Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 19.07.2014
Die Waffen werden schweigen - morgen, in einer Woche, vielleicht auch
erst in einem Monat. Dann wird man Bilanz ziehen. Die Palästinenser
werden die Toten zählen, die Israeli die abgefangenen Raketen und die
zerstörten Abschussrampen. Auf der einen Seite wird sich noch mehr mit
Antisemitismus vermischter Hass aufgestaut haben, auf der anderen Seite
noch mehr von Rassismus durchtränkte Verachtung. Und eine dauerhafte
Lösung des Konflikts wird noch schwieriger werden.
Aber will überhaupt jemand der führenden Politiker eine dauerhafte
Lösung? Was die Hamas betrifft, darf man dies füglich bezweifeln. Sie
braucht den Konflikt. Er ist ihr Lebenselixier. Sie war vor dem
aktuellen Krieg geschwächter denn je. Ihr Rückhalt bei der Bevölkerung
ist in letzter Zeit rapide geschwunden. Nun hofft sie, dass sich die
Reihen wieder schließen und Hass und Ohnmacht angesichts der Bomben des
übermächtigen jüdischen Staates ihr neue Anhänger zutreiben.
Und Israel? Hätte es an einer dauerhaften Lösung ein Interesse, müsste
es die gemäßigte, laizistische PLO stärken, zwecks deren Schwächung es
einst die Hamas gefördert hat. Stattdessen läuft die israelische Politik
seit Langem auf eine permanente Demütigung der PLO hinaus.
Seit der Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens war in
Jerusalem keine Regierung je ernsthaft bereit, einen unabhängigen,
überlebensfähigen palästinensischen Staat mit zusammenhängendem
Territorium zu akzeptieren und sich aus dem völkerrechtswidrig
annektierten Ost-Jerusalem zurückzuziehen. Ausnahmslos jede israelische
Regierung hat - ebenfalls völkerrechtswidrig - immer weitere Siedlungen
gebaut und damit eine dauerhafte Lösung erschwert. Ohne eine solche aber
wird im Gaza-Streifen, wo 1,8 Millionen Palästinenser im "größten
Gefängnis mit Meeresblick" leben, jede Waffenruhe wieder von einem
Waffengang abgelöst werden.
Gewiss, die israelische Regierung hat ein Recht darauf und auch die
Pflicht, ihre Bürger vor dem Terror wahllos einschlagender Raketen zu
schützen. Doch wird Israel mit der nun angelaufenen Bodenoffensive
nachhaltig an Sicherheit gewinnen? Nach der dreiwöchigen Operation
"Gegossenes Blei" von 2008/2009 hatte die Hamas ihre Waffenarsenale
schon bald wieder gefüllt. Und auch nach dem Gaza-Konflikt von 2012
hatte sie wieder aufgerüstet. Zum ersten Mal erreichten ihre Raketen in
der vergangenen Woche sogar die Großstadt Tel Aviv.
Mag sein, dass es der Hamas diesmal schwerer fällt, die abgeschossenen
Raketen zu ersetzen. Aber nicht wegen der israelischen Angriffe, sondern
wegen des veränderten internationalen Umfelds. In Ägypten sind nicht
mehr die befreundeten Muslimbrüder an der Macht, und seit die Hamas sich
im syrischen Bürgerkrieg auf die Seite der Rebellen geschlagen hat,
hält sich der Iran, der den syrischen Diktator nach Kräften stützt, mit
Waffenhilfe zurück. Aber Katar wird einspringen.
Im Übrigen scheint Israel kein Interesse an einer Zerschlagung der Hamas
zu haben. Denn weit radikalere Gruppen, die mit Al-Kaida verbandelt
sind, könnten das Vakuum füllen. Außerdem bietet die Hamas mit ihrer
Rhetorik und ihren Raketenangriffen immer wieder einen bequemen Vorwand,
Verhandlungen zu verzögern, auszusetzen, abzubrechen.
Aber auch für Israel hat sich das internationale Umfeld verändert. Der
israelisch-palästinensische Konflikt, der seit Jahrzehnten im Zentrum
jeder Nahostpolitik stand, verliert an regionaler Bedeutung. In Syrien
herrscht Bürgerkrieg, und im Irak stehen die Dschihadisten vor Bagdad.
Mit dem möglichen Zerfall beider Staaten tun sich für Israel ganz neue
Gefahren auf. Angesichts der dramatischen Lage im Nahen Osten ist nicht
auszuschließen, dass die USA zu einer Zusammenarbeit mit dem Iran
finden, um den Flächenbrand einzudämmen.
Der Nahe Osten ist dabei, sich in einen Hexenkessel zu verwandeln. Für
Obama könnte dies Anlass sein, mit massivem Druck auf seinen Schützling
im Nahen Osten eine Zweistaatenlösung zu erzwingen und so einen
Brandherd auszulöschen, der jeden Krieg in der Region zu befeuern droht.
Der US-Präsident hat bislang nur halbherzig versucht, Israel zum
Einlenken zu bewegen. Jetzt muss er um keine Wiederwahl mehr bangen.
Israel ist abhängig von amerikanischer Wirtschafts- und Waffenhilfe. So
sind die USA die letzte Hoffnung, die wohl trügt. Israel wie
Palästinenser, beide befangen in ihrer eigenen Logik, sind zu einer
dauerhaften Lösung offensichtlich nicht fähig oder nicht willens. Sie
handeln ganz nach der Devise: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg ist nach
dem Krieg ist vor dem Krieg ...
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