Wir wollen unser Leben zurück |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 05.10.2012
Portugal muss sparen, um die Auflagen der EU zu erfüllen. Aber
gerade das Sparen macht das Land kaputt. Deswegen regt sich
Widerstand.
LISSABON. Bougainvilleen leuchten an
jahrhundertealtem grauem Gemäuer. Eine klapprige Straßenbahn
zuckelt den Berg hinauf. Durch das Labyrinth enger Gassen zieht der
Duft gebratener Sardinen. Nirgends ist Lissabon schöner und
romantischer als in der Alfama, dem maurisch geprägten Fischerviertel
über dem Tejo, dem Fluss, der sich hier zum Meeresarm weitet. Es ist
eine verwunschene Welt, von der ein seltsamer Zauber ausgeht, vor
allem am Abend. Dann durchbrechen die klagenden Melodien des
Fado die Stille: Lieder von Sehnsucht und Liebe, von Trauer und der
Weite des Meeres, von verlorenen Welten und dem mühseligen Alltag.
Fado ist das portugiesische Wort für Schicksal, Verhängnis. Der
Grundtenor des Fado-Gesangs ist Schmerz.
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Allein im Schornstein |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 06.09.2012
In einem abgelegenen Tal im Piemont treffen sich Kaminfeger aus
aller Welt. Sie gedenken der Kinder, die einst zum Säubern
der Schlote durch Europa zogen.
VAL VIGEZZO. Kastanienwälder vor
sich auftürmenden Bergketten, Dörfer mit engen Gassen, alte Häuser mit
Dächern aus grauem Granit, nur hier und da ein
herrschaftliches Gebäude mit Stuck und Resten farbiger Fresken, das
davon zeugt, dass ein Emigrant es einst in der Ferne zu etwas Wohlstand
gebracht hat. Das Val Vigezzo, ein Tal in den italienischen Alpen, im
Piemont, an der Grenze zum Schweizer Tessin, trägt den Beinamen
Valle dei Pittori, Tal der Maler. Von der Natur mit Schönheit
gesegnet, hat es viele Künstler hervorgebracht und viele Touristen
angezogen. Das ist die eine, die helle Seite des Tales. Die andere
Seite, die dunkle, gehört heute weitgehend der Vergangenheit an. Aber
einmal im Jahr, in den ersten Septembertagen, wird ihrer gedacht.
Auch Takeo Onozowa ist nach Malesco gekommen, in eines der sieben
Dörfer des Val Vigezzo. Sein Gesicht hat er mit Ruß geschwärzt. E
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Der Staat als Beute |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 26.07.2012
Die Rumänen stimmen am Sonntag darüber ab, ob ihr Präsident
Traian Basescu wieder in sein Amt gesetzt wird. Premier
Victor Ponta hat ihn vor drei Wochen kaltgestellt. Seitdem
tobt ein Machtkampf, in dem demokratische Regeln nichts
mehr gelten.
BUKAREST. Selbst
die Hunde liegen träge in den Schatten der Hausmauern und dösen vor sich
hin. Über 200000 sollen es sein, sie streifen herrenlos durch die
Stadt, manchmal tauchen sie in Rudeln auf und werden gefährlich. Aber
nun haben auch sie kapituliert. Es sind 38 Grad Celsius in Bukarest,
die Sonne brennt erbarmungslos. Die Menschen stöhnen. Doch
einem kommt die Hitze wohl gelegen: Traian Basescu, dem vor drei
Wochen vom Parlament abgesetzten Staatspräsidenten. Am Sonntag
entscheiden die Rumänen in einer Volksabstimmung, ob er wieder in sein
Amt gesetzt wird oder endgültig abtreten muss. Viele sind vor der
Hitze in die Berge geflüchtet oder ans Schwarze Meer, viele werden in
ihren kühlen Häusern bleiben und noch mehr haben ohnehin genug von
Politik und Politikern. Wenn weniger als die Hälfte der
Wahlberechtigten zu den Urnen geht, gilt das Referendum als
gescheitert. Basescu, einst Schiffskapitän der rumänischen
Handelsflotte, darf dann wieder ins Schloss Cotroceni ziehen, in die
Residenz des Präsidenten. Genau das strebt die Opposition an, deshalb
ruft sie zum Boykott des Referendums auf.
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Der Tag der Entscheidung |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 15.06.2012
Am Sonntag wählen die Griechen ein neues Parlament. Ein Besuch bei ein paar Wählern, von denen
jeder eine ganz eigene Wahrheit zu haben scheint.
ATHEN.
Ein Gespenst geht um in Athen. Es verbreitet Angst und hat einen Namen:
Grexit. Dies ist das Kürzel für Griechenlands Exit aus der Eurozone.
Die Griechen räumen ihre Konten. Dreistellige Millionenbeträge
werden täglich von den Banken abgezogen. Wenn die vom charismatischen
Alexis Tsipras geführte Linkspartei Syriza am Sonntag die Wahlen
gewinnt, werde das Land zur Drachme zurückkehren müssen und
letztlich kollabieren: Mit dieser bald offen, bald unterschwellig
vorgetragenen Botschaft werden die Griechen seit Tagen
bombardiert - aus dem Inland mit Vorliebe von jenen Parteien, die den
Schlamassel zu verantworten haben, aus dem Ausland vor allem
von den Deutschen, auf die manch einer seine Aggression projiziert.
Angst vor dem Kollaps? Ilias Katsogiannis setzt ein gequältes
Lächeln auf. Bei ihm ist der längst angekommen. Der 35-Jährige
raucht
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Landlust |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 05.052012
Die Krise drückt, doch die Griechen verzagen nicht.
Grün ist die Hoffnung: Sie werden Bauern, gründen
Kartoffel-Bürgerinitiativen oder erfinden neue Währungen.
THESSALONIKI. Der
schlaksige Mann bückt sich, zupft einige Blättchen von seinen Pflanzen,
zerreibt sie zwischen Daumen und Zeigefinger und hält dem Besucher
Krümel unter die Nase. "Hier, riech mal!" Thymian, Oregano, Rosmarin,
Lavendel. Grigoris ist stolz auf sein kleines Paradies, in dem auch
Rhabarber und Rote Bete wachsen. Und mitten zwischen Salaten und
Tomaten steht ein junger Olivenbaum. Noch ist sein Holz
geschmeidig und glatt. Früchte wird er bestenfalls in fünf
Jahren tragen, vielleicht auch erst in zehn. Ob Grigoris sie je pflücken
wird, weiß er nicht. Wie lange wird er, der seinen Nachnamen lieber
nicht in der Zeitung lesen will, es hier allein aushalten? Der
19-Jährige, aufgewachsen in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt
Griechenlands, ist nach dem Abitur aufs Land gezogen, nach Epanomi, ins
leer stehende Haus seiner Großeltern auf der Halbinsel Chalkidiki.
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