Haiti
Auf dem Pulverfass PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 03.01.2015


In Haiti starben vor fünf Jahren bei einem Erdbeben mehr als 200 000 Menschen. Hunderttausende Überlebende haben sich inzwischen außerhalb der Hauptstadt Port-au-Prince Hütten errichtet. Die Chance aber, ein anderes Land aufzubauen, ist verpasst worden.


In einem Interview, das in Port-au-Prince, der Hauptstadt Haitis, am 19. Dezember 2009 in Le Nouvelliste erschien, fragte der haitianische Schriftsteller Pierre Clitandre den Geologen Claude Prépetit: "Leben wir auf einem Pulverfass?" - "Ohne dramatisieren zu wollen", gab der Fachmann zur Antwort, "das ist nicht übertrieben." Seit Jahren hatte er, von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen, vor einem Erdbeben im Großraum Port-au-Prince gewarnt. Die Folgen, so prophezeite er im Gespräch mit dem Schriftsteller, würden - wegen der Wohndichte und der Bauweise sowie angesichts einer fehlenden Raumplanung und einer unvorbereiteten Bevölkerung - katastrophal sein.

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Unter Plastik, neben Trümmern PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 25.11.2010


Zehn Monate nach dem Erdbeben in Haiti haben sich die Menschen mit dem kargen Leben in Zelten arrangiert - von Wiederaufbau gibt es keine Spur


PORT-AU-PRINCE. Der blütenweiße Nationalpalast liegt da wie ein zerquetschtes riesiges Insekt. Die Straßen im Zentrum scheinen gerade einen Bombenangriff hinter sich zu haben. Der Schutt ist erst zu einem geringen Teil abgeräumt. Magere Ziegen und fette schwarze karibische Schweine schnüffeln im kniehohen Müll, der die staubigen Straßen säumt und unter der tropischen Hitze dahinfault. Männer hämmern an Eisen und flicken Gummireifen, Frauen verkaufen gebratene Bananen und schwarzen Reis, bieten Zwiebeln an und Mangos, Avocados, Papayas. Und überall wird Wasser verkauft, sauberes Trinkwasser, in Zeiten der Cholera abgepackt in kleine Plastiktüten. Zehn Monate nach dem Erdbeben in Haiti, das eine Viertelmillion Tote hinterließ, haben sich die Menschen in Port-au-Prince mit Schutt, Staub und Dreck längst arrangiert.

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Am Fluss des Todes PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 16.11.2010



Im Landesinnern von Haiti sind schon fast tausend Menschen an der Cholera gestorben. Auch in der Hauptstadt geht die Angst um.



PETITE-RIVIERE. Bis auf die Knochen abgemagerte Menschen. Männer, aus deren Augen der nahe Tod spricht. Frauen mit vertrockneten Brüsten. Spindeldürre Kinder mit festgeklemmten Spritzen in den Venen der Unterärmchen, die meisten am Tropf. Viele liegen halbnackt auf einer Liege, unter dem Gesäß ein Loch im Holzbrett, unter dem Loch ein Eimer. Für Würde ist wenig Platz hier im Krankenhaus von Petite-Rivière, einer Kleinstadt zwei Autostunden nördlich von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince. Intimität gibt es nicht. Alles muss schnell gehen. Jede Minute kann über Leben oder Tod entscheiden. Täglich fordert die Cholera im Land Dutzende neue Opfer.

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Intervention erwünscht PDF Drucken
Thomas Schmid - DIE ZEIT 19.02.2004 Nr.9
Ohne internationales Eingreifen droht in Haiti eine Katastrophe
Haiti blickt in den Abgrund der Selbstzerfleischung. Um zu verstehen, warum, muss man zehn Jahre zurückblicken.

1994 fand eine Premiere statt: Der UN-Sicherheitsrat bewilligte eine militärische Intervention – mit dem „Ziel, die Demokratie wiederherzustellen“, wie es in der Resolution 940 zu Haiti ausdrücklich heißt. Ein erhabenes Ziel zwar, völkerrechtlich allerdings liefert es keinen hinreichenden Grund, militärisch einzugreifen. Also hielt das höchste Gremium der Welt an seinem Beschluss fest, dass „der Frieden und die Sicherheit in der Region“ gefährdet seien, was nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen eine Intervention rechtfertigt. Gefahr für die Region? Der einzige Staat, mit dem Haiti eine gemeinsame Grenze hat, ist die Dominikanische Republik, und die war und fühlte sich nicht bedroht.
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Die letzten Tage von Aristide PDF Drucken

Von Thomas Schmid - DIE ZEIT 15.01.2004 Nr.4
Wirtschaftlich ruiniert, von bewaffneten Gangs terrorisiert – Haiti steht am 200. Jahrestag seiner Unabhängigkeit vor dem Zerfall. Der Hass gilt dem Präsidenten, der einst als Armenpriester bejubelt wurde

Seit Monaten schon arbeitet die städtische Müllabfuhr nicht mehr. Unter der gleißenden Sonne vermodern die Abfallberge, in denen Ziegen und Schweine nach Essensresten wühlen. Die Geschäfte sind geschlossen. Nur einige Frauen braten zwischen Bergen von Dreck und riesigen Pfützen ihre Kochbananen. Kein Kunde weit und breit. Gonaives, die drittgrößte Stadt des Karibikstaates Haiti, dämmert dahin. Doch schuld ist nicht das tropische Klima. Schuld sind die „Kannibalen“. Sie haben einen Generalstreik ausgerufen.

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Franketienne PDF Drucken
Thomas Schmid - Berliner Zeitung - 06.05.2000
Der blutrote Garten Haitis berühmter Schriftsteller, Maler und Dramaturg lebt hinter einer hohen Mauer mitten in Port-au-Prince. Seine Romane und Gedichte erzählen vom Drama des Exils, von Träumen und Gewalt

Seine Nachbarn tuschelten, hielten ihn für verrückt, doch Franketienne baute eine sieben Meter hohe Mauer um sein Anwesen. Das war 1976. Damals herrschte Jean-Claude Duvalier alias "Baby Doc" über Haiti und hielt sein Volk mit 300 000 "Tontons Macoutes" in Schach, mit der Geheimpolizei, die sein Vater "Papa Doc", einer der bizarrsten und blutrünstigsten Diktatoren der lateinamerikanischen Geschichte, einst gegründet hatte. In seinem Roman "Die Stunde der Komödianten" hat Graham Greene den bald subtilen, bald brutalen Terror beschrieben, der damals in Haiti die Gesellschaft zersetzte und lähmte. Franketienne war ein notorischer Gegner der Diktatur. Hinter der hohen Mauer fühlte er sich sicherer.
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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid