben, in dem
Catherine Millet, Chefredakteurin einer französischen Kulturzeitschrift,
über ihre eigenen Erfahrungen mit Gruppensex und Swingerszene
berichtet. „Körper und Erotik sind nun mal meine
wichtigsten Quellen der Inspiration“, sagt Haddad. Gewiss weiß die Frau,
die unter anderen Umständen vielleicht als Model Karriere gemacht hätte,
um ihre eigene Ausstrahlung. Dass man ihr unterstellt, sie sei
Nymphomanin und schreibe pornografische Texte, daran hat sie sich
gewöhnt – oft seien solche Vorwürfe Ausdruck heimlicher sexueller
Obsessionen, befindet sie. Nichts aber erzürnt sie so sehr wie Heuchelei
und Doppelzüngigkeit. Bei aller Liebe zur arabischen Sprache, die reich
an Bildern und Allegorien ist, schätzt sie auch das klare Wort.
Geschrieben liest sich das bei ihr so: „Warum ein Risiko eingehen und
von Brüsten sprechen, wenn man sich über Hügel oder Berge (je nach
Körbchengröße) und über Äpfel und Birnen (je nach Form der Wölbung)
ergehen kann? Warum Gefahr laufen, das Feingefühl des Lesers durch
namentliche Erwähnung der Klitoris zu verletzen, wenn man mit etwas
Fantasie auch von der ‚Paradiesesblüte‘, der ‚Himmelslippe‘ oder, wenn
man es richtig drauf hat, von ‚des Vulkans Türknauf‘ schwärmen kann?“ Diese
Sätze stehen in Haddads Buch „Wie ich Scheherazade tötete“. Die
Märchenerzählerin aus „Tausendundeiner Nacht“ rettete ihr eigenes Leben,
indem sie den Sultan mit immer neuen Geschichten einlullte. Deshalb
gilt sie als geschickt und klug. Joumana Haddad sieht das anders:
„Frauen soll eingeredet werden, sie könnten es im Leben zu etwas
bringen, wenn sie nur dem Mann gefällig und zu Diensten sind, sei es,
indem sie ihm schöne Geschichten erzählen oder ihm ein leckeres Essen
servieren, sei es durch ein Paar Silikontitten, einen guten Fick oder
was auch immer.“ Das Verhältnis zwischen den
Geschlechtern ist das zentrale Thema ihres zweiten Essaybandes, den sie
auf Englisch geschrieben hat, er trägt den Titel „Superman ist Araber“.
Haddad hat Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer gründlich gelesen. Der
feministischen Bewegung der Sechzigerjahre verdanke sie viel, sagt die
1970 geborene Publizistin. Doch wirft sie ihr vor, den Mann zum Feind
gestempelt zu haben. „Gewiss, in der arabischen Welt wird der Körper der
Frau als Besitz des Mannes begriffen“, sagt sie, „aber dass dies so
ist, daran sind auch Frauen schuld, Mütter, die ihre Söhne zu Machos
erziehen und ihre Töchter zu unterwürfigen Ehefrauen.“ So
sehen sie aus, die realen Machtverhältnisse. Die Männer können ihre
Sexualität ausleben, die Frauen sollen jungfräulich in die Ehe
eintreten, weshalb sich viele unverheiratete Frauen das Hymen vor der
Hochzeit wieder zunähen lassen. Bei diesem Thema ist Joumana Haddad
nicht zu bremsen: „Die Frauen betrachten ihren Körper nicht als ihr
Eigentum, sondern als Geschenk an den Mann. Und der Mann hat einen
solchen Mangel an Selbstvertrauen, dass er es nötig hat zu glauben, er
sei im Leben seiner Frau der Erste. So beginnt eine Ehe, die auf Lügen
gebaut ist.“ Zweimal hat Haddad geheiratet, den
zweiten Mann auf Zypern, weil im Libanon nur eine religiöse, aber keine
zivile Eheschließung möglich ist. Zweimal hat sie sich scheiden lassen.
Ihre Söhne, heute 21 und 14 Jahre alt, hat sie im Wesentlichen allein
aufgezogen. Heute hält sie die Ehe für eine patriarchalische
Institution, die unter dem Joch der Religion steht. Bald wird die
arabische Ausgabe von „Superman ist Araber“ erscheinen, ein neuer
Skandal ist ihr sicher, das für diese Ausgabe verfasste Vorwort trägt
den Titel „Weshalb ich Atheistin bin“. Religion ist noch stärker
tabuisiert als Sex. Unheilige Dreifaltigkeit Haddad,
streng katholisch erzogen, nimmt in ihrer Suada keine der drei
monotheistischen Religionen aus. Der christliche Gott hat keine Brüste,
sondern einen Bart, er hat keine Tochter, aber einen Sohn, und der hat
zwölf Apostel, unter ihnen keine Frau. Im Talmud steht, es sei
„tausendmal besser, die Thora zu verbrennen, als sie einer Frau zu
geben“. Und Allah hat einen Propheten geschickt, Mohammed, der ungefähr
(die genaue Zahl ist umstritten) zehn Frauen hatte, von denen jede aber
nur ihn als Mann hatte. Über die Dreifaltigkeit
von Sex, Religion und Macht kann sich Haddad in Rage reden. Mit Verve
verteidigt sie ihre radikalen Ansichten. Aber es gibt noch eine andere
Joumana Haddad, die ruhig, warm, nachdenklich über ihre Herkunft
spricht, über ihre christlichen Eltern, über ihre Großmutter, eine
Armenierin aus Anatolien, die als Kind den Genozid im Osmanischen Reich
überlebte, nach Aleppo zog, dort heiratete und mit ihrem Mann nach
Beirut umsiedelte, wo sie sich als 65-jährige Frau umbrachte. Joumana
war damals sieben Jahre alt. Viele Jahre später hat sie ihre Mutter
gebeten, ihr die armenische Sprache beizubringen. Und so spricht sie
heute neben Arabisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und
Spanisch auch Armenisch. Als Hommage an ihre
Großmutter hat Haddad eine Anthologie mit Texten von 150 Poeten
herausgegeben, die sich das Leben genommen haben. Danach hat sie über
zwölf Lyrikerinnen, die Selbstmord begangen haben, einen Gedichtband
verfasst. Auf Arabisch. Er trägt, frei übersetzt, den Titel „Spiegel der
Frauen, die im Traum vorübergehen“. „Ich habe versucht, zum Zeitpunkt
ihres Suizids in ihre Haut zu schlüpfen“, sagt sie. Es ist ein sehr
einfühlsames Buch. Anders als ihre Bücher über Sex und Machismo hat es
keinerlei Aufsehen erregt. ©Berliner Zeitung |